Wörter regen in unseren Köpfen Bilder an. Der sprechende Begriff "Digitaler Zwilling" ist hierfür ein wunderbares Beispiel. Vor allem aber auch ein Beispiel dafür, dass die Vorstellungen, die in verschiedenen Köpfen entstehen, oft nicht deckungsgleich sind. So ist ein wichtiger Teilaspekt des digitalen Zwillings vordergründig vielleicht nicht für jeden offensichtlich. Laut der Gesellschaft für Informatik sind digitale Zwillinge mehr als reine Daten. Sie bestehen aus Modellen der Objekte oder Prozesse, die sie repräsentieren. Darüber hinaus können sie aber auch Simulationen, Algorithmen und Services enthalten, die Eigenschaften oder Verhalten des jeweiligen Objekts oder Prozesses beschreiben und beeinflussen. Oft bieten sie auch ergänzende Dienste an. Der digitale Zwilling ist damit meist deutlich "klüger" als die Anlage oder der Prozess, den er abbildet.
In vielen Fällen sammeln digitale Zwillinge Daten aus einem Prozess, reichern diese mit Informationen an und leiten daraus, zum Beispiel über Berechnungen, Konsequenzen für zukünftiges Handeln ab. Richtig genutzt ergeben sich somit zahlreiche Vorteile für Prozessoptimierungen und Verbesserung der Produktqualität. Aber wie erhält der digitale Zwilling mit relativ wenig Aufwand die dafür notwendigen Daten? Und wie wird es möglich, aus der Fülle der Daten die wirklich relevanten zu extrahieren und diese sinnvoll weiterzuverarbeiten?
Roboter als Herz und Kopf einer Teilanlage
Je nach Lösungsansatz gelangt man zu einem digitalen Zwilling nur, indem man weitere Hard- oder Software in die abzubildende Anlage integriert. In Robotik-Anwendungen gibt es aber einen relativ einfachen Weg, einen digitalen Zwilling zu realisieren. Dr. Sven Schmidt-Rohr, Geschäftsführer der ArtiMinds Robotics GmbH, erläutert: "Aus unserer Sicht ist ein digitaler Zwilling nur sinnvoll, wenn er einfach in den vorhandenen Prozess integriert werden kann. Wir sprechen bei unserer Lösung daher auch vom intelligenten Adapter für den digitalen Zwilling, weil sich damit sehr schnell und ohne den Einsatz weiterer Hardware ein digitaler Zwilling erzeugen lässt. Wir nutzen dazu den Roboter, der naturgemäß das zentrale Element einer Teilanlage ist. Er ist verknüpft mit Sensorik und Aktorik und kommuniziert mit diesen Komponenten ohnehin."
Sprich: Im Roboter sind sehr viele relevante Prozessdaten bereits vorhanden. Setzt man hier mit einer Lösung zur Datensammlung an, lässt sich diese kompakt integrieren und einfach verwenden (siehe Bild unten). Es entsteht eine schlanke Lösung, die sich mit wenig Aufwand in einen bestehenden Prozess einbinden lässt. Wie das konkret aussehen kann, zeigen die Robotik-Experten von ArtiMinds am Beispiel ihrer Robot Programming Suite (RPS).
Programme und Analysen via Drag-and-drop erstellen
Mit der RPS lassen sich in einem einzigen Tool Roboteranwendungen planen, programmieren, betreiben, analysieren und optimieren. Die No-Code-Programmierung ist herstellerunabhängig und wird per Drag-and-drop über einzelne Funktionsbausteine erledigt. Den nativen Robotercode erzeugt die Software dann automatisch. Trotz des einfach zu bedienenden Ansatzes lassen sich sehr komplexe Programme realisieren.
Diese Vorgehensweise verfolgt die Suite auch bei der Analyse. Mit dem Zusatzmodul Learning & Analytics for Robots (LAR) lassen sich Live-Sensordaten überwachen, analysieren und optimieren. Auch die Analysen werden mit wenigen Klicks und über die entsprechenden Parameter an die jeweilige Anwendung angepasst. Mit der LAR kann man also bereits in der Entwicklung den digitalen Zwilling erstellen. Er gibt dann detaillierte Einblicke in den robotergestützten Produktionsprozess.
Basierend auf der Programming Suite werden Live-Sensordaten von Roboter, Kraftsensor, Bildverarbeitungssystem und Endeffektor (sprich dem letzten Element der kinematischen Kette, also zum Beispiel dem Greifer oder Schweißkopf) von der Robotersteuerung übertragen. Die Sensordaten werden automatisch zerlegt, den einzelnen Bausteinen zugewiesen und dauerhaft in einer lokalen Datenbank beim Anwender gespeichert.
Zum Erstellen des intelligenten Adapters für den digitalen Zwilling navigiert der Roboter-Programmierer, basierend auf den einzelnen Funktionsbausteinen, durch die verschiedenen Sensordaten des Roboterprogramms. Schmidt-Rohr erläutert: "Jeder Baustein dient ja der Bewältigung bestimmter Aufgaben. Unser LAR-Tool macht nun abhängig von den einzelnen Bausteinen automatisch Vorschläge für geeignete Analyse- und Überwachungsoptionen. Auch hier wählt der Anwender dann aus vordefinierten 'Tiles', das heißt aus Analysemethoden, oder 'Rules', den Überwachungsmethoden, die für die jeweiligen Sensordaten interessant sein könnten, aus. Dieses Vorgehen reduziert die Einrichtungszeit drastisch. Zudem können auch Anwender ohne tiefgehende Expertenkenntnisse komplexe Prozesse verstehen." Zur Visualisierung der Prozessdaten lassen sich Dashboards einrichten (siehe unten stehendes Bild). Diese können Informationen aus verschiedenen Prozessen bündeln oder aber sehr detaillierte Analysen für spezielle Teilprozesse anzeigen.
