Hybridlager mit keramischen (Siliziumnitrid-)Wälzkörpern und Stahlringen werden seit mehr als 50 Jahren gerne bei schnelllaufenden Präzisionsanwendungen eingesetzt. Sie verfügen über geringe Massenkräfte, hohen elektrischen Widerstand und gute Laufleistung auch unter schwierigen Schmier- und Verschmutzungsbedingungen. Deshalb werden sie bis heute verwendet - von der Nutzung in Antriebssträngen von E-Fahrzeugen bis zum Einbau in Industriepumpen und -kompressoren. Zwar funktionieren die Hybridlager dabei hervorragend und halten häufig um ein Vielfaches länger als Versionen aus Stahl, aber die Lebensdauerprognosen führten bisher meist zu einem gegenteiligen Resultat.
Das Problem ans Licht gebracht
Nach Ansicht von Guillermo Morales-Espejel, Principal Scientist bei SKF Research and Technology Development, liegt die oft falsche Einschätzung der Lebensdauer von Hybridlagern daran, dass die gängigen Standardmodelle zur Lebenszeitberechnung die Eigenschaften von Lagern nicht exakt genug abbilden. "Das herkömmliche Lagerlebensdauermodell basiert auf Ermüdungen unter der Oberfläche", erklärt er. "Während der Drehbewegung werden die einzelnen Komponenten eines Lagers dauerhaft be- und entlastet. Im Verlauf von Millionen Zyklen ermüdet das Material allmählich, was irgendwann zu einem Ausfall führt."
Dieses Ermüdungsverhalten ist gut erforscht. Deshalb können Ingenieure anhand der voraussichtlichen Belastungen und Drehzahlen einer Anwendung die nominale Lebensdauer einer bestimmten Lagerausführung ermitteln. Die dynamische Tragzahl C, die für jedes Lager im SKF- oder im Online-Produktkatalog zu finden ist, beziffert die langfristige Tiefenermüdung der Komponente. "Dieses Modell ist weit verbreitet und in international gültige Normen integriert, es wird der Leistungsfähigkeit von Hybridlagern aber nicht gerecht", erklärt Morales-Espejel.
"Keramikwälzkörper sind steifer als solche aus Stahl und verformen sich bei Belastung weniger. Hier konzentriert sich die Belastung auf einer kleineren Fläche des Materials, was zu einer höheren Beanspruchung und einer schnelleren Tiefenermüdung führt." Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Lager nur selten deswegen ausfallen. "Wir wissen aus der Praxis, dass die Mehrheit der Ausfälle auf Probleme an der Oberfläche zurückzuführen ist", sagt der Experte.
"Die Ausfälle basieren gewöhnlich auf Mangelschmierung oder Verunreinigungen." Analysen und Normen wie ISO 281 tragen diesem Umstand mit der Einführung von Korrekturfaktoren zwar Rechnung, dies half in Tiefenermüdungs-basierten Modellen jedoch nicht, das tatsächliche Verhalten von Lagern im Einsatz genau abzubilden. Deshalb begannen Morales-Espejel und seine Kollegen 2012, nach einer exakteren Lösung zu suchen.
Ein neues Modell entsteht
"Die Erstellung eines neuen Lagerlebensdauermodells setzte drei Dinge voraus", sagt er. "Erstens ein Modell für Tiefenermüdung innerhalb des Materials. Das lag bereits vor. Zweitens ein Modell für Versagen an der Oberfläche und drittens Daten aus Dauerprüfungen, die wir zur Kalibrierung und Validierung unseres Modells verwenden konnten." Das Team arbeitete in den folgenden zwei Jahren am neuen Modell. Basis waren jahrzehntelange Studien in Werkstoffkunde und Tribologie. Denn das neue Konzept erforderte detaillierte Kenntnisse über Lageroberflächen – von ihrem Reibungsverhalten bis hin zu der Art und Weise, wie sie unter Last von Schmutzpartikeln eingekerbt werden.
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Auf der Hannover Messe 2015 wurde zwar mit dem Generalized Bearing Life Model (GBLM) ein erstes Konzept vorgestellt, dies deckte aber noch nicht die Modellierung von Hybridlagern ab. "Zur Kalibrierung und Validierung eines Lagerlebensdauermodells sind sehr viele Daten nötig, und die Erfassung einer ausreichenden Menge an Informationen ist langwierig und nicht ganz einfach", erklärt Morales-Espejel. "Wir mussten Kurven erstellen, die das Verhalten von Lagern unter einer langen Reihe von Belastungen und Oberflächenbedingungen beschreiben. Für jeden einzelnen Punkt auf diesen Kurven prüften wir rund 30 Lager – immer mit der Hoffnung, dass mehrere davon ausfallen würden."
Das Team musste außerdem Lager mit Wälzkörpern aus Keramik mit solchen aus Stahl vergleichen sowie welche, die mit schlechter Schmierung und in verunreinigten Umgebungen eingesetzt wurden. So prüften die Experten in den SKF Einrichtungen in den Niederlanden und Österreich in den folgenden vier Jahren insgesamt mehrere hundert Komponenten und passten das bestehende Konzept an, bis Morales-Espejel und sein Team ihr neues GBLM für Hybridlager schließlich 2019 präsentieren konnten.
Erkenntnisse aus der Praxis
Welche Vorteile bringt das neue Modell nun Ingenieuren und Konstrukteuren konkret? "Wir wussten ja bereits, dass Hybridlager unter vielen Bedingungen ihre Vorteile haben", erklärt Morales-Espejel. "Wenn ein Lager unter hoher Belastung läuft, aber in einer sauberen, gut geschmierten Umgebung eingesetzt wird, ist Tiefenermüdung wahrscheinlich der Ausfallgrund. Dann ist ein Stahllager unter Umständen die bessere Wahl. Viele Lager arbeiten jedoch unter leichteren Belastungen, allerdings häufig mit schlechter Schmierung oder in verunreinigten Umgebungen. Unser Modell zeigt, ob eine Hybridlösung in einem solchen Setting eine längere Lebensdauer bietet, und kann dies quantifizieren."
Morales-Espejel und seine Kollegen haben Berechnungen für eine Reihe von repräsentativen realen Anwendungen angestellt. Dabei zeigte sich: Im Fall eines Pumpenlagers, das mit Ölbadschmierung betrieben wird und dessen Schmierung sich aufgrund verdünnten Öls verschlechtert, liegt die Lebensdauer eines Hybridlagers beispielsweise achtmal höher als die eines vergleichbaren Stahllagers. Bei einem Schraubenverdichterlager mit verunreinigtem Schmierstoff bietet ein Hybridlager im Vergleich sogar eine hundertmal längere Lebensdauer.
GBLM ermöglicht Entscheidungen aufgrund solider Daten
Nach umfassenden Prüfungen ist das GBLM für Hybridlager inzwischen fester Bestandteil des Kundensupport-Toolkits von SKF. Und das nicht ohne Grund. Fortschritte in der Fertigungstechnologie haben zu einer höheren Verfügbarkeit von Hybridlagern geführt und die Kostendifferenz zwischen Hybrid- und Stahllagern verringert. Gleichzeitig wächst die Zahl der Anwendungen sehr schnell, bei denen Hybridlager ihre bekannten Vorteile ausspielen können.
"In der Industrie zeichnet sich ein deutlicher Trend hin zu Schmierstoffen mit niedrigerer Viskosität und zu minimaler Schmierung ab", sagt Morales-Espejel. "Dass die Unternehmen zudem versuchen, Energie einzusparen, sowie die Einführung strengerer Umweltauflagen verstärken diesen Trend weiter. In Anwendungen, die von Schienenfahrzeugen und Automotoren bis hin zu Industriepumpen reichen, können unter den genannten Bedingungen nur Hybridlager die benötigte Kombination von niedrigem Energieverbrauch und hoher Zuverlässigkeit bieten."
Ein weiterer wichtiger Wachstumsbereich ist E-Mobilität. Elektrische Antriebsstränge für Pkw, Lkw und Züge erfordern Lager, die bei minimaler Schmierung hohen Drehzahlen, Beschleunigungen und Temperaturen standhalten können. Diese müssen außerdem Streuströmen widerstehen, die Schmierfilme wegbrennen und Laufflächen beschädigen können. Hybridlager sind dank ihrer sehr guten elektrischen Isolationseigenschaften die ideale Lösung für solche Anwendungen.
"Das Interesse an Hybridlagertechnologie ist so groß, dass unsere GBLM-Berechnungsprogramme von unseren Ingenieuren und Kunden im Durchschnitt 260 Mal pro Tag eingesetzt werden", freut sich Morales-Espejel. Er betont, dass Hybridlager im Vergleich zu herkömmlichen Ausführungen nicht immer die bessere Wahl sind, aber genau das ist der Grund, warum das neue Modellierungskonzept so wichtig ist. "Es geht nicht darum, alle Stahllager durch Hybridausführungen zu ersetzen, sondern genau dann, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist. Dank unseres GBLM für Hybridlager können Kunden diese Entscheidung jetzt auf der Grundlage von robusten, zuverlässigen Daten treffen."
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