Es wirkt ein wenig wie Zauberei: Das an der Rückseite der Beine getragene Exoskelett "Chairless

Es wirkt ein wenig wie Zauberei: Das an der Rückseite der Beine getragene Exoskelett "Chairless Chair" bietet Montagemitarbeitern jederzeit einen Sitzplatz und somit ergonomische Entlastung. - (Bild: Audi)

Exoskelette entlasten Mitarbeiter beim Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in unergonomischen Positionen. Erste Praxistests laufen bereits bei den deutschen Automobilbauern Audi und Volkswagen.

Einen Anzug überstreifen und dann mit Superkräften ausgestattet loslaufen. Davon müssen Montagemitarbeiter nicht länger träumen. Denn Exoskelette – eine Art Roboter zum Anziehen – durchlaufen momentan ers­te Praxistests.

So prüft Audi in der Automobilmontage in Ne­ckars­ulm den sogenannten ‘Chairless Chair’. Das Exoskelett wird an der Rückseite der Beine getragen und entstand in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Start-up Noonee. Montagemitarbeiter tragen den Chairless Chair während der Arbeit wie ein zweites Paar Beine, das sie immer dann stützt, wenn es gebraucht wird. Per Knopfdruck versteift sich die Konstruktion und bietet so Entlastung bei unergonomischen Tätigkeiten. Das System eignet sich auch als Stütze für kurze Montage-Intervalle.

Audi sammelt erste Erfahrungen im Werk Neckarsulm

Audi-Mitarbeiter sammeln momentan am Standort Neckarsulm Erfahrungen mit drei Prototypen des Exoskeletts. Sie nutzen den Chairless Chair zum Beispiel bei der Cockpit-Vormontage in der A4/A6-Fertigung. Bislang arbeiteten die Werker bei diesen Tätigkeiten ausschließlich im Stehen.

Dank der ‘Carbon-Rüstung’ können sie nun teilweise im Sitzen mon­tieren. “Die Konstruktion Chair­less Chair entlastet die Knie- und Sprunggelenke unserer Mitarbeiter auf ideale Weise”, berichtet Dr. Stephan Weiler, zuständiger Arzt für gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung. Dr. Mathias Keil, Leiter Industrial Engineering Methoden der Audi AG, fügt hinzu: “Durch den Einsatz des Chairless Chair verbessern wir die Ergonomie bei Montagetätigkeiten. Zudem erwarten wir neue Einsatzmöglichkeiten für leistungsgewandelte Kollegen.” Der Autobauer plant, das Exoskelett nach einer weiteren Pilotphase am Standort Ingolstadt anschließend in der Serienfertigung einzusetzen.

VW testet Exoskelett im Fahrzeugbau und Getriebemontage

Auch die Konzern-Kollegen bei Volkswagen in Bratislava erproben das neuartige Exoskelett – sowohl im Fahrzeugbau als auch in der Getriebemontage. “Wir arbeiten ständig daran, die Arbeitsplätze für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so attraktiv wie möglich zu gestalten”, sagte Eric Reuting, Personalvorstand von Volkswagen Slovakia. Dazu gehöre auch die stetige Verbesserung der Ergonomie. Die Einsatzmöglichkeiten des Exoskeletts sieht er primär bei Operationen in der Montage.

Ein anderes Exoskelett testet Lockheed Martin in der Flugzeugproduktion in den USA. Es handelt sich um das Konzern-eigene Modell ‘Fortis’ – ein Ganzkörper-Exoskelett, das in stehenden wie in knieenden Positionen das Gewicht in den Boden ableitet. Werker können so mühelos mit schweren Werkzeugen hantieren, der Rücken und Körper des Exoskelett-Trägers ist dadurch entlastet. Momentan läuft ein Pilotprojekt mit Fortis in der Flügelmontage des C-130. Auch das ‘National Center for Manufacturing Sciences’ (NCMS) der US-Navy erprobt das Exoskelett Fortis. In diesem Fall soll es Mitarbeitern von Schiffswerften mehr Kraft verleihen, um die oftmals sehr anstrengenden Tätigkeiten ausdauernder erledigen zu können.

Die EU glaubt ebenso an das Potenzial von Exoskeletten und hat dazu das Forschungsprojekt Robo-Mate ins Leben gerufen. Zwölf Forschungsinstitute und Unternehmen arbeiten dafür zusammen. Ein erster Prototyp des Exoskeletts Robo-Mate wurde jüngst am Fraunhofer IAO vorgestellt. Nun folgen Praxistests in der Recyclingindustrie bei Indra in Frankreich sowie am Forschungszentrum von Fiat in Italien. Wie ein Mitarbeiter aus der Fiat-Forschung Produktion gegenüber berichtete, will der Autobauer verschiedene Applikationen und deren ergonomisches Verbesserungspotenzial prüfen. Dazu gehörten beispielsweise Überkopfarbeitsplätze in der Automobilmontage.

Sicherheitsfragen noch ungeklärt

Kritischere Stimmen kommen von einer am Projekt Robo-Mate nicht beteiligten, deutschen Forschungsinstitution. So teilte ein dort ansässiger Robotik-Spezialist Produktion gegenüber mit, dass grundsätzlich die Sicherheitsfrage von Exoskeletten geklärt werden müsse. Es müsse beispielsweise garantiert werden, dass sich ein Exoskelett nicht verselbstständigt und dadurch seinen Träger verletzt.

Der Robotik-Spezialist ist sich außerdem unsicher, ob Exoskelette von Produktionsmitarbeitern akzeptiert werden. Denn ein Exoskelett muss am Körper getragen werden und selbst die Anweisung, eine Schutzbrille zu tragen, ruft bei Werkern immer wieder Unwillen hervor.

Schneller Durchbruch nicht in Sicht

Wie Produktion von einer Führungskraft bei einem großen Automobilhersteller erfuhr, ist der schnelle Durchbruch von Exoskeletten noch alles andere als sicher: “In der Automobilmontage macht das keinen Sinn”, so die Einschätzung des Experten. “Da gehe Platz und Beweglichkeit durch das Tragen eines Exoskeletts verloren.”

Für andere Industriezweige, sehe er jedoch durchaus Potenzial, so die versöhnenden Worte.

Susanne Nördinger

 

 

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