Das Bosch-Werk in Salzgitter steht vor einer Herkulesaufgabe: Zum einen soll die industrielle Fertigung CO2-neutral werden. Zum anderen findet zeitgleich eine Transformation im Produktportfolio statt - nämlich die Umstellung vom Zulieferer von Motorsteuerungen für Benzin- und Dieselmotoren zu Elektronikbauteilen für Elektrofahrzeuge.
Dazu hat Bosch gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut ein Simulationsmodell entwickelt, um die Fabriktransformation in der Pilotfabrik Salzgitter besser umsetzen zu können. "Daran ist zu erkennen, wie sich Wasserstofftechnologien in der Industrie nutzen lassen", erklärt Sabrina Zellmer, Abteilungsleiterin, Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST).
"Wir haben uns Wasserstoff auf der Grundlage von Erzeugung und Anwendung angesehen, um Zukunftsszenarien abbilden zu können und welche Investitionen dafür notwendig sind - aber auch welche Resultate daraus erzielt werden. Das konnten wir direkt in der Pilotfabrik umsetzen, um zu erkennen, welchen Einfluss die Implementierung von H2 auf das Fabriksystem hat und welche Wechselwirkungen es gibt", führt Zellmer weiter aus. Durch den konkreten Austausch der Datenbasis in einem digitalen Modell ließe sich gezielt Einfluss auf die unterschiedlichen Szenarien nehmen, so dass eine Sensitivitätsanalyse erfolgen könne.
"Für Wasserstoff gibt es zahlreiche Einsatzgebiete: Bei der technischen Gebäudeausrüstung und in der Logistik – vor allem, wenn die Intralogistik oder auch die Nutzfahrzeuge noch mit konventionellen Antrieben betrieben werden. Und natürlich je nachdem, welche Produktionsprozesse in der Fabrik abgebildet werden," sagt Sabrina Zellmer, Abteilungsleiterin, Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST).
Über das Simulationsmodell sagt Michael Gensicke, Technischer Werkleiter und Geschäftsführer der Robert Bosch Elektronik GmbH Salzgitter, dass es nicht nur um die Transformation zur Klimaneutralität geht, sondern auch um Transformation des Portfolios: "Es gibt viele unterschiedliche Betriebszustände in unserer Fabrik – so wie derzeit zum Beispiel die Kurzarbeit. Aber auch so etwas kann ein digitales Model abbilden."
Transformation des Portfolios im Bosch-Werk Salzgitter
Das eigentliche Hauptprodukt im Werk Salzgitter ist laut Gensicke eine Motorsteuerung für Benzin- und Dieselmotoren. "Das ist ein Geschäft, das sicherlich nicht enorm wachsen wird, stagnieren wäre sogar noch optimistisch ausgedrückt. Somit befinden wir uns in einer Portfoliotransformation und schalten auf andere Komponenten um: Zum einen auf die Batterien, denn wir entwickeln Leiterplatten und beschicken hybride beziehungsweise vollelektrifizierte Fahrzeuge. Gleichzeitig entwickeln wir sogenannte High performance computing platforms, die die Vernetzung zwischen Aktuatoren, Sensoren, Rechnerebne und Datennetzen in der Cloud sicherstellen." In dieser Branche gebe es ein Wachstum von zehn Prozent pro Jahr.
"Die Brennstoffzellen haben eine sehr hohe Effizienz von etwa 85 Prozent. Jede Einheit leistet etwa zehn Kilowatt elektrisch und drei Kilowatt thermisch", sagt Michael Gensicke, Technischer Werkleiter und Geschäftsführer der Robert Bosch Elektronik GmbH Salzgitter.
CO2-Footprint durch PV, Fernwärme und Wasserstoff reduzieren
"Unser CO2-Footprint lag im Jahr 2019 bei circa 9.800 Tonnen. Durch Photovoltaik werden wir - nach einer geplanten Verdoppelung - auf rund fünf Megawatt grün produzierten Strom kommen", sagt Gensicke und verweist zudem auf den Einsatz von Fernwärme, da durch die Stahlerzeugung der Salzgitter AG in der Nähe ein großes Potenzial an Abwärme vorhanden ist.
"Deswegen haben wir uns auch für keinen neuen Gasbrenner entschieden, was eine Entscheidung für die nächsten 15 bis 20 Jahre gewesen wäre. Wir haben uns aber für den Anschluss an die Fernwärme entschieden und somit statt Gasbrenner einen Wärmetauscher eingebaut. Somit wird nahezu die gesamte Wärme, die wir brauchen, von der Salzgitter AG an uns geliefert", freut sich Gensicke. Idealerweise erzeuge die Salzgitter AG in einigen Jahren den Stahl nicht mehr durch Koks und Kohle sondern durch Wasserstoff, wodurch die Sektorenkopplung von anderer Bedeutung sein werde.
Die Sektorenkopplung bezeichne die umfassende Vernetzung aller Sektoren der Energiewirtschaft und Industrie - also den Austausch von Energie, um wirklich alle fossilen Brennstoffe wie Gas, Kohle und Benzin zu ersetzen.
Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie
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Was stationäre Brennstoffzellen für den Anwender bedeuten
Gensicke erklärt, dass die stationären Brennstoffzellen in der Energiezentrale installiert sind. "Davon haben wir fünf nebeneinander und sind somit die erste Bosch-Fabrik, die mit so etwas ausgestattet ist. Wir werden noch fünf weitere Brennstoffzellen hinzufügen und in unsere Werk-Peripherie integrieren", blickt der Werkleiter nach vorn.
"Die Brennstoffzellen haben eine sehr hohe Effizienz von etwa 85 Prozent. Jede Einheit leistet etwa zehn Kilowatt elektrisch und drei Kilowatt thermisch", sagt Gensicke. Das Thema Elektrifizierung stehe klar im Vordergrund, denn der Fokus liege auf der effizienten Stromproduktion, die Wärme werde mitgenutzt.
"Für den Anwender bedeutet das, dass die Brennstoffzellen eine Transformation vom Erdgas zum Wasserstoff ermöglichen, denn sie sind auch einfach mit Erdgas betreibbar. Erst über einen Tank, später über eine Pipeline können wir den Wasserstoff langsam bis zu 100 Prozent hochfahren. Das System ist demnach skalierbar", beschreibt Gensicke.
Er läutert zudem, dass die Wirksamkeit der Brennstoffzellen bei geringer Emission hoch ist und sie auch geräuscharm sind. "Nachdem Wind und Sonne nicht immer vorhanden sind, müssen wir auch über Speichermedien nachdenken - womit wir natürlich bei Wasserstofftanks und Batteriespeichern wären", stellt Gensicke dar.
Spannungsspitzen: Einige hunderttausend Euro gespart
Was das alles bringt, weiß Gensicke zu beantworten: "Natürlich habe ich Investitionen, aber wir sparen jetzt schon deutlich Energiekosten. Durch die Versorgung, die wir machen, bauen wir Spannungsspitzen ab. Damit diese normalerweise vorgehalten werden, zahlen Firmen viel Geld. Die Spannungsspitzen haben wir nicht mehr, so dass wir einige hunderttausend Euro sparen. Ich finde zwar einen ROI der PV-Anlagen von neun bis elf Jahren nicht ansprechend, aber wir haben uns bei Bosch dafür entschieden. Unser CO2-Ausstoß liegt in etwa bei einer Halbierung. In Summe sind wir durch den Kauf von Zertifikaten schon CO2-neutral, aber darauf ruht sich bei Bosch keiner aus. Das ist das Signal."
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