
DC-Microgrid bei einer Testanlage für Karosseriebau bei BMW in Dingolfing. Durch die hohe Dynamik der Roboter ist das Einsparpotenzial beim Stromverbrauch durch den Wechsel von AC- auf DC-Technologie besonders hoch. (Bild: Daniel Schvarcz, Lapp)
Der 'Stromkrieg' in den USA endete 1890 mit einem bis heute geltenden Ergebnis: Für den Aufbau des Stromnetzes in Nordamerika setzte sich die Wechselstromtechnologie (AC) von Nikolas Tesla gegen die Gleichstromtechnologie (DC) von Thomas Alva Edison durch. Die Vorteile des Wechselstroms enden aber an der Steckdose, denn die meisten Geräte und Maschinen wandeln ihn zuerst intern in nutzbaren Gleichstrom um.
Doch nun nimmt der Umstieg auf Gleichstromnetze innerhalb von Gebäuden und Fertigungslinien Tempo auf. Die System-Konzepte sind geschrieben, Simulationsmodelle zur Abschätzung der Wirtschaftlichkeit vorhanden und erste Hersteller bieten industriell gefertigte, skalierbare Systemkomponenten. Was bringt der Umstieg?
Was sind die Vorteile eines DC-Bus-Systems?
„Durch zahlreiche wissenschaftliche und real umgesetzte Projekte wissen wir, dass DC-Mikronetze effizienter sind, eine geringere Anschlussleistung benötigen und Rohstoffe einsparen können“, betont Dominik Maihöfner, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Open DC Alliance (ODCA) beim ZVEI. Die Nutzerorganisation mit 71 Mitgliedern aus Industrie und Wissenschaft ist aus dem Forschungsprojekt DC-Industrie2 hervorgegangen.
Die dort entwickelte System-Beschreibung für DC-Netze ist für ihn der Schlüssel für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit bei der Stromnutzung weltweit. „Wir entwickeln offene und frei zugängliche Standards, um Barrieren abzubauen, damit sich DC-Netze schneller durchsetzen. Das Ziel ist es, interoperable Systeme zu schaffen, die den breiteren Einsatz von DC-Technologien ermöglichen“, sagt der Leiter der Arbeitsgemeinschaft.


Dominik Maihöfner, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Open DC Alliance (ODCA) beim ZVEI: „Wir entwickeln offene und frei zugängliche Standards, um Barrieren abzubauen, damit sich DC-Netze schneller durchsetzen."
Wie reduziert DC-Technologie den Stromverbrauch?
Bei einem industriellen DC-Mikronetz wird der AC-Strom hocheffizient in Gleichstrom gewandelt. Hierüber werden angeschlossene Geräte und Maschinen versorgt, die PV-Anlage speist den erzeugten Gleichstrom ins Netz ein und Batterien speichern ihn.
Ein wichtiger Vorteil ist die im Vergleich zur AC-Stromverteilung geringere Anschlussleistung. „Wir haben reale Beispiele, bei denen je nach Anwendung die Anschlussleistung um bis zu 85 Prozent niedriger ausgelegt werden konnte“, so Maihöfner. Kontinuierlich mit geringer Leistung aufgeladene Speicher fangen Spitzenverbräuche ab. Das hat direkte Auswirkungen auf Projekte: Hoher Energiebedarf kann in der bestehenden Infrastruktur gewährleistet werden, womit Genehmigungen für Neubauten oder Umbauten einfacher zu erhalten sind. Gerade bei Neuinstallationen kann es mehrere Jahre dauern, bis zur Zusage für höhere Anschlussleistungen.
Wo wird der DC-Bus in der Industrie eingesetzt?
„In Zukunft begegnen wir wahrscheinlich mehr und mehr Gleichstrom, ausgehend von DC-Microgrids“, prophezeit Alois Heimler, Industry Manager Intralogistics & Automotive, von Lapp: „Das Zauberwort heißt weniger Spannungswandlungen.“ Die Lapp Gruppe ist einer der führenden Anbieter für Kabel und Stecker bis zu komplett integrierten Verbindungslösungen. Als Partner hat das Familienunternehmen beispielsweise bei einem süddeutschen Automobilhersteller eine Testanlage für den Karosseriebau mit DC-Verbindungstechnik ausgerüstet.


Alois Heimler, Industry Manager Intralogistics & Automotive, von Lapp: „Das Zauberwort heißt weniger Spannungswandlungen.“
Automobilhersteller nutzt DC-Netz im Karosseriebau
Durch die hohe Dynamik der Roboter ist das Einsparpotenzial beim Stromverbrauch besonders hoch. Roboter benötigen kurzzeitig viel Energie zum Beschleunigen. Die beim Abbremsen entstehende Energie geht in AC-Netzen in der Regel durch Bremswiderstände als Wärme verloren.
Anders im DC-Netz: „Hier wird die Energie in den DC-Zwischenkreis, in andere DC-Verbraucher oder in Energiespeicher gespeist. Somit kann die Energie ohne große Wandlungsverluste zentral für alle Verbraucher an das Netz zurückgeschickt werden“, erklärt Heimler. Er schätzt die erzielbaren Einsparungen bei einer Umstellung auf DC, je nach Anlage und ihrer Auslastung, auf bis zu 15 bis 20 Prozent.
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Warum sinkt der Materialverbrauch durch Gleichstrom?
Als erster Hersteller hat Lapp ein Leitungsportfolio für verschiedene Anwendungen im Niederspannungsbereich entwickelt. Bei BMW in Dingolfing kommen bei den Robotern der Anlage Ölflex DC Robot zu Einsatz. Alle DC-Leitungen haben gegenüber AC-Leitungen einen Vorteil: Während für Wechselspannung vier- bis fünf-adrige Leitungen benötigt werden, kommen bei Gleichspannung ein bis zwei Leiter weniger zum Einsatz. Damit können rund 40 bis 50 Prozent Kupfer eingespart werden. „Wir glauben daran, dass in Zukunft mehr und mehr Produktionsanlagen mit Gleichspannung versorgt werden“, ist Heimler sicher.


Isabella Bianchini, Gruppenleiterin industrielle Mikronetze am Fraunhofer Institut Produktionstechnik und Automatisierung IPA: „Wie kann ein industrielles DC-Netz erneuerbare Energien und Batteriespeicher optimal einbinden und im Zusammenspiel mit Wärmepumpen und Ladesäulen für Elektroautos bis hin zur Wasserstoffwirtschaft Energieeffizienz und Nachhaltigkeit steigern?“
Simulation ersetzt Erfahrung
Mit der praktischen Umsetzung von Gleichstromanwendungen beschäftigt sich auch das Fraunhofer Institut Produktionstechnik und Automatisierung IPA. „Wir haben ein Simulationsmodell entwickelt, das die gesamte Fabrik mit ihren Stromquellen und Verbrauchern abbildet, und mit Partnern validiert“, berichtet Isabella Bianchini, Gruppenleiterin industrielle Mikronetze.
Planer konnten bislang wenig praktische Erfahrungen mit DC-Netzen sammeln. „Durch unsere Erfahrungen können wir in einem ersten Schritt ohne Simulation vorab die Wirtschaftlichkeit berechnen“, beschreibt die Gruppenleiterin. In einem zweiten Schritt nimmt das Team Regelungen und Lastgänge in die dynamische Simulation für die konkrete Auslegung auf.
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Wie optimieren Speicherlösungen den Energiefluss?
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Optimierung der oberen DC-Netzebene. „Es geht um die Netzstabilität durch Sektorenkopplung“, umreißt Bianchini den Ansatz. „Wie kann ein industrielles DC-Netz erneuerbare Energien und Batteriespeicher optimal einbinden und im Zusammenspiel mit Wärmepumpen und Ladesäulen für Elektroautos bis hin zur Wasserstoffwirtschaft Energieeffizienz und Nachhaltigkeit steigern?“
Ein guter Zeitpunkt für Unternehmen sich mit DC-Netzen zu beschäftigen ist dann, wenn eine PV-Anlage geplant wird. Dazu Bianchini: „Dann können Anwender direkt ein DC-Netz mit PV-Anlage, Batterien, Ladesäulen und Verbrauchern simulieren und wirtschaftlich umsetzen.“ Gerade in Brownfield-Anwendungen werden auf Sicht Hybrid-Netze eingesetzt werden, in die vorrangig neue Geräte und Maschinen eingebunden werden.


Sascha Garzke, Produktmanager bei Phoenix Contact: „Wir sehen, dass der Markt für DC-Netze kommt und haben darum einen Pflock eingeschlagen.“
Neue Standardschalter für DC-Netze
Eine Herausforderung ist die Verfügbarkeit von standardisierten DC-Komponenten. Die ODCA arbeitet daran, Spezifikationen und Normen festlegen. Phoenix Contact, ein Schlüsselpartner für die Sektorenkopplung durch Elektrifizierung, Vernetzung, Automatisierung, setzt sich hier an die Spitze.
„Wir sehen, dass der Markt für DC-Netze kommt und haben darum einen Pflock eingeschlagen“, hebt Sascha Garzke, Produktmanager bei Phoenix Contact, hervor. Das Unternehmen hat den ersten multifunktionalen DC-Leistungsschalter, Contactron ELR HDC, entwickelt. Er eignet sich für Anwendungen bis 810 V und 55 Ampere. Bei Kurzschlüssen entstehen sehr hohe Ströme, die innerhalb von Millisekunden abgeschaltet werden müssen. „Bislang gab es dafür unzählige Einzellösungen, Phoenix Contact hat als erster Hersteller DC-Schalter in dieser Leistungsklasse als industriell gefertigtes Serienprodukt entwickelt“, ist Garzke stolz.
Die hybriden Schalter verbinden Mechanik und Elektronik. „Der Contactron ELR HDC schaltet lichtbogenfrei und kommuniziert mit übergeordneten Systemen“, bringt der Produktmanager die Vorteile auf den Punkt. Die HDC-Schalter tauschen Informationen über den feldbusunabhängigen IO-Link aus und fügen sich so in ein intelligentes Netzmanagement ein.


Rainer Durth, Fachleiter Schutztechnik bei Phoenix Contact: "DC-Netze sind ein Lückenschluss zwischen DC-Niederspannung und DC-Hochspannung."
Eisspeicher für sechs Monate
Phoenix Contact setzt auch im eigenen Produktionsverbund auf die Einführung von DC-Netzen. Im neuen Gebäude 60 für den hauseigenen Maschinenbau installiert das Unternehmen ein hybrides Netz. Eine PV-Anlage auf dem Dach speist bis zu 160 kW in das DC-Netz ein, das auch Batterien, Ladestationen für Elektroautos und Wärmepumpen versorgt. Ein Eisspeicher als Phasenschieber für sechs Monate dient als Langfristspeicher für die Wärmepumpen. „Eisspeicher nutzen die latente Wärme des Phasenübergangs von flüssig zu fest und umgekehrt“, erklärt Rainer Durth, Fachleiter Schutztechnik, das Prinzip. „Für den Übergang von null Grad kaltem Wasser zu Eis wird genauso viel Energie verbraucht wie bei der Erhitzung von 0 Grad kaltem Wasser auf 80 Grad.“
Gleichstrom erobert Hochspannungsleitungen
Für Durth sind DC-Netze ein Lückenschluss zwischen DC-Niederspannung und DC-Hochspannung. Dort bahnt sich ein Technologiewechsel an: Die Hochspannungsleitung Suedlink, die den Strom der Windenergie vom Norden nach Süddeutschland transportieren wird, ist eine HGÜ: Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung. Der 'Stromkrieg' zwischen AC und DC ist damit nicht neu eröffnet, die Technologie hat sich einfach weiterentwickelt und eröffnet neue Effizienzpotenziale.
überarbeitet von: Dietmar Poll
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