Es ist ein Geräusch, das keiner gerne hört: das Knacken und Krachen der Gelenke nach einer anstrengenden Montage- oder Instandhaltungsaufgabe. Je öfter man es hört, umso heftiger sind in aller Regel die Folgen für den unteren Rücken, dessen Muskulatur und die Bandscheiben sowie die Schultern. Doch es gibt Apparate und Vorrichtungen, die Abhilfe versprechen: Exoskelette.
Grob werden bei den Exoskeletten, also den "Außenskeletten", zwei Typen unterschieden: aktive und passive Systeme. Bei aktiven Geräten enthalten die Exoskelette einen Antrieb, bei passiven Systemen kommt die unterstützende Kraft aus Federn, Gummibändern oder anderen Speichern für kinetische Energie. Ein Exoskelett unterstützt seinen Träger bei bestimmten Bewegungen oder Haltungen mit der kontrollierten Abgabe dieser Energie, welche zuvor durch eigene Muskelkraft ins System eingebracht wurde. So kann der Träger beispielsweise seine Arme mit weniger Anstrengung heben, sich wiederholende Hebeaufgaben leichter erledigen oder sich in einer gebückten Haltung abstützen lassen.
Einer, der sich mit dem Thema passive Exoskelette hervorragend auskennt, ist der Oberösterreicher Markus Rockenschaub. Er hat gemeinsam mit einem Partner nahe Linz die Tech-Scouting-Marke Exxowear Human Robotics gegründet. Moderne Arbeitsunterstützung ist Rockenschaubs Steckenpferd: Er betreibt auch das Unternehmen Aerovision, das mit Drohnenflügen in gefährlichen oder unzugänglichen Industrieumgebungen Inspektionsflüge durchführt.
Auf die Frage, warum man denn in der Industrie und speziell in der Instandhaltung Exoskelette einsetzen sollte, hat der Spezialist eine klare Antwort: "Unterstützung für die Mitarbeiter und die Reduzierung des Krankenstands", sagt er. "Angestellte fallen oft aufgrund von Muskelskelett-Erkrankungen aus. Der letzte Fehlzeitenreport 2020 von Österreich zeigt, dass über 20 Prozent aller Fehlzeiten durch Erkrankungen des unteren Rückens entstehen." Auch andere Muskel-, Gelenk- und Knochengruppen sind betroffen.
Exoskelette als Unterstützung
"Es gibt verschiedenste Systeme, die den Mitarbeiter bei bestimmten Arbeiten unterstützen können", erklärt Rockenschaub: Hubtische, Manipulationsvorrichtungen oder kleine Hubkräne. "Diese können zwar helfen, sind aber nicht ständig im Einsatz, weil sie vielleicht nicht in den Prozess passen." Bei einem Exoskelett sei das anders, denn es könne praktisch durchgehend getragen werden und so den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, die belasteten Regionen ihrer Körper zu entlasten und damit präventiv zu schützen.
Es gibt verschiedenste Arten von Exoskeletten. "Als Laie sieht man da schnell eine Art Iron-Man-Anzug vor sich, mit dem man 100 Kilogramm hebt, es sich aber nur wie fünf Kilo anfühlt", sagt Rockenschaub. "Das ist aber noch Zukunftsmusik. Wir reden hier von passiven Systemen, die man anzieht, und die dann mit Federwirkungen und Seilzügen Kräfte ausüben, die bei bestimmten Arbeiten unterstützen." Welche Arbeiten das sein können, hängt vom Arbeitsplatz ab: "Oft wiederkehrende Bewegungen wie das Be- oder Entladen von Paletten, anhaltende Überkopf-Arbeiten oder Aufgaben in gebückter Haltung sind die häufigsten Anwendungsgebiete", so der Experte.
Passive Exoskelette mit überschaubaren Kosten
Die Idealvorstellung für den Exxowear-Gründer wäre, dass das Exoskelett morgens angezogen wird, den Tag über unterstützt und am Abend wieder ausgezogen wird. "Aber natürlich schauen wir uns zuvor immer den Arbeitsplatz genau an", sagt Rockenschaub. "Denn es ist ja nicht immer so, dass der Mitarbeiter den ganzen Tag eine Arbeit macht, bei der er das Exoskelett braucht. Die gibt es zwar wie zum Beispiel in der Logistik: Bücken, hochheben, abstellen … da geht das dann 1.500 bis 2.000-mal am Tag. Wenn da jedes Mal ein bis fünf Kilo manipuliert werden, sind das bis 10 Tonnen."
Exxowear schaut sich weltweit nach passenden Modellen um. "Dabei liegen wir preislich je nach Modell zwischen 1.500 und 5.000 Euro. Es gibt dabei rigide Exoskelette, die mit Gestängen arbeiten und unterstützen und es gibt die etwas günstigeren Soft-Exosuits. Die liegen eng an wie ein Rucksack und arbeiten mit Gummibändern", erklärt Rockenschaub.
Im Portfolio hat das Unternehmen aktuell drei Modelle im Rückenbereich, zwei im Schulterbereich und eines für den Nacken. "Also genau für die häufigsten Painpoints durch Bewegung des Rückens oder wenn man sehr viel über Kopf arbeitet – wenn ein Instandhalter also etwas über Kopf verschrauben muss. Da sind Schulterexos perfekt - man kennt das ja, wenn jemand fragt: Kannst Du mir das schnell fünf Minuten halten. Da werden die Minuten schon sehr lang. Und auch ein Akkuschrauber wird nach einer halben Stunde ziemlich schwer", sagt Rockenschaub.