Qualitätssteigerung und Prozessoptimierung
Von einem intelligenten digitalen Zwilling, der sich einfach einrichten lässt, profitieren Anwender auf vielfältige Weise (sie unten stehendes Bild). In Bezug auf Qualität werden in der automatisierten Produktion zwei Themen immer wichtiger: die digital unterstütze Anlagenwartung und die digital verwaltete Produktqualität. Beide sind bei genauer Betrachtung eng miteinander verknüpft.
Der intelligente Adapter für den digitalen Zwilling kann bei beidem helfen. Ohne zusätzliche Hardware sammelt er inline automatisch anfallende Sensordaten des Prozesses und wertet diese aus. So dokumentiert er detailliert das Prozessverhalten für jeden Tag und speichert die Historie des digitalen Zwillings ab. Man erhält also Einblicke in den Produktionsprozess, die zuvor nicht so einfach möglich waren. Anlagenbetreiber müssen sich nicht länger auf das Bauchgefühl oder das gute Ohr des langjährig erfahrenen Anlagenbetreuers verlassen, sondern haben klare Daten und Fakten, die den Zustand der Anlage und die Qualität der hergestellten Produkte widerspiegeln.
Die detaillierte Dokumentation des gesamten Prozessverhaltens für jeden Takt ist ein sehr hilfreiches Tool für die Prozessoptimierung und Qualitätssteigerung. Gerade bei sporadisch auftretenden Fehlern ist rückblickend oft schwer nachvollziehbar, was die Ursache dafür ist. Werden Prozessdaten aufgezeichnet, ausgewertet und konsequent abgelegt, lassen sich auch im Nachhinein noch Ursachenforschung betreiben und Fehler beheben.
Neben den historischen Daten zeigt der digitale Zwilling aber auch das aktuelle Prozessverhalten auf und hilft dabei, Anomalien in Echtzeit aufzuspüren. Gepaart mit cleveren Berechnungen kann automatisch ermittelt werden, welche Prozessanpassungen notwendig sind, um eine Anlagenstörung oder Produktqualitätsverletzungen zu verhindern. Das Start-Endpunkt-Analyse-Tile beispielsweise berechnet automatisch Vorschläge, wie das Roboterprogramm geändert werden kann, um auftretende Toleranzen in einem bestimmten Teilprozess optimal auszugleichen.
So wird es dem Anlagenbetreiber möglich, im laufenden Prozess schnell und zielgerichtet zu reagieren. Zudem lassen sich Vorhersagen treffen in Bezug auf Anlagenstörungen einerseits und Produktqualitätsverletzungen andererseits. Dazu überwacht bspw. das Epsilon-Tile, bei welchem Teilprozess die Sensordaten einen unerwarteten Verlauf nehmen. Schmidt-Rohr resümiert: "Diese Tiles sind nur zwei Beispiele für Analyse- und Überwachungsmethoden, die wir Anwendern standardmäßig zur Verfügung stellen. Mit diesen Methoden können sie mit sehr wenig Aufwand einen digitalen Zwilling erstellen, der ihnen hilft, über die gesamte Lebensphase einer Anlage ihre Leistung und die Produktqualität zu überwachen und gezielt weiter zu verbessern."
Was sind Tiles und Rules?
Unter Tiles verstehen die Roboterexperten konfigurierbare Ansichten auf rohe oder aufgearbeitete Daten der Roboterbewegung. Anwender können aus verschieden Typen von Tiles auswählen, etwa um Plots von Kraftverläufen oder Gelenkwinkelbewegungen zu sehen. Auch statistisch aufbereitete Ansichten ausgewählter Bausteine über Zeitverläufe hinweg oder deren Erfolgsraten lassen sich darstellen. Tiles können konfiguriert werden, etwa um die Daten auf den Achsen zu ändern (zum Beispiel Weg-Kraft Diagramme vs. Zeit-Kraft Diagramme). Die darunterliegenden Daten lassen sich flexibel austauschen. So können sich Anwender schnell einen Überblick über Prozesse verschaffen und neue Einsichten gewinnen.
Rules dagegen prüfen automatisch Daten, um festzustellen, ob bestimmte Eigenschaften erfüllt werden. Dabei teilen sie Durchläufe in zwei Kategorien ein: solche, die mit den Bedingungen übereinstimmen und solche, die sie verletzten. Beispielsweise können Anwender Schwellwerte für Prozessparameter definieren, also etwa die maximale und minimale Kraft während eines Fügevorgangs. Bewegt sich die Kraft außerhalb des zulässigen Bereichs, wird die Verletzung erkannt und der Anwender kann die Abweichung verifizieren und bewerten. Auch komplexere Analysen wie etwa das Verlassen definierter Bereiche aus Hüllkurven, die automatisch aus bestehenden Daten errechnet werden, sind möglich. Regeln können sowohl auf Archivdaten als auch auf aktuelle, gerade laufende Projekte angewendet werden.