
Ministerpräsident Winfried Kretschmann will Baden-Württemberg zum wichtigen Player in Sachen Rüstungsindustrie machen. (Bild: Staatsministerium Baden-Württemberg / Dieter Meyer)
Europa steht vor einer sicherheitspolitischen Zeitenwende. Der Angriffskrieg auf die Ukraine, geopolitische Spannungen und eine veränderte Bedrohungslage fordern eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht darin eine Chance für Baden-Württemberg. Das Bundesland, ohnehin stark in Hochtechnologie und Maschinenbau, soll eine tragende Rolle in der europäischen Rüstungsindustrie übernehmen.
„Das wird ein neuer industrieller Schwerpunkt für Baden-Württemberg werden, da bin ich mir sicher„, sagte Kretschmann in einem Interview mit dem „Südkurier“. Europa müsse seine Verteidigung selbst in die Hand nehmen und eine potente Rüstungsindustrie aufbauen – „und da wollen wir in Baden-Württemberg mitmischen“, sagte Kretschmann. „Das wird ein neuer industrieller Schwerpunkt für Baden-Württemberg werden, da bin ich mir sicher.“
Diehl Defence am Bodensee sei bereits ein weltweit führender Anbieter von Luftverteidigungssystemen und beweise, dass technologische Exzellenz aus dem Südwesten Europas Verteidigung nachhaltig beeinflussen könne.
Welche Unternehmen profitieren vom Rüstungsboom?
Diehl Defence ist nicht das einzige Unternehmen, das von Kretschmanns Vision profitieren könnte. Baden-Württemberg beheimatet eine Vielzahl von Hochtechnologieunternehmen, die bereits heute eine Rolle in der Rüstungsbranche spielen oder mit ihren Kompetenzen leicht in den Sektor einsteigen könnten. Dazu zählen:
- Rheinmetall – Der Konzern mit Sitz in Düsseldorf betreibt wichtige Standorte in Baden-Württemberg und liefert militärische Fahrzeuge, Munition und Technologien für die Bundeswehr und NATO-Partner.
- Hensoldt – Das Unternehmen mit Niederlassungen in Ulm ist führend im Bereich Sensorik und Radarsysteme für militärische Anwendungen.
- Liebherr-Aerospace – Mit Standorten in Lindenberg und Friedrichshafen produziert Liebherr Fahrwerke und Hydrauliksysteme für Militärflugzeuge.
Die zunehmende Nachfrage nach Verteidigungssystemen könnte diesen Firmen neue Marktchancen eröffnen. Experten rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Investitionen in Rüstungstechnologie – nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch andere europäische Länder.
Welche ethischen Debatten löst der Vorstoß aus?
Winfried Kretschmann geht mit seiner Haltung auf Konfrontationskurs zu traditionellen pazifistischen Strömungen innerhalb der Grünen. Seine klare Aussage „Ich war noch nie ein Pazifist“ zeigt, dass er eine pragmatische Perspektive einnimmt. Doch die Frage bleibt: Wie weit darf oder sollte ein Bundesland in den Rüstungssektor investieren?
Die Kritiker argumentieren, dass eine verstärkte Rüstungsproduktion langfristig zu mehr Konflikten führen könnte. Waffenexporte sind ein heikles Thema, insbesondere wenn sie in Spannungsgebiete geliefert werden. Kretschmann stellt jedoch klar: „Es darf uns immer nur um Verteidigung gehen. Rüstung ausbauen, um sie nicht einsetzen zu müssen, muss die Prämisse sein.“
Das Prinzip der Abschreckung steht dabei im Mittelpunkt. Durch eine starke Verteidigungsindustrie soll verhindert werden, dass Aggressoren überhaupt erst einen Angriff wagen. Doch ob diese Strategie langfristig trägt, bleibt umstritten.
Wie verändert der Verteidigungssektor die Wirtschaft Baden-Württembergs?
Der geplante Ausbau der Rüstungsindustrie könnte tiefgreifende wirtschaftliche Veränderungen mit sich bringen. Mögliche Effekte sind:
- Wirtschaftswachstum: Neue Aufträge für Unternehmen könnten zu steigenden Umsätzen und höheren Investitionen in Forschung und Entwicklung führen.
- Arbeitsplätze: Die Nachfrage nach Fachkräften im Bereich Maschinenbau, Softwareentwicklung und Elektronik könnte steigen.
- Technologische Innovationen: Viele Technologien aus der Rüstungsbranche finden auch zivile Anwendungen, etwa in der Luft- und Raumfahrt oder der Automobilindustrie.
Doch die Rüstungsindustrie ist auch stark von politischen Entscheidungen abhängig. Exportbeschränkungen oder veränderte geopolitische Lagen können Auftragslagen abrupt verändern. Unternehmen müssen flexibel bleiben, um Risiken abzufedern.
Wird Baden-Württemberg zum Zentrum der europäischen Verteidigungsindustrie?
Der Vorstoß von Ministerpräsident Kretschmann markiert eine Neuausrichtung der Industriepolitik im Südwesten. Baden-Württemberg verfügt über die technologische Basis, um eine führende Rolle in der europäischen Verteidigungsindustrie einzunehmen. Unternehmen wie Diehl Defence, Rheinmetall und Hensoldt stehen bereit, um vom wachsenden Markt zu profitieren.
Doch mit der wirtschaftlichen Chance gehen auch ethische und sicherheitspolitische Fragen einher. Der Ausbau der Rüstungsindustrie könnte Arbeitsplätze schaffen und Innovationen fördern, doch Kritiker warnen vor einer Militarisierung der Wirtschaft.
Ob Baden-Württemberg in den kommenden Jahren zu einem der führenden Standorte für Verteidigungstechnologie wird, hängt nicht nur von politischen Entscheidungen in Deutschland ab – sondern auch von der Entwicklung der globalen Sicherheitslage.
Mit Material der dpa