Künstliche Intelligenz gilt vielen noch immer als Science Fiction, obwohl das Thema aktuell wie das sprichwörtliche weibliche Rüsseltier durchs Dorf getrieben wird. Auch in der Instandhaltung gilt KI (engl. AI - Artificial Intelligence) als das nächste große Ding. "Aber nein", sagen jetzt viele. "KI ist doch in der Instandhaltung schon voll im Einsatz!" Wirklich? Wir haben jemanden gefragt, der es wissen muss: Wolfgang Kienreich (Director Business & Market) vom Know-Center der TU in Graz.
INSTANDHALTUNG: Wie weit ist aus Ihrer Sicht der Stand der KI-Technik? Ist der aktuelle Hype gerechtfertigt?
Wolfgang Kienreich: "KI-Technologie wird seit mehr als 50 Jahren stetig entwickelt. Was dieser Entwicklung in den letzten Jahren einen großen Schub voran gegeben hat, ist die Verfügbarkeit sehr großer Datenmengen, beispielsweise Bilddaten im Internet oder Sensordaten in der Industrie, und die Verfügbarkeit sehr hoher Rechenleistung, beispielsweise in Form sogenannter GPGPU-Cluster (Verwendung eines Grafikprozessors für Berechnungen über seinen ursprünglichen Aufgabenbereich hinaus). Heute können wir sehr intelligente Assitenzsysteme bauen die Menschen in unterschiedlichsten Bereichen sehr gut unterstützen.
Damit können heute zahlreiche Verfahren, insbesondere aus dem Bereich der neuronalen Netze, zur Lösung von Problemen angewandt werden, die in der Vergangenheit mangels Datenvolumen und Rechenleistung nicht praktikabel waren. Das ändert allerdings nichts daran, dass wir uns noch immer im Zeitalter der assistiven KI befinden: Moderne datengetriebene KI-Systeme können Menschen bei intellektuellen Routineaufgaben unterstützen, aber in fast allen Anwendungen wird lediglich das Gleichgewicht in der Arbeitsverteilung zwischen Mensch und Maschine verschoben, und nicht der Mensch durch die Maschine ersetzt."
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INSTANDHALTUNG: Sind in Ihren Augen bereits für Instandhalter nutzbare KI-Werkzeuge verfügbar?
Kienreich: "Ja, absolut. Eine Unmenge von datengetriebenen Modellbildungs-Verfahren beschäftigt sich etwa damit, aus historischen Daten zu lernen, unter welchen Umständen gewisse Ereignisse zu erwarten sind, um derartige Ereignisse für die Zukunft aus Daten vorherzusagen. Übertragen auf die Instandhaltung entspricht dieses Konzept natürlich der vorausschauenden Wartung, also Predicitve Maintenance.
Ebenso gibt es zahlreiche explorative und analytische Werkzeuge, die in der Instandhaltung sehr gut angewendet werden können. Vom Reifegrad her spannt sich hier ein Kontinuum von fortschrittlicher universitärer Forschung bis hin zu soliden Produkten, die für Unternehmen verfügbar sind. Beispielsweise ist das am Know-Center entwickelte Werkzeug beziehungsweise Produkt 'Timefuse' in der Lage, aus umfangreichen Zeitseriendaten, wie sie etwa Sensoren oder Steuerungstechnik liefern, Muster zu extrahieren."
INSTANDHALTUNG: Für welche Anwendungsfälle eignen sich diese Werkzeuge?
Kienreich: "Jedenfalls für alle Steuer- und Regelanwendungen, in denen historische Daten zu Verlauf und charakteristischem Verhalten vorliegen, also etwa Regelung von Heizung und Lüftung oder Licht. Dann für alle Wartungsaufgaben, zur Vorhersage von Reinigung, Ersatz von Leuchtmitteln, Filtern, Verschleißteilen und so weiter. Darüber hinaus aber auch für die Planung neuer Anlagen, wo mittels digitaler Zwillinge basierend auf Daten aus bestehenden Anlagen die Planung wesentlich näher an der Realität erfolgen kann."
INSTANDHALTUNG: Woran kann KI in der Instandhaltung scheitern?
Kienreich: "Woran KI immer scheitert: Wenn zu wenige Daten beziehungsweise zu wenige Instanzen von zu automatisierendem Verhalten vorhanden sind. Wenn Ausnahmesituationen nur wenige Male pro Jahr auftreten und jedes Mal anders aussehen und zu adressieren sind, kann eine KI nichts lernen."
INSTANDHALTUNG: Wenn Sie bereits für die Instandhaltung nutzbare KI-Werkzeuge identifiziert haben - sind diese bei Ihnen oder Ihren Partnern im Einsatz?
Kienreich: "Absolut, bei unseren Partnern aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie haben wir zahlreiche Prognose-Modelle für Instandhaltungs-Themen im Einsatz. Bei Magna beispielsweise für die Lackiererei sowie für den mechanischen Verschleiß verschiedener Teile.
Des Weiteren sind wir gerade dabei, Timefuse bei einem Industriepartner zu platzieren. MitarbeiterInnen können aus historischen Daten, sowie aus einem Cluster, bei dem die Kohärenz identer und ähnlicher Signalverläufe visualisiert werden, neue Erkenntnisse gewinnen, diese für aktuelle Produktionen aufbereiten und Verbesserungen dadurch erzielen."
INSTANDHALTUNG: Welche Painpoints haben zum betreffenden Projekt geführt?
Kienreich: "Oft sind es unvermutete Qualitätsschwankungen oder mangelnde Planbarkeit. Am häufigsten aber sind es 'low-hanging fruits', Chancen, die sich aus der Datennutzung ergeben, und keine Painpoints."
INSTANDHALTUNG: Oftmals werden Unternehmen und Instituten im aktuellen KI-Hype Projekte von auch durchaus zweifelhaftem Nutzen angeboten. Wie identifizieren Sie den Nutzen eines solchen Angebots?
Kienreich: "Als eines der führenden europäischen Forschungsinstitute für datengetriebene künstliche Intelligenz gehört es zu unseren Aufgaben, als neutrale Instanz derartige Einschätzungen für unsere Unternehmenspartner vorzunehmen. Wir kennen zahlreiche Angebote, die für die Adressaten nicht unbedingt vorteilhaft sind.
Häufig versuchen Anbieter fertiger Software-Lösungen, diese weit über das ursprüngliche Einsatzgebiet hinaus zu verkaufen und einzusetzen. Das funktioniert aber für Künstliche Intelligenz meist nicht. In den allermeisten Fällen ist ein gewisser 'Service-Anteil' oder 'Projekt-Charakter' unumgänglich. Alleine schon deshalb, weil im (Big) Data Dschungel keinerlei Ordnung oder Normierung herrscht und die Datenqualität in jedem Fall neu erhoben werden muss. Wenn Ihnen also ein Anbieter erklärt, dass Sie nur Ihre Daten abliefern müssten und die Maschine den Rest alleine erledigt, ist Skepsis angebracht. Am Know-Center haben wir dafür mit unserem Data Value Check ein erfolgreiches Beratungstool entwickelt, das Firmen dabei unterstützt KI-Projekte richtig und effizient anzugehen."
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