Vor-Ort-Einsätze bei Kunden sind in der Corona-Zeit für Servicetechniker nahezu ausgeschlossen - und auch in normalen Zeiten oft alles andere als günstig und schnell erledigt. Mittels Augmented-Reality-Technologie will der Filterspezialist Kemper darum den After-Sales-Support ändern und bei TAE Metalltechnik mit einer AR-Brille den Ausfall der Filteranlagen aus der Distanz verhindern.
Alles begann, als der Abreinigungsmechanismus in einer Filteranlage eines norwegischen Unternehmens nicht mehr einwandfrei funktionierte. Mehrere Stunden versuchte Kemper-Servicetechnker Andreas Lorenz, seinen Kunden per Telefon zu beraten und die Schwachstelle im System auszumachen. Doch keine Chance: Aus der Ferne ließ sich der Systemfehler nicht lösen. Die Folge: Die Anlage stand weiter still.
So packte Lorenz seine Koffer, reiste mit dem Flugzeug von Düsseldorf nach Oslo und gelangte von dort aus schließlich in die Produktion der norwegischen Firma. Fünf Minuten nachdem er erstmals einen Blick auf die Filteranlage geworfen hatte, hatte er den Fehler bereits entdeckt. Eine bestimmte Drahtbrücke, so klein und doch so maßgeblich, war nicht vorhanden. Nachdem Lorenz diese installiert hatte, lief die Filteranlage einwandfrei. Das war noch vor der Corona-Krise – und ist nur ein Beispiel, wie und mit welch großem Aufwand Service-Einsätze bisher teilweise abliefen.
Seit der Verbreitung des Covid-19-Erregers hat sich im direkten Kundenkontakt viel verändert. Während Unternehmen damit beschäftigt sind, die eigenen Mitarbeiter wieder in die Produktion zu holen und sie dort mit Abstands- und Hygieneregelungen zu schützen, bleiben Besuche von extern und damit auch die Wartung als Dienstleistung auf der ganzen Welt nahezu unmöglich. Dieser Zustand betrifft insbesondere den Service-Bereich mit voller Härte.
Vor-Ort-Einsätze wie der von Andreas Lorenz werden auch nach der Lockerung des Lockdowns nicht überall wieder möglich sein. Doch Kundenservice ist aktuell mehr denn je gefragt. Unternehmen suchen daher nach Lösungen, das Service-Geschäft aufrechtzuerhalten.
AR-Technik für effektiven Service
Schon lange hatte Kemper Pläne in der Schublade, seinen Service digitaler aufzustellen. Erste Tests waren erfolgreich gelaufen. Seit Ende 2019 beteiligt sich der Hersteller zudem am wissenschaftlichen Projekt PersonA zum datenschutzkonformen Einsatz von digitalen persönlichen Assistenzsystemen. Der erhöhte Bedarf auf Kundenseite beschleunigte nun die Einführung.
Das Service-Konzept heißt Kempervision und macht sich AR im direkten Vor-Ort-Support zunutze. Zentrales Tool dabei ist eine Augmented-Reality-Brille, die beim Kunden zum Einsatz kommt. Bisher in der Regel in Großunternehmen bei der standortübergreifenden Produktentwicklung im Einsatz, sichert sie nun die Zukunftsfähigkeit des unternehmenseigenen Services.
Was ist Augmented Reality?
Unter Augmented Reality (kurz: AR, dt.: Erweiterte Realität) versteht man gemeinhin das Einblenden von Informationen wie Text, Grafiken oder Videos in das Sichtfeld eines Menschen über ein entsprechendes Endgerät wie eine Brille. Der Nutzer kann dann zeitgleich die Informationen und seine reale Arbeitsumgebung sehen. Die Technik an den Brillen wird genutzt um zum Beispiel Reparaturanweisungen oder Schaltpläne live zur Verfügung zu stellen oder einem Kollegen in einem entfernten Büro mittels der in der Regel ebenfalls eingebauten Kamera ein Bild der Lage vor Ort zu übermitteln.
Bei der TAE Metalltechnik ist die im Service-Bereich wenig verbreitete Augmented Reality bereits im Einsatz. Trotz Krise arbeitet der metallverarbeitende Betrieb weiterhin unter hoher Auslastung. Der Lohnfertiger generiert sogar neue Aufträge. In der Produktion setzt TAE verschiedene Verfahren der Füge- und Trenntechnik ein.
Um seine Mitarbeiter vor den gesundheitsschädigenden Gefahrstoffen, die beim Schneiden oder Schweißen entstehen, zu schützen, hat eine effektive Absaugtechnik eine sehr hohe Relevanz. Daher sorgen bereits seit Jahren eine zentrale Filteranlage, ein Raumlüftungssystem sowie verschiedene mobile Absauggeräte für eine saubere Hallenluft. "Ein Ausfall käme einem längeren Produktionsstopp gleich. In Zeiten von Corona wäre eine Problembehebung durch eine externe Servicekraft bei uns vor Ort nicht so einfach möglich", betont Thomas Effing, Geschäftsführer bei TAE.
Augmented Reality als digitaler Service in der Instandhaltung
Doch ausgerechnet in dieser für reibungslose Produktionsabläufe sensiblen Zeit sendet die Filteranlage eine Fehlermeldung. Eigentlich könnte die Abstimmung mit dem Anlagenhersteller Kemper leichter nicht sein. Denn der TAE-Standort liegt nur wenige Gehminuten von der Kemper-Zentrale in Vreden entfernt. Besuch von außerhalb ist aber untersagt.
Nach dem Hilferuf von TAE konfiguriert der Service die AR-Brille unter Berücksichtigung der individuellen Anforderungen des Kunden. Per Kurier geht sie ein paar Straßen weiter, um die Problemlösung aus der Distanz schnell voranzutreiben. Mit im Gepäck: Ein mobiler 4G-Daten-Hotspot, um eine sichere Datenverbindung auch in Produktionen mit schlechter digitaler Infrastruktur aufzubauen.
Zur Diagnose und Problemlösung setzt sich Thomas Effing die Brille auf, schaltet sie per Plug & Play ein und startet sprachgesteuert die Kontaktaufnahme mit dem Kemper-Service. Am anderen Ende sitzt Techniker Andreas Lorenz und hat nun per Augmented Reality den direkten Blick auf die Anlage von Effing.
Eine hochauflösende Kamera fängt die Anlage aus der Sicht von Thomas Effing ein. Die AR-Brille leitet die Live-Bilder der AR-App unmittelbar auf den Bildschirm bei Kemper. Dort erkennt Lorenz quasi durch die Augen des Kunden, was in der Absauganlage vorgeht. Auf Grundlage der Live-Bilder beurteilt er, welche Änderungen nötig sind. Per Sprachkommunikation, die in der AR-Brille integriert ist, steht Lorenz im direkten Austausch mit Effing. Schnell ist klar, was die Fehlermeldung verursacht hat. Ein Parameter in der zentralen Steuerung muss nachjustiert werden.
Live-Schulung über AR-Brille
Lorenz sendet weiterführende Dokumente über den Aufbau der Steuerung auf das Micro-Display vor dem rechten Auge von Thomas Effing. Er erhält dadurch zusätzliche Informationen von Schaltplänen und anderen Details der Steuerung, um das Problem selbst zu beheben. Die zusätzlichen Informationen, die er über das rechte Auge in diesem Moment aufnimmt, kann er gleichzeitig für die Umsetzung an der Anlage nachvollziehen. Permanent leitet Service-Techniker Andreas Lorenz seinen Kunden dabei parallel über die Sprachfunktion an.
Dadurch erhält Effing eine Live-Schulung aus der Ferne, ist dabei aber immer unmittelbar in die Problemlösung direkt vor Ort involviert. Abschließend führt Lorenz seinen Kunden mittels visueller Einblendungen zu den betreffenden Stellen in der Anlage, die angepasst werden müssen.
Effing ist so in der Lage, den Fehler zügig zu beheben. Die Filteranlage ist danach wieder voll funktionstüchtig. Und so sind nicht nur die TAE-Mitarbeiter effektiv vor Schweißrauch und Schneidstaub geschützt. Der Betrieb erlangt darüber hinaus Rechtssicherheit für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsplatzgrenzwerte.
Voller Kostenvorteil ab 100 Kilometer Entfernung
Für Effing verspricht die AR-Technologie große Effizienzsteigerungen – auch über die aktuellen Kontaktbeschränkungen während der Coronakrise hinaus. „Ohne physisch bei uns in der Produktion zu sein, ist eine fremde Servicekraft in der Lage, unser Problem schnell und noch dazu kostengünstig zu beheben“, sagt Effing. Kempervision könne auch Vorbild für weitere Unternehmen sein, den Kundenservice aufrechtzuerhalten.
Dafür sprechen aus seiner Sicht insbesondere die schnelle Verfügbarkeit der Service-Lösung, der noch direktere Draht zu den Experten des Herstellers als in herkömmlichen Remote-Lösungen sowie am Ende sogar die Möglichkeit, Schulungen für die Anlagenbediener digital und im eigenen Wirkungskreis durchzuführen.
Vor allem aber die einfache Kostenstruktur sei am Ende ausschlaggebend dafür, dass sich die Technik aus TAE-Sicht weiter durchsetzen werde, so Effing. Kemper beispielsweise erhebt aktuell eine einmalige Ausleihgebühr von 248 Euro für die Nutzung der AR-Brille sowie zusätzlich 60 Euro pro geleisteter Servicestunde während des digitalen Kundensupports. So lohnt sich der Einsatz der AR-Brille bei Kempervision schon dann, wenn eine Servicekraft beispielsweise vom Standort im westlichen Münsterland ins Ruhrgebiet fahren müsste – also etwa ab einer Entfernung von circa 100 Kilometern von Hersteller zu Kunde.
Darüber hinaus – vor allem auch bei bis dahin notwendigen Auslandseinsätzen – spielt die AR-Technik ihre Vorteile um ein Vielfaches aus. Zum Vergleich: Allein an Reise- und Übernachtungskosten rief der Ad-hoc-Einsatz beim norwegischen Kunden von Kemper mehr als 2.000 Euro auf – und das für ein Problem, das bereits nach fünf Minuten gelöst war.
Kemper GmbH
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