Test vor Ort
Eines der wichtigsten Themen bei der Auswahl eines Exoskeletts ist die Usability – und die kann nur die anwendende Person selbst beurteilen. Dazu ist mitunter durchaus Überzeugungsarbeit zu leisten. "Man muss es anziehen, man muss es ausziehen, es fühlt sich am Anfang ungewohnt an. Unter Umständen braucht man auch ein paar Tage, bis man sich daran gewöhnt hat." Es gibt aber auch die anderen Fälle: "Wir schauen uns ja die Arbeitsplätze an und lassen ein Teammitglied einfach mal ein Exoskelett ausprobieren. Da kann es schon vorkommen, dass der betreffende Mitarbeiter dann ganz schnell ein dickes Grinsen im Gesicht hat. Der merkt dann ganz schnell, wie sehr ihn das Exoskelett unterstützt. Aus meiner Sicht nimmt man dafür die paar Sekunden, die das Anziehen braucht, gerne in Kauf. Aber zugegeben: Ein wenig Vorarbeit ist nötig, um die Akzeptanz zu bekommen. Und die ist wichtig. Denn wenn das Exoskelett nicht akzeptiert wird, dann wird es auch nicht eingesetzt."
Darum ist die gründliche Vorarbeit an den Arbeitsplätzen bei den Kunden wichtig: "Was für den einen super passt, kann für den anderen bei der Bewältigung seiner Aufgabe total hinderlich sein. Sei es, weil es unbequem ist, weil ihm die rigiden Strukturen im Weg umgehen oder weil er sich schlicht unwohl fühlt", sagt Rockenschaub. "Man kann anhand des Arbeitsplatzes schon oft sagen, was man brauchen könnte – zum Beispiel ein Rückenexo. Dann schaut man, wie ist der Arbeitsplatz beschaffen. Ist er recht eng, kann man wo hängenbleiben?" Es sei wichtig, dass der Anwender oder die Anwenderin mit der Technik zurechtkomme – "da ist es dann nicht so wichtig, ob es sich um das teuerste oder das günstigste Modell handelt – je nach Budget. Denn natürlich macht es bei einer angedachten Beschaffung von 20 Stück schon einen Unterschied, ob das Exoskelett 3.000 oder 5.000 Euro kostet."
Video: Exoskelett im Einsatz bei Wartungsarbeiten
Muskeldegenetarion nicht zu befürchten
Der Vorteil an den Systemen ist, dass sie auf so gut wie jede Nutzerin und jeden Nutzer angepasst werden können: "Das sind keine Spezialanfertigungen", erklärt der Exo-Profi. "Es kann so gut wie jedes Exoskelett bei so gut wie jeder Person eingesetzt werden." Die Skelette sind mit Gurten, Klettverschlüssen und adaptierbaren Schnallen ausgerüstet. "Wenn eine Person natürlich sehr groß und stämmig oder extrem klein und zierlich, kann es schon mal sein, dass das eine oder andere Modell nicht passt. Aber ein passender Sitz ist wichtig. Das Exoskelett muss sitzen und perfekt auf den Träger eingestellt sein, damit er sich wohlfühlt und alles funktioniert. Das dauert nicht lange, ist aber wichtig für den täglichen Gebrauch."
Wichtig zu wissen ist laut Rockenschaub, dass auch bei täglicher Nutzung der Exoskelette keine Degeneration an Muskulatur oder Knochenapparat zu befürchten ist: "Denn die Exos nehmen nicht die ganze Kraft raus, sodass der Mitarbeiter gar nichts mehr machen muss und es seine Arme oben hält oder er bewegt wird, ohne eigene Kraft aufbringen zu müssen. Man versucht, mit diesen Geräten die Belastungsspitzen abzudecken, bei denen es kritisch wird."
Kraftspeicherung per Gummi oder Feder
Wie stark und wo das Exoskelett unterstützt, ist eine Frage der Technologie und der Einstellungen: "Das Laevo-System zum Beispiel hat eine gewisse Spannkraft im Gelenk an der Hüfte und wenn ich mich nach unten beuge, wird diese Feder gespannt. Wenn ich wieder aufstehe, wird diese Kraft per Gestänge auf die Brust übertragen und ich werde leicht nach oben gedrückt. Das kann ich auch bei gebückten Arbeiten als Stütze nutzen", erklärt Rockenschaub. "Unsere Soft-Exos arbeiten mit Gummibändern, die es in verschiedenen Längen für die Größe und Breiten für die Stärke gibt, um sie an den jeweiligen Träger anpassen zu können." Die Kraftunterstützung bei Exoskeletten für die Schultern lassen sich mit einem passenden Werkzeug einstellen. "Es kommt immer drauf an, wie kräftig die entsprechende Person ist."
Zwar sind Exoskelette in der Instandhaltung noch nicht so verbreitet wie in manchen Produktionen – als Beispiel sei Toyota genannt – dennoch sieht Rockenschaub die Technologie auf einem guten Weg: "Viele Firmen kommen aktiv auf uns zu, testen oder fragen an, weil sie das Thema kennen und ihre Mitarbeiter gesund und im Unternehmen halten wollen." Andere Unternehmen gingen mit der Thematik Exoskelett sogar ins Recruiting und kommunizierten, dass sie modernste Arbeitsunterstützung bieten. "Nach dem Motto: Bei uns werdet Ihr nicht verbrannt, sondern wir unterstützen Euch mit tollen Systemen, damit Ihr nach Feierabend nicht völlig kaputt umfallt, sondern noch die Kraft für Privatleben und Regeneration habt."