
Manufacturing-X hat die Aufgabe, föderative Datenräume für den sicheren Datenaustausch zwischen Unternehmen, Organisationen und Staaten aus Europa aufzubauen. Im Rahmen dieses Vorhabens ist auch das Projekt Factory-X entstanden. Warum das so wichtig ist, erklärt Michael Finkler von Proalpha im Interview. (Bild: metamoworks - stock.adobe.com)
Herr Finkler, Sie machen anhand von Manufacturing- beziehungsweise Factory-X fest, dass der Weg in eine neue europäische Datenökonomie vorgezeichnet ist. Was darf man sich darunter vorstellen? Ein einheitlicher Markt, der einen freien Datenfluss innerhalb der Europäischen Union und über Sektoren hinweg ermöglicht, und zwar in Form von föderalen Datenräumen, richtig?
Michael Finkler: Zuerst einmal sollte man die Zielsetzungen dieser Initiativen klar herausstellen. Es geht primär um eine intelligent vernetzte Wirtschaft, deutlich mehr Daten im Wirtschaftskreislauf, eine höhere Monetarisierung der Daten, eine höhere Resilienz unserer Wirtschaft, eine verbesserte Nachhaltigkeit durch vereinfachtes Teilen von Daten und letztendlich um deutlich mehr Wettbewerbsfähigkeit durch mehr digitale Mehrwertdienste sowie digitale Geschäftsmodelle. Unterm Strich hat sich die EU 2019 unter Frau von der Leyen das Ziel gesetzt, diese zu einer führenden digitalen Wirtschaftsmacht zu entwickeln und weltweit führende Datenräume zu gestalten.

Der EU Data Act legt dafür die rechtliche Basis und ist rechtlich bindend für alle Mitgliedstaaten der EU. Scharf geschaltet wird er ab September 2026. Dieser regelt auch die Begrenzung der weltweit dominanten Hyperscaler wie AWS, Google und Microsoft. Europa strebt eine deutlich höhere Unabhängigkeit von außereuropäischen Plattformanbietern an, und dies ist dringender denn je erforderlich.
All diese Punkte stehen für eine neue europäische Datenökonomie auf Basis föderativer Datenräume. Die Europäische Kommission hat deutlich zur Etablierung von Datenräumen aufgerufen und unterstützt die gesetzten Ziele mit Milliardenbeträgen.
Es erarbeiten ja rund 50 Partner aus Wirtschaft, Forschung und Verbänden einen föderativen und digitalen Datenraum explizit für den Datenaustausch in der deutschen Fertigungsindustrie des Maschinen- und Anlagenbaus sowie der Elektronikindustrie. Wie weit ist die Arbeit an der Initiative Factory-X denn bereits fortgeschritten?
Finkler: Proalpha und Empolis sind zwei von 47 Konsortialpartnern unter der Konsortialführung von Siemens. Die führenden deutschen Forschungsverbände, so auch Fraunhofer, sowie der VDMA und ZVEI sind ebenfalls Teilnehmer dieses zweiten Leuchtturmprojektes von Manufacturing-X. Das Förderprojekt hat gerade Halbzeit und endet voraussichtlich Ende 2026.
Die Ergebnisse sind im Plan, die teilnehmenden Unternehmen, Verbände und Forschungsinstitute sind guter Dinge, dieses für Manufacturing-X zweite Leuchtturmprojekt erfolgreich abschließen zu können. Wir legen mit diesem Projekt, das unter anderem elf prototypische Use-Cases realisiert, neben Catena-X den Grundstein für alle anderen Manufacturing-X-Projekte.
Proalpha und Empolis sind mit Unternehmen wie Trumpf, DMG Mori, Wittenstein und weiteren im Use-Case-Projekt „Autonomous Operation as a Service“. Dabei realisieren wir ein Umfeld, inklusive der AI-Services von Empolis, das Fabriken von außen autonom steuern und verwalten soll, auf Basis föderativer Datenräume. Gezeigt hat sich, dass dieses Geschäftsmodell, das auf dem Trumpf-Geschäftsmodell „Pay-per-Part“ basiert, auch für die Übernahme von einzelnen Fertigungsschichten – vor dem Hintergrund des Facharbeitermangels – genutzt werden kann.
Wann wird das Projekt live gehen können?
Finkler: Wir haben auf der Hannover Messe im April 2025 schon einige Abläufe und Funktionen zeigen können und werden diesen gesamten Use Case prototypisch bis zum Ende des Projektes abschließen können. Wichtig ist dann, die entstandenen Softwarekomponenten, wie etwa den universellen MX-Port zum Austausch von Daten über Datenräume, in unsere Proalpha und Empolis Software zu integrieren und unseren Kunden anbieten zu können. So erreichen wir eine schnelle Skalierung in den Markt.
Teilweise sind auch Lösungen aus den anderen Use Cases 1:1 bereits nutzbar, auf dem Weg hin zu einer intelligent vernetzten Industrie, die resilienter, nachhaltiger, unabhängiger und wettbewerbsfähiger ist als heute.
Olaf Sauer über Manufacturing-X und die Zusammenarbeit vom Fraunhofer IOSB mit der Industrie
Die Funktionen der besagten Datenräume müssen den Kunden durch die Softwareanbieter, beispielsweise Anbieter von ERP- und MES-Systemen, nahegebracht werden. Sie müssen also Zugänge in ihre Software integrieren. Für viele Softwareunternehmen sind die X-Initiativen aber noch nahezu unbekannt, lediglich SAP und Proalpha haben Absichtserklärungen abgegeben. Gibt es da etwas Neues?
Einer der Erfolgsfaktoren der X-Initiativen ist, dass die Softwareanbieter diese neuen Technologien möglichst schnell in ihre Standlösungen integrieren und diese ihren Kunden anbieten. Für Proalpha und Empolis heißt das, dass wir mit unserem durch Factory-X entstandenen Know-how und Lösungen unsere 10.000 Kunden zeitnah mitnehmen können in eine neue europäische beziehungsweise weltweite Datenökonomie.
Neben SAP sind wir leider momentan die einzigen namhaften Vertreter aus der Softwareindustrie und das muss sich ändern. Spätestens nach Abschluss der MX-Leuchtturmprojekte Catena-X und Factory-X, die mit der Automobilindustrie, des Maschinen- und Anlagenbaus sowie der Elektronikindustrie einen großen Bereich der Gesamtindustrie bereits abdecken, müssen auch die Softwareunternehmen und die KMU-Unternehmen via Transferprojekte wie Scale-X einbezogen werden.
Dies ist eine der größten Zielsetzungen der MX-Projekte. Allerdings sind aktuell noch deutlich zu wenig Softwarehäuser integriert. Dies habe ich selbst bereits in den Verbänden Bitkom und VDMA deutlich adressiert. Hier ist auch die Politik gefordert, Änderungen herbeizuführen.
Der VDMA will seine Kommunikation zu Datenräumen, speziell zu Manufacturing- und Factory-X, verstärken und seine fast 600 Mitgliedsunternehmen des größten VDMA Fachverbandes Software und Digitalisierung aufklären. Ist dies bereits geschehen? Kommt da noch was?
Ich selbst war bis November 2024 der Vorsitzende dieses größten VDMA-Fachverbandes und habe dort früh die Entwicklungen in Richtung Manufacturing-X unterstützt. Gleichzeitig haben wir als VDMA diverse Informationsveranstaltungen initiiert und auch eine Organisation innerhalb des VDMA implementiert, die sich nun genau darum kümmert, viele der 600 überwiegend Softwareunternehmen und mehr als 3.000 weitere Mitgliedsunternehmen des VDMA in Richtung Manufacturing-X, föderative Datenräume, digitale Geschäftsmodelle und vieles mehr zu informieren und in der Umsetzung zu begleiten.
Sie haben auch zu einer breiten Initiative aufgerufen, die Anbieter von relevanten Softwaresystemen frühzeitig mit auf die Reise nimmt und Lösungen von Beginn an „MF-X ready“ entwickelt. Wurden Sie erhört?
Ich denke ja. Die Notwendigkeiten wurden erkannt, wenn auch noch nicht von allen Protagonisten in diesem Förder- und Projektumfeld. Die Politik hat es meines Erachtens noch zu wenig begriffen. Vieles wird nun davon abhängen, welche Ergebnisse nach Abschluss von Catena-X und Factory-X präsentiert werden und an Software vorliegen.
Die anderen Projekte wie Semiconductor-X, Robot-X oder Energy Data-X werden weitere Komponenten in der Folge präsentieren und den Weg in eine breite Nutzung der MX-Komponenten ebnen. Das Angebot wird zu höherer Nachfrage und diese zu weiteren Angeboten führen.
Dies alles wird jedoch nicht einfach werden, da sich die Softwarehersteller und sonstige IT-Unternehmen aktuell in Transformationsprozessen befinden und hoch ausgelastet sind. So müssen viele parallel die Cloud-Transformationen gestalten, während AI-Komponenten in nahezu alle Software-Bereiche integriert werden.
Und als weiteres Beispiel zwingen auch die Nachhaltigkeitsziele zu verstärkten Entwicklungen, beispielsweise im Bereich Kreislaufwirtschaft sowie CO₂- und Energiemanagement. Es kommt also ein Kraftakt auf die Software- und IT-Dienstleistungsindustrie zu.

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Der industrielle Mittelstand steht den X-Themen zum Teil eher skeptisch oder gar ablehnend gegenüber. Haben sich auch mittelständische Unternehmen dahingehend geäußert, dass sie Datenräume benötigen und gerne nutzen würden?
Aktuell nutze ich jede Gelegenheit, um unsere mittelständischen Kunden – insbesondere die Geschäftsführungen, Vorstände und Inhaber – über diese neuen Entwicklungen und die damit verbundenen Chancen zu informieren. Das Feedback ist durchaus positiv. Da noch wenig umgesetzt und genutzt werden kann, ist man leider noch zum Abwarten gezwungen. Aber das wird sich ändern.
In der Automobilindustrie wird es einfacher werden, die Teilnehmer des automobilen Ökosystems zu zwingen, diese Technologien entlang der gesamten Supply Chain (SC) zu nutzen. Dies werden vor allem die OEMs und die Tier-1-Zulieferer einfordern, auch um eigene Kosten zu reduzieren und die Ziele bezüglich der Resilienz der Unternehmen und der SC sowie in puncto Nachhaltigkeit und Kostenreduktion erreichen zu können.
Im Factory-X-Bereich, also dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Elektronikindustrie, wird dies schwieriger werden, da wir keine derart festen Unternehmensverbände entlang der SC haben. Auch fehlt die Dominanz einiger weniger Hersteller, die Druck zur Nutzung erzeugen können.
Aber wir sind optimistisch, dass wir über die Verbände wie VDMA, ZVEI und Bitkom die Unternehmen beraten können und darüber Relevanz und Nutzen erkannt wird. Wenn es dann noch gelingt, dass die Software-Unternehmen in Vorleistung gehen und MX-Komponenten in ihren Standardanwendungen zur Verfügung stellen, die eine einfache Nutzbarkeit ermöglichen, steht einer hohen Adoption und Skalierung in der deutschen, aber auch europäischen Wirtschaft nichts entgegen.
Übrigens gehen diese Initiativen in der Zwischenzeit deutlich über Europa hinaus, viele andere Länder schließen sich an, bis hin zu Japan, Südkorea und den USA. Auch dies war eine politische Zielsetzung und ist in den MX-Förderprojekten als Aufgabenstellung formuliert.
Der EU Data Act stärkt Nutzer von IoT-fähigen Maschinen und Geräten und gibt ihnen erstmals das Recht auf ihre Nutzungsdaten. Sie können diese Daten frei nutzen und monetarisieren sowie zur Generierung weiterer digitaler Mehrwertdienste für Ökosysteme zur Verfügung stellen. Er bildet damit das Fundament für alle X-Initiativen. Für den Maschinen- und Anlagenbau birgt der EU Data Act aber auch einiges an Sprengstoff, enthält er doch „neue und verpflichtende Vorgaben zur technischen Gestaltung von Maschinen und Anlagen und verschafft deren Nutzern ein Zugriffsrecht auf Maschinendaten“. Wie sehen das die Hersteller?
Zuerst mal ist der EU Data Act der Hebel, damit deutlich mehr Daten fließen und genutzt werden sollen. Wir drehen also den Datenhahn, wie den Wasserhahn, voll auf und sind nun auch in der Lage, deutlich mehr digitale Mehrwerte zu schaffen und Daten zu monetarisieren. Das sollte erkannt werden, zumal der EU Data Act verpflichtend in allen EU-Ländern bereits scharfgeschaltet ist, mit einer Übergangszeit bis September 2026.
Bereits in der Vorphase der Verabschiedung des EU Data Acts haben der VDMA und auch der ZVEI stark auf die EU-Kommission eingewirkt, um mögliche Nachteile für Hersteller von IoT-fähigen Geräten und Maschinen zu reduzieren und um Geschäfts- und Produktgeheimnisse schützen zu können. Dazu hat es Nachbesserungen gegeben. Insofern sehe ich hier keine großen Einschränkungen, zumal es Möglichkeiten gibt, diese schützenswerten Daten in der Nutzung nicht entstehen zu lassen.
Der Bitkom sieht gar die Gefahr, dass eine Verpflichtung zur Nutzung von Datenräumen, wie sie der Act vorsieht, zu Datenmissbrauch führen könnte. Ist da etwas dran?
Ich bin selbst im Bitkom Vorstand des Arbeitskreises ERP und teile diese Befürchtung nicht. Der EU Data Act und auch die entstehenden Lösungen legen gerade dort einen besonderen Fokus darauf, den Missbrauch zu verhindern.
Genau dort haben die Datenräume ihre Vorteile, da von Anfang an die Zielsetzungen auf Sicherheit, Datensouveränität, Vertrauensschutz, Dezentralität und strenger Governance lagen. Dies wurde auch als Gegenentwurf – der überwiegend auch dem europäischen Verständnis von Zusammenarbeit entspricht – zu den heute dominierenden Plattformbetreibern verstanden, die weit weg sind von derart hohen Anforderungen.
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Dann bemüht sich seit Neuestem neben Gaia auch EuroStack um souveräne Räume – wird das verfolgt? Wie ist Ihre Meinung dazu?
Die Sicherstellung der digitalen Souveränität Europas hat eine sehr hohe Priorität bekommen, insbesondere nach der letzten US-Wahl. Die Verletzlichkeit und Erpressbarkeit Europas ist uns allen bewusst geworden. Insofern unterstützen Gaia-X, Manufacturing-X und viele weitere X-Initiativen genau diese Forderungen aus dem EuroStack, der die digitale Souveränität Europas durch die Förderung von Innovationen, die Verringerung von Abhängigkeiten und die Stärkung aufstrebender digitaler Bereiche fördert.
Dabei kommt gerade dem Aufbau einer souveränen, digitalen Infrastruktur eine besondere Bedeutung zu. Dieses Milliardenprojekt, an dem neun europäische Länder teilnehmen und das ein besonderes europäisches Interesse verdeutlicht, läuft übrigens bereits seit ein paar Jahren. Die Umsetzung des EuroStack wird von einem unabhängigen Governance Gremium geleitet, das über einen Zeitraum von zehn Jahren rund 300 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wird.
Gaia-X, Manufacturing-X und alle anderen X-Initiativen der Wirtschaft, der Wissenschaft und des Staates werden diese Infrastrukturen außerhalb der amerikanischen und chinesischen Plattformunternehmen nutzen, um eine unabhängige, resiliente, wettbewerbsstarke und nachhaltige europäische Datenökonomie zu gewährleisten. Insofern entsteht ein komplettes Bild, das sich vielen jedoch noch unscharf präsentiert, dessen Ziele aber zweifellos richtig sind.
Wir müssen gemeinsam alles daransetzen, dass wir diese Ziele erreichen und Deutschland sowie Europa zu einem führenden und resilienten Digitalplayer entwickeln. Es ist ein langer, aber alternativloser Weg, der sich lohnen wird.
Maschinenbau-Gipfel Talk: Michael Finkler (VDMA/pro alpha Business Solutions GmbH) über Software
Quelle: Proalpha