Expertentalk Dassault Systèmes in der SV-Panoramalounge

Experten im Live-Talk: Auf Einladung von Dassault Systèmes und des Fachmagazins Produktion diskutierten (von links): Claus Wilk (Chefredaktion Produktion), Oliver Göbel (Leiter des DELMIA Industry Process Consultants Teams), Rabea Böhme (Geschäftsführerin Ab Ovo Deutschland GmbH), Marko Weisshaar (Interim Management) und Oliver Reisch (Dassault Systemes, Sales Export Director) (Bild: mi connect)

Aktuell melden 60 Prozent aller deutschen Unternehmen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Probleme bei ihrer Teileversorgung. In China, dem wichtigsten Handelspartner Deutschlands, sind wegen der Corona-Ausbrüche ganze Städte in wochenlange Lockdowns geschickt worden. Waren wurden weder produziert, noch transportiert - wenn sie überhaupt ankommen, dann meist außerhalb der normalen Lieferfrist.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch das Transportgewerbe Mitarbeitermangel meldet, was wiederum dramatisch gestiegene Lieferzeiten zur Folge hat. Der Industrie bleibt kaum noch Zeit, um Lösungen zu finden. Der Druck im Kessel ist hoch. Jetzt hängt erfolgreiches Supply Chain Management zunehmend davon ab, wie effizient Unternehmen einen agilen Informationsaustausch umsetzen - und zwar mit allen Partnern entlang der Lieferkette. Dazu Rabea Böhme, Geschäftsführerin Ab Ovo Deutschland: "Seit 2020 hat uns Corona immer wieder sehr eingeschränkt in der Lieferkette. Als dann ein Containerschiff tagelang den Suezkanal blockierte, hat man noch gesagt, statistisch gesehen werden uns solche Dinge nicht so oft begegnen. Das haben wir jetzt hinter uns."

Vorbereitung des Expertentalks durch TVT
Die Panoramalounge in der 26. Etage des Süddeutschen Verlags in München verwandelte sich für einen Vormittag in eine professionelles TV-Studio. (Bild: mi connect)

Varianten zu reduzieren und Rohstoffe zu substituieren ist eine Herausforderung

Marko Weisshaar, Eigentümer der MW Interim Management Supply Chain Coaching & Consulting, ergänzt: "Man sieht, wie die Welt miteinander vernetzt ist, und wie anfällig sie eigentlich auf Störungen reagiert. Wir wissen alle, dass die Covid-Pandemie noch längst nicht vorbei ist. Unklar ist, was im Winter oder im nächsten Frühjahr konkret auf uns zukommt." Die Perspektive ist alles andere als rosig: In der Ukraine tobt ein „Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland“, so Weisshaar, und die zunehmenden Naturkatastrophen mit ihren gravierenden Auswirkungen auf die Infrastruktur setzen den Lieferketten zusätzlich zu. Viele Unternehmen flüchten sich daher in eine Hoffnung: Die Reduzierung der Variantenvielfalt und die Substitution kritischer Rohstoffe. "Vielfalt bringt immer eine gewisse Komplexität mit sich, die für die Anfälligkeit von Lieferketten und damit für Probleme sorgen kann. Das Ganze zu reduzieren, bleibt allerdings eine große Herausforderung", betont Dr. Oliver Göbel, Leiter des DELMIA Industry Process Consultants Teams. Auf der anderen Seite gibt es Ansatzpunkte in der Supply Chain selbst, wie etwa das Thema Modularisierung. Sein Rat: „Es gilt, gewisse Wege in der Supply Chain zu vereinheitlichen oder dafür zu sorgen, dass eine Diversifikation erst zu einem späten Zeitpunkt stattfindet“. Ein Thema, das nicht nur komplexe Logistikprozesse voraussetzt, sondern auch in routinierte Fertigungsabläufe eingreift.

Expertentalk im SV-Hochhaus
Entspannte Stimmung: Vor dem Expertentalk tauschten sich Fachleute und Gäste über die aktuelle Lieferkettensituation aus. Über ein Live-Streaming schalteten sich bundesweit Produktionsverantwortliche dazu. Einige nutzten die Gelegenheit, Fragen an die Runde zu stellen, die live beantwortet wurden. (Bild: mi connect)

„Die Kunden streben zunehmend nach Individualität“

Marko Weisshaar ist überzeugt: „Die Disruption in der Lieferkette entsteht doch genau deshalb, weil die Unternehmen ihre Lieferketten nicht kennen.“ EU und die deutsche Gesetzgebung zwingen die Unternehmen zum Handeln: Dabei geht es um unternehmerische Sorgfaltspflicht bezüglich der Lieferketten einerseits, aber auch um die Erfüllung der Novelle des Bundesklimaschutzgesetzes, des EU Green Deals und des EU-Lieferkettengesetzes andererseits. Damit sei der Startschuss gemacht, ist Weisshaar überzeugt: „Das Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz wird zumindest dafür sorgen, dass man seine gesamte Prozesskette kennt. Und darauf kommt es an.“
Denkt man an Konzepte wie Just-In-Sequence und Just-In-Time, war es lange üblich, Varianten in der Software abzubilden. „Diese Variantenvielfalt wird sich reduzieren“, ist Dassault Systèmes-Manager Reisch überzeugt. Bei Elektronik und Digitalisierung im Fahrzeug könne man heute immer mehr Varianten in der Software abbilden. Was dazu führt, dass noch bis zu sieben Tagen vor Produktionsstart Änderungen in der Bestellung möglich sind. Weil die Kunden zunehmend nach Individualisierung streben, bleibt die große Vielfalt wohl weiter bestehen.

Expertentalk Sitzordnung
Die Sitzordnung war schnell gefunden: Rabea Böhme nahmen die Herren des Expertentalks in ihre Mitte. (Bild: mi connect)

In allen Branchen herrscht ein Verdrängungswettbewerb

Neben den weltweiten Lieferketten, steht aktuell auch das Verhältnis zwischen OEMs, Logistikern und Zulieferern unter Druck. "Die Form der Zusammenarbeit verändert sich branchenübergreifend", konstatiert Rabea Böhme. "Das ist nicht nur in der Automobilindustrie, zu beobachten, sondern in allen Branchen. Die Konsequenz: "Die Preise steigen und nur wer bereit ist, diese zu zahlen oder entsprechend gute Verträge verhandelt hat, bekommt Kapazitäten."
Es scheint also, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Logistikdienstleistern und Automobilherstellern und Zulieferern verschiebt - vermutlich zugunsten der Logistikdienstleister, weil sie gerade am längeren Hebel sitzen. Eine durchgängige Datenkette über alle Gewerke bis hin zur Logistik auf Augenhöhe könnte Abhilfe schaffen, ist Supply Chain Experte Weisshaar überzeugt: "Auf der Logistik-Dienstleisterseite herrscht ein regelrechter Verdrängungswettbewerb. Die Großen werden hier immer größer. Andererseits tummeln sich auf der Herstellerseite mehr neue Player am Markt. Dennoch besitzen die OEMs offensichtlich eine derartige Marktmacht, dass ich das Kräfteverhältnis als ausgeglichen bezeichnen möchte." Mit ‚Global Carbon Footprint’ lassen sich auch Kosten sparen
Ein Aspekt, der alle Player in der Lieferkette unabhängig vom Kräfteverhältnis angeht, ist die Reduzierung von Kohlendioxid, Stichwort ‚Global Carbon Footprint’. Dazu Dr. Oliver Göbel: "Der ‚Global Carbon Footprint’ wird beim Thema Supply Chains natürlich eine große Rolle spielen. Wir sind in einer Phase des Wandels, wo der Fokus immer mehr auf die Nachhaltigkeit geht. CO2-Ausstoß ist dabei ein sehr wichtiger Aspekt."
Auch für Marko Weisshaar ist ganz klar: "Wenn ich darauf achte, dass ich so wenig wie möglich CO2-Ausstoß in meiner Lieferkette generiere, habe ich nicht nur gleichzeitig Transportkosten eingespart, sondern auch Transporte selbst. Das heißt doch, wir müssen weit mehr unternehmen, um CO2 einzusparen. Erst dann gehen wir alle in die gleiche und vor allem in die richtige Richtung."

Aufzeichnung des Expertentalks

Sie haben das Live-Streaming vom Expertentalk aus der Panoramalounge des Süddeutschen Verlags verpasst? Kein Problem! Hier können Sie nochmal in die spannende Diskussion mit Lösungen für einen zügigen Reset der Lieferketten eintauchen.

Sie möchten gerne weiterlesen?

Dieser Beitrag wird präsentiert von: