
Schrauben, Wellen, Strukturteile, Karosserie: Kaltumformung ist für den automobilen Leichtbau essenziell. (Bild: Yan - stock.adobe.com)
Kaltumformung ist kein alter Hut – sondern die Waffe im Kampf gegen CO₂, Materialverschwendung und ineffiziente Produktion. Wer hier nicht nachzieht, verpasst den Anschluss an die Zukunft der Mobilität.
So punktet Kaltumformen durch eine hohe Maßgenauigkeit und Oberflächenqualität der gefertigten Teile. Viele wichtige Materialeigenschaften lassen sich überhaupt erst durch Kaltumformen erreichen. Gleichzeitig steht das bewährte Verfahren für geringen Energieverbrauch und effizienten Materialeinsatz. Was jedoch nicht bedeutet, dass es hier keine Potenziale mehr auszuschöpfen gäbe.
„Kaltumformung ist eine Schlüsseltechnologie in der Mobilitätsbranche, insbesondere für Leichtbau und Nachhaltigkeit. Unsere Kunden erwarten kosteneffiziente und umweltfreundliche Lösungen“, betont Carlo Lazzarini, CEO des Automobilzulieferers PWO. Für die Verarbeitung von Leichtbaumaterialien wie Aluminium oder hochfesten Stählen, die sich durch hohe Festigkeit und geringes Gewicht auszeichnen, ist Kaltumformung essenziell. Unter anderem wegen der prozessbedingten Kaltverfestigung des Materials. Diese kann so hoch sein, dass sie die Herstellung dünnwandiger und dennoch hochfester Werkstücke ohne nachträgliche Härtung erlaubt, wie sie beim Warmumformen häufig erfolgen muss.


"Kaltumformung ist eine Schlüsseltechnologie in der Mobilitätsbranche, insbesondere für Leichtbau und Nachhaltigkeit. Unsere Kunden erwarten kosteneffiziente und umweltfreundliche Lösungen“, sagt Carlo Lazzarini, CEO des Automobilzulieferers PWO.
In der Großserienproduktion besonders wirtschaftlich
PWO produziert ein breites Spektrum sicherheits- und funktionskritischer Bauteile, darunter auch solche mit komplexen Geometrien für Anwendungen im Leichtbau – von Sitzstrukturen und Gehäusen bis hin zu Komponenten für Luftfederung, Airbag oder Lenkung. Für die Fertigung dieser Bauteile setzt PWO Kaltumformverfahren sowie Stanz- und Biegeverfahren ein. „In der Großserienproduktion ist Kaltumformung besonders wirtschaftlich“, stellt Lazzarini fest. Dennoch hat er gleich mehrere Vorschläge, wie sich das ohnehin ressourceneffiziente Verfahren und sein Umfeld noch besser und nachhaltiger gestalten lassen – von der Optimierungen an Maschinen und Werkzeugen über mehr Digitalisierung bis hin zum Material:
Warum ist Kaltumformen energieeffizienter als andere Verfahren?
Beginnend bei energieeffizienteren Antrieben für die Pressen, um den Energieverbrauch zu senken, und weniger Leerlauf, um unnötige Energieverluste zu vermeiden und die Gesamtleistung zu steigern. Seitens der Werkzeuge könnten haltbarere Beschichtungen, den Verschleiß verringern. „Das verlängert nicht nur die Lebensdauer der Werkzeuge, sondern reduziert auch den Materialbedarf und die Entsorgungskosten“, so Lazzarini. Dazu smarte Überwachungssysteme als Grundlage für Prozessoptimierungen und eine präzisere Steuerung der Fertigungsprozesse mit dem Ziel, Ausschuss zu minimieren und den Materialverbrauch zu reduzieren. „Von den Herstellern von Umformpressen wünschen wir uns noch innovativere Technologien, die diese Punkte unterstützen“, betont er.
Optimierte Werkstoffe und ‚grüner Stahl’
Auf Materialseite stehen „optimierte Werkstoffe“, die eine bessere Umformbarkeit und damit eine ressourcenschonendere Produktion ermöglichen, sowie „grüner Stahl“ auf seiner Wunschliste. „Wir verarbeiten vor allem Stähle, einschließlich hochfester Stähle, Aluminium und Edelstahl – Werkstoffe, die sich durch ein optimales Verhältnis von Gewicht und Festigkeit auszeichnen. Sie tragen dazu bei, das Gewicht von Fahrzeugen zu reduzieren und damit deren Energieeffizienz deutlich zu steigern. Die Verwendung von ‚grünem Stahl’ als Ausgangsmaterial wird ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Produktion sein“, ist er sicher.
Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und CO2-Reduktion seien für Kunden seines Unternehmens von großer Bedeutung – aufgrund gesetzlicher Vorgaben ebenso wie wegen eigener Nachhaltigkeitsziele. „Immer mehr Automobilhersteller und Zulieferer wollen auch mit umweltschonenden Fertigungsprozessen, einen Beitrag zur Transformation der Mobilitätsindustrie leisten“, beobachtet er.

Kommen Sie zum Maschinenbau-Gipfel!
Der 14. Deutsche Maschinenbau-Gipfel war ein herausragender Erfolg! Über 900 Teilnehmer versammelten sich in Berlin für den größten Gipfel aller Zeiten. Prominente Gäste aus Wirtschaft und Politik bereicherten die Veranstaltung.
2025 geht es weiter! Die Branche trifft sich am 16. und 17. September 2025 in Berlin.
Welche Rolle spielt grüner Stahl in der CO₂-Reduktion?
Stahlhersteller wie Salzgitter mit ‚Salcos’, Voestalpine (‚greentec steel’) oder Thyssenkrupp Steel (‚bluemint’) haben bereits tiefgreifende Veränderungsprozesse angestoßen, an deren Ende Bänder, Bleche, Rohre und andere Produkte und Halbzeuge aus ‚grünem’ Stahl stehen sollen. Gefertigt auf der Elektrostahl-Route aus Stahlschrott mittels Strom aus erneuerbaren Energien oder per Direktreduktion mit ‚grünem’ Wasserstoff.
Das gilt trotz aