Obwohl seit Jahrzehnten unterschiedliche Maßnahmen verfolgt werden, um die Instandhaltung zu optimieren ist der große Wurf sowie ein Paradigmenwechseln hin zum „Wettbewerbsfaktor“ Instandhaltung noch immer nicht erfolgt. Zweifelsohne tragen Konzepte wie beispielsweise TPM (Total Productive Maintenance), Assistenzsysteme in der Instandhaltung oder Predictive Maintenance dazu bei, Effizienzgewinne zu erzielen. Trotz alledem gab es an der grundsätzlichen Problematik keinen maßgeblichen Fortschritt. Die Instandhaltung der Zukunft soll im Gegensatz dazu einen völlig neuen Charakter bekommen: sie soll Werte schaffen statt Kosten zu verursachen und sie soll somit zu einer nachhaltigen, resilienten und gleichermaßen ultraeffizienten Fabrik beitragen!
Zur Person: Wilfried Sihn
Professor Wilfried Sihn ist Leiter des Forschungsbereichs Industrial and Systems Engineering am Institut für Managementwissenschaften der Technischen Universität Wien und Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH. Sihn wurde 1955 in Pforzheim geboren. 1976 bis 1982 studierte er Wirtschaftsingenieurwesen an der TH Karlsruhe. Er promovierte 1992 an der Universität Stuttgart
Die Fraunhofer Austria Research GmbH wurde Ende 2008 als erste europäische Tochtergesellschaft der Fraunhofer-Gesellschaft gegründet. In den beiden Geschäftsbereichen "Produktions- und Logistikmanagement" und "Advanced Industrial Management" in Wien, im Geschäftsbereich "Visual Computing" in Graz sowie den beiden Fraunhofer Innovationszentren "Digitale Transformation der Industrie" in Tirol und "KI4LIFE" in Kärnten arbeiten rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an anwendungsorientierten Lösungen.
In unserer Vision der instandhaltungsfreien Fabrik wird der Produktions- und damit Wertschöpfungsprozess frei von nicht wertschöpfenden und damit den Produktionsprozess störenden oder unterbrechenden Instandhaltungstätigkeiten gehalten. Instandhaltungsmaßnahmen werden immer notwendig sein, aber nicht innerhalb des eigentlichen Produktionsprozesses. Dass so ein radikaler Schritt möglich ist, haben in der Vergangenheit Ansätze wie SMED (Single Minute Exchange of Die) oder die Null-Fehler-Produktion gezeigt. In Anlehnung an das SMED-Konzept ist der Produktionsprozess vom Instandhaltungsprozess zu trennen. Instandhaltungsmaßnahmen müssen dann durchgeführt werden, wenn der Produktionsprozess nicht gestört wird.
Gezielte prädiktive Instandhaltung
Dazu sind zwei grundsätzliche Maßnahmen notwendig. Der ungeplante Störungsanteil ist durch gezielte prädiktive Instandhaltung zumindest an den Schwerpunktanlagen in planbare vorausschauende Maßnahmen umzuwandeln, die dann außerhalb des Produktionsprozesses durchzuführen sind. Hierzu sind neue KI und datenbasierte Methoden zu entwickeln, und modernste Digitalisierungstools, wie z.B. intelligente Sensoren und Aktoren sind notwendig. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Maßnahmen an unterschiedlichen Stellen zu initiieren - sei es durch optimierte Instandhaltungsprozesse, instandhaltungsoptimiertes Anlagendesign (Maintainability), Gestaltung eines resilienten Produktionssystems oder durch eine wissensbasierte Instandhaltung.
Stillstände für Wartung nutzen
Andererseits sind für die Instandhaltung völlig neue, innovative und flexible Arbeitszeitmodelle gemäß dem Arbeitsanfall zu entwickeln. Das notwendige radikal andere Verständnis der Arbeitsorganisation führt zu jener Flexibilisierung, welche benötigt wird um die nicht wertschöpfenden Tätigkeiten aus dem Prozess zu nehmen. In diesem Sinne werden jegliche Stillstände beispielsweise bedingt durch Materialengpässe oder Pausenzeiten in der Produktion für Instandhaltungstätigkeiten genutzt. Gerade in diesem Zusammenhang ist eine Integration der Instandhaltungsplanung in die Produktionsplanung und -steuerung des Unternehmens sowie eine optimierte Kommunikationsform zwischen den Beteiligten besonders wichtig.
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Umgesetzt kann so ein Modell beispielsweise werden, indem ein Bereitschaftsdienst für die Instandhaltung mit klassischen Schichtmodellen kombiniert wird, Schichtmodelle der Produktion und Instandhaltung überlappend geplant werden oder auch systemunterstützte Regelwerke für die Kommunikation genutzt werden. Den Kosten für solch eine Flexibilisierung insbesondere durch Schicht- und Nachtzuschlägen steht eine Steigerung der Anlagenproduktivität sowie eine Reduktion von Überstunden bedingt durch ungeplante Stillstände gegenüber. In vielen Fällen – insbesondere je anlagenintensiver und automatisierter eine Fabrik ist – wird der dadurch erzielbare Nutzen deutlich höher als der Initialaufwand zur Flexibilisierung der Arbeitsorganisation sein.
Arbeit bekommt einen neuen Charakter
In der Vision der instandhaltungsfreien Fabrik verändert sich aber auch die Art der Arbeit in der Fabrik und erhält einen neuartigen Charakter. Insbesondere sehen wir eine Reduktion von kurzfristigen operativen Tätigkeiten und eine Zunahme von strategischen und taktischen Elementen. Dieser Wandel, aber auch die neuen Anforderungen im Bereich der Informationstechnologie und Datenanalyse erfordern eine Vielzahl von neuen und erweiterten Kompetenzen. In diesem Zusammenhang wird es auch notwendig sein, das Berufsbild der Instandhalterinnen und Instandhalter neu zu definieren.
Alle Stakeholder einladen
Um die Vision der instandhaltungsfreien Fabrik zum Leben zu erwecken ist es nun notwendig, alle Stakeholder einzuladen diesen Weg gemeinsam zu bestreiten und konkrete Lösungsbausteine dazu gemeinsam zu erforschen und zu entwickeln. Denn um den konsequenten Einsatz von innovativen Instandhaltungsmethoden und -strategien zu forcieren und neue intelligente Arbeitszeitmodelle für die Instandhaltung zu ermöglichen, benötigt es einen Dialog zwischen Anlagenherstellern, -betreibern sowie Servicedienstleistern.
Darüber hinaus müssen die Bereiche der Produktion und Instandhaltung näher zusammenrücken und klassisches Inseldenken hinter sich lassen. Nicht zuletzt wird es auch wichtig sein, die Gewerkschaften und Sozialpartner auf dem gemeinsamen Weg mitzunehmen. Somit wird die Instandhaltung zum Wertfaktor für die Fabrik der Zukunft!