Wolfgang Dorst, China-Experte der Unternehmensberatung ROI

Wolfgang Dorst ist China-Experte der Unternehmensberatung ROI. - (Bild: ROI)

Herr Dorst, die derzeitigen Handelskonflikte haben den langfristig boomenden Markt in China geschwächt. Welche Auswirkungen haben die geopolitischen Wirren für deutsche Unternehmen, die in China engagiert sind?

Auf jeden Fall werden deutsche Unternehmen dort hineingezogen, einerseits durch die Zollproblematik und andererseits durch drohende Sanktionen als Reaktion auf die US-Sanktionen. Im Gegenzug haben die Chinesen ja nicht nur mit Gegenzöllen, sondern auch anderweitig reagiert. So dürfen etwa wegen der Einmischung im Fall Hongkong keine US-Kriegsschiffe mehr dort anlanden. Die vielschichtigen Konflikte zwingen die Unternehmen dazu, ihre Wertschöpfungsketten zu rekonfigurieren. Auch deshalb sind wir betroffen.

Welche Auswirkungen hat dies konkret?

Unternehmen müssen sich jetzt genau anschauen, mit wem sie in China zusammenarbeiten. Sind dort etwa Unternehmen oder Personen darunter, die unter die US-amerikanischen Sanktionen fallen? Dies kann so weit gehen, dass Geschäftskontakte abgebrochen und neue aufgebaut werden müssen. Bei den Zöllen etwa auf Vorprodukte kann die Ertragssituation, und damit die Möglichkeit sich am Markt attraktiv zu platzieren, betroffen sein.

Wie sollten deutsche Unternehmen vorgehen, damit die schwächelnde chinesische Konjunktur nicht auch bei ihnen zu belastenden Umsatzrückgängen führt?

Wichtig ist sich darüber klar zu sein, dass die chinesische Konjunktur zumindest seit der Finanzkrise 2008 die gesamte Weltwirtschaft und damit auch die deutsche stützt. Dabei ist China erstaunlich gut durch diese Krise gekommen. Die Mitte November von der National Institution for Finance and Development (NIFD) gemachte Prognose weist ein Wirtschaftswachstum von 5,8 Prozent für 2020 aus. Das ist zwar weniger als in den Vorjahren, aber immer noch sehr ordentlich. In Deutschland sehen die Zahlen anders aus: mit 1,5 Prozent in 2018 sowie vom BMWi prognostizierten 0,5 Prozent für 2019 und 1,0 Prozent für 2020. Wenn wir über die schwächelnde Konjunktur in China reden, müssen wir uns auch andere Zahlen anschauen und uns der positiven Effekte auf unsere Wirtschaft bewusst sein. China bleibt weiter der Wachstumsmotor für die deutsche Wirtschaft, als wichtigster Handelspartner bedeutendster Absatz- und Beschaffungsmarkt.

Trotzdem gibt es Hongkong, die Unterdrückung der Uiguren oder die drohende digitale Diktatur. Ändert sich gerade etwas Fundamentales an der bislang doch eher von Pragmatismus geprägten Wirtschaftsbeziehung zu China?

Wir haben doch grundsätzlich weltweit eine veränderte Situation. Es gibt diese innerhalb von Europa, über den Atlantik hinweg und eben auch im Verhältnis zu China. Davon sind einerseits die Weltwirtschaft und andererseits die Sicherheitssysteme betroffen. Diese Situation hat ihre Ursache in Rivalitäten zwischen China und den USA sowie der EU. Das ist eine Gesamtgemengelage, die sich nicht nur auf China alleine bezieht.

Lassen Sie uns aber doch die Probleme mit China genauer betrachten. Aktuell rücken zunehmend die Menschrechtsverletzungen im Konflikt mit den Uiguren in den Fokus. Sollen sich Wirtschaftsvertreter hier entsprechend positionieren?

Die Vorwürfe aus dem Westen sind massiv und können damit nicht einfach übersehen werden. China dagegen besteht darauf, sich im Kampf gegen den Terrorismus zu befinden. Die Konflikte mit den Uiguren reichen über Jahrzehnte zurück. Seit der Unruhen im Jahre 2009 gibt es eine hohe Militär- und Polizeipräsenz, die in den letzten Jahren durch eine starke digitale Überwachung ergänzt wurde. Es kann nicht Aufgabe eines einzelnen Unternehmens sein, diese Konflikte zu bewerten. Notwendig ist hier vielmehr eine politische Debatte zu Menschenrechten im Kontext des Terrors.

Hat hier die Wirtschaft überhaupt einen Einfluss?

Die Wirtschaft bietet die Chance der Verständigung zwischen den Regionen. Unter anderem gab es im Oktober ein Treffen von Premierminister Li mit internationalen Unternehmensführern unter anderem von BMW. Es wäre ein Fehler diese Gesprächs- und Handelskanäle einzuschränken. Die Unternehmen können aber nicht in Haftung genommen werden, diesen Konflikt zu lösen, sondern es muss eine politische Debatte darüber geführt werden, wie der Krieg gegen den Terror geführt wird. Diese muss sowohl in Zentralasien als auch in Europa stattfinden.

Inwieweit sind entsprechende Reaktion von China zu erwarten?

Die chinesische Politik stellt sich den von der Wirtschaft aufgebrachten Fragen. So hat der chinesische Staatsrat im November Leitlinien für Investitionen für ausländische Unternehmen veröffentlicht. Danach soll es mehr Transparenz bei Genehmigungsverfahren geben, der Schutz der Interessen ausländischer Investoren verbessert oder ein faires öffentliches Beschaffungswesen etabliert werden. Es gibt also eine Öffnung Chinas im Zuge dieser Auseinandersetzungen. Aber es lässt sich nur etwas bewirken, wenn man im Gespräch bleibt und sich dort die gegenseitigen Chancen vergegenwärtigt.

Was müssen Politik bzw. die Industrie diesbezüglich jetzt tun?

Wir müssen unter anderem darauf achten, dass die für 2020 vom Staatsrat angekündigten Maßnahmen zügig umgesetzt werden.

Einen Wettkampf gibt es auch darum, wer welche technologischen Standards setzt. Zu welcher Strategie raten Sie hier?

Auch dort gibt es erhebliche Fortschritte. Bereits im Juli 2015 wurde in einem Memorandum of Understanding eine aktive Zusammenarbeit zum Thema Intelligent Manufacturing und Industrie 4.0 vereinbart. Ganz aktuell ist jetzt im November von beiden Seiten der Wunsch geäußert worden, diese Vereinbarung zu verlängern. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Erwähnenswert ist etwa eine gemeinsame Arbeitsgruppe, in der chinesische und deutsche Unternehmen Lösungen erarbeiten, wie sie ihre Wertschöpfungsketten im Rahmen von Industrie 4.0 miteinander vernetzen. Beteiligt sind dort so große Unternehmen wie Tencent, Foxconn oder Haier. Das bedeutet: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit gewinnt an Tiefe.

Wie ist die Qualität dieser Kooperationen international einzuschätzen?

Die Zusammenarbeit mit China ist auf dieser Ebene aus meiner Sicht intensiver als etwa mit dem Industrial Internet Consortium in den USA oder auch in der trilateralen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mit Frankreich und Italien.

Inwieweit müssen deutsche Unternehmen angesichts dieser Entwicklungen tatsächlich noch Angst vor Ideenklau haben?

Seit Jahren ist China kein Copycat mehr. Vor Jahren sind westliche Manager in das Silicon Valley oder nach Japan gefahren, um sich fortschrittliche Konzepte im Bereich der industriellen Fertigung oder der Smart City anzusehen. Heute fahren sie nach China. Ideenklau gibt es nach wie vor in China, aber es gibt ihn ebenso in den USA oder in Europa.

Ungeachtet der politischen Schwierigkeiten baut China seine Kompetenzen in Sachen Digitalisierung bei Themen wie künstlicher Intelligenz, 5G oder IoT weiter aus. Haben uns die Chinesen dort mittlerweile den Rang abgelaufen?

Die Adaption digitaler Services oder die Bereitstellung von Breitbandtechnologien ist in China viel weiter fortgeschritten als etwa in Deutschland. Über WeChat des Internetriesen Tencent bezahlen nicht nur 500 Millionen Chinesen täglich ihre Einkäufe, sondern checken auch ihren Stromverbrauch und bezahlen diesen auch gleich oder buchen mit der Vereinbarung eines Arzttermins auch den Weg dorthin. Die Nutzung des Internets geht weit über das hinaus, was wir in Europa praktisch umsetzen.

Wenn wir aber die Industrie betrachten: Wo haben wir hier tatsächlich noch die Nase vorn?

Wenn man Schwächen von China ausmachen will, dann findet man diese in der klassischen Automatisierung. Viele Unternehmen sind dort noch auf der Ebene Industrie 2.0 und 3.0 unterwegs, dagegen gibt es nur wenige Unternehmen, die sich bereits auf den Industrie-4.0-Pfad begeben haben. Aber gerade bei diesen wenigen handelt es sich um echte Leuchttürme. Dazu zählt etwa der Hersteller von Weißer Ware Haier. Die dort umgesetzten Lösungen zur Einbindung der Kunden in den Entwicklungsprozess oder zur Flexibilisierung der Produktion sind nicht nur technologisch, sondern auch auf der Ebene der Unternehmensorganisation wegweisend. Aber davon abgesehen, hat die deutsche Industrie in punkto Qualität und Innovation in China nach wie vor einen ganz hohen Stellenwert.

Wie lässt sich dieser Vorteil in Zukunft fortschreiben?

Wir müssen unser Modell des Wirtschaftens etwa hinsichtlich des geistigen Eigentums oder des Bereitstellens eines Level Playing Fields offensiv verteidigen. Mit der Ende November vorgestellten Industriestrategie des BMWi haben wir hier einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir dürfen uns jetzt aber nicht zurücklehnen, sondern müssen unsere Position jeden Tag neu erkämpfen.

Bei aller Fortschritte im Bereich der Zusammenarbeit gibt es trotzdem ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der persönlichen Freiheiten. Stichwort: digitale Überwachung. Zu welchem Vorgehen raten Sie hier?

Der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Chinas sollten wir unbedingt mit Respekt begegnen. Es muss uns klar sein, dass die Organisation von Mega-Cities, etwa im Bereich der Mobilität und Sicherheit, einer anderen Steuerung bedarf als in unseren Metropolen. Die Chinesen haben zudem ein anderes Verhältnis zur Datenweitergabe an den Staat. Nach dem Sozialpunktesystem gefragt, begrüßen viele Gesprächspartner dieses. Oft auch deshalb, weil es zusätzlich auf Unternehmen und Institutionen in China angewendet wird und damit deren ökologisches und soziales Handeln transparent macht. Zudem gibt es auch beim Thema Datenschutz deutliche Fortschritte. Leider wird in diesem Zusammenhang das 2019 erneuerte Chinese Security Law hierzulande zu wenig beachtet.

Weshalb? Was steckt da dahinter?

Ein Hauptaspekt gilt bei dieser Gesetzesinitiative dem Schutz persönlicher Daten. Eingeflossen sind beispielsweise zahlreichen Prinzipien aus der europäischen DSGVO. Wir sollten uns deshalb zurückhalten, dieses zu bewerten. Wenn wir Smart-City-Konzepte umsetzen, dann bedeutet dies auch hierzulande den Einsatz von Kameras etwa an wichtigen Verkehrsknotenpunkten.

Industrie 4.0: Award von ROI-Efeso und der Zeitschrift PRODUKTION

Digitale Assistenzsysteme, Data Analytics, künstliche Intelligenz oder Machine Learning verändern die Wertschöpfungsprozesse der produzierenden Industrie in rasanter Geschwindigkeit. Unternehmen, die es schaffen, diese Digitalisierungs-Technologien, -Werkzeuge und -Systeme erfolgreich in ihre Wertschöpfungsprozesse zu integrieren, gehören zu den Taktgebern der Industrie 4.0. Sie zeichnet ROI-Efeso gemeinsam mit der Fachzeitung PRODUKTION seit 2013 mit dem Industry 4.0 Award aus – einem der wichtigsten Benchmarks für Digitalisierungs-Projekte und Industrie-4.0-Best-Cases.

 

Mehr zum Award erfahren Sie hier.

Sie möchten gerne weiterlesen?

Dieser Beitrag wird präsentiert von: