Hydraulikaggregat INKA

Für das Hydraulikaggregat INKA ist ein digitaler Zwilling in der Verwaltungsschale AAS verfügbar (Bild: © HAWE Hydraulik SE)

Der digitale Zwilling ist derzeit in aller Munde. Welche Rolle spielt die Technologie bei Produkt-Neuentwicklungen von HAWE?

Ein digitaler Zwilling ist vom Prinzip her ein virtuelles Modell eines „Assets“, d.h. eines physischen Objekts aus der realen Welt. Das kann, wie in unserem Fall, ein Hydraulikaggregat sein. Dabei muss das Gegenstück in der realen Welt noch gar nicht existieren. Häufig entsteht heute ein Produkt zunächst digital und wird erst später in die reale Welt überführt. Das nutzen wir auch bei HAWE. 3D-Modelle stehen für alle unsere Produkte zur Verfügung. Mit deren Hilfe kann der Einbauraum in einer Maschine geprüft werden um gegebenenfalls erforderliche Anpassungen vorzunehmen. Das ist aber nur eines von mehreren Teilmodellen, in die ein digitaler Zwilling unterteilt ist. Weitere Teilmodelle, mit deutlich weitergehenden Nutzungsmöglichkeiten, sind hier darstellbar.

An welche weitergehenden Nutzungsmöglichkeiten denken Sie hier?

Das Funktionsmodell eines Hydraulikaggregates beispielsweise kann das Verhalten des Aggregats in verschiedenen Betriebssituationen simulieren und dadurch Druck, Volumenstrom, Temperatur und Leistungsaufnahme vorhersagen. Das hilft, kritische Belastungen zu vermeiden. Mit Hilfe digitaler Zwillinge können aber auch realistische, virtuelle Umgebungen für Schulungszwecke geschaffen werden. Der Bediener kann so Fehlerbehebungsszenarien üben, Notfallsituationen simulieren und die eigenen Fähigkeiten verbessern, ohne dass physische Geräte benötigt werden. Das senkt die Schulungskosten, erhöht die Sicherheit und verbessert die Betriebsbereitschaft.

Auch bei Predictive Maintenance kann ein digitaler Zwilling hilfreich sein. Daten von physischen Anlagen im Einsatz unter typischen Fehlerbedingungen zu erfassen, ist nicht immer möglich. Eine Lösung wäre der digitale Zwilling der Anlage, anhand dessen Sensordaten für verschiedene Fehlerbedingungen durch Simulation erzeugt würden. Die Simulation des Verschleißverhaltens ermöglicht wiederum, Anzeichen für die Verschlechterung oder den Ausfall von Komponenten frühzeitig zu erkennen. Ausfallzeiten zu reduzieren und kostspielige Reparaturen zu vermeiden.

Und schlussendlich kann eine virtuelle Inbetriebnahme vor Fertigstellung der Maschine erfolgen. Dafür müssen digitale Zwillinge der Subsysteme aus den Bereichen Mechanik, Elektrik, Elektronik und Fluid zu einer kompletten Maschine zusammengeführt und das zugehörige Steuerungssystem der Maschine mit dem Simulationsmodell verbunden werden. Umfangreiche Szenarien z.B. von Störsituationen können dann bereits vorab getestet werden.

HAWE hat bei der Entwicklung des Hydraulikaggregats INKA bereits auf den digitalen Zwilling gesetzt. Können Sie etwas konkreter werden?

Auf der Grundlage eines detaillierten 3D-Modells wurde durch Computational Fluid Dynamics (CFD) die Um- und Durchströmung aller Bauteile simuliert, um so Druckverhältnisse und Strömungswiderstände zu ermitteln und zu optimieren. Die Finite-Elemente-Methode (FEM) diente zur Berechnung von Festigkeiten und Verformungen aller relevanten Bauteile. Durch Akustik- und Schwingungsanalysen (NVH) konnte das Geräuschverhalten des Hydraulikaggregats optimiert werden. Eine Systemsimulation ermöglicht dann die dynamische Berechnung aller Ein- und Ausgangsgrößen z.B. auch des thermischen Verhaltens. Der Digitale Zwilling umfasst aber nicht nur die unterschiedlichsten Simulationsmodelle, sondern auch alle anderen Daten, die das Produkt betreffen oder die durch das Produkt erzeugt werden.

Es wäre ja sinnvoll, diese Daten, produktübergreifend allen, die das Aggregat einsetzen wollen, zur Verfügung zu stellen. Ist das heute schon möglich?

Zur Verwaltung und Bereitstellung dieser Daten ist die sogenannte „Verwaltungsschale“ (Asset Administration Shell – AAS) als Standard vorgesehen. Einen AAS-Demonstrator für das neue Hydraulikaggregat „INKA“ hat HAWE bereits auf der Hannover Messe 2023 vorgestellt. Schon heute sind dort Dokumentationen, insbesondere auch zur integrierten Sensorik, hinterlegt. Weitere Daten werden folgen. Über einen Link, der z.B. über einen QR-Code am Produkt bereitgestellt wird, kann dann sehr einfach auf diese Daten zurückgegriffen werden.

Wie funktioniert die AAS und welchen Nutzen bringt sie?

Die AAS ist als Standard zur Speicherung der Informationen zu sehen. Die unterschiedlichen Merkmale wie z.B. Gewicht, Preis, Bestellnummer, Abmessungen u.ä. werden zu Gruppen, sogenannten Teilmodellen, zusammengefasst, die wiederum zu bestimmten Anwendungsfällen passen. Darunter fallen z.B. logistische Merkmale, Bestellmerkmale, technische Daten etc.. Die Anzahl der Teilmodelle ist nicht beschränkt und kann je nach Anwendungsfall erweitert werden. Der Datenzugriff von außen ist ebenfalls standardisiert.

Während der Inbetriebnahme und dem Einsatz einer Maschine können so die bereits in der AAS enthaltenen Informationen durch Daten aus weiteren Quellen ergänzt werden, z.B. dem ERP-System oder dem Instandhaltungsmanagement. Damit kann der digitale Zwilling laufend wachsen und den kompletten Lebenszyklus eines Produktes abbilden. Er bietet eine ganzheitliche Sicht auf sämtliche Maschineninformationen und ermöglicht den Beteiligten in jeder Phase den Zugriff auf sämtliche relevante Daten.

Die skizzierten Möglichkeiten sind beeindruckend. Gehen Sie davon aus, dass der digitale Zwilling auch für so „einfache“ Teile wie ein Hydraulikaggragat einen immer größeren Stellenwert erhält?

Auf alle Fälle! Denn der Nutzen ist enorm. Digitale Zwillinge eröffnen völlig neue Möglichkeiten für Predictive Maintenance, in der Leistungsoptimierung, der Echtzeitüberwachung sowie im Live-Cycle-Management. Und mit der Verwaltungsschalte (AAS) steht uns die Schnittstelle für eine erleichterte Datenintegration, Interoperabilität und Zusammenarbeit zur Verfügung, um die Entscheidungsfindung, Effizienz und Skalierbarkeit im Zusammenhang mit digitalen Zwillingen und der Anlagenverwaltung deutlich zu verbessern.

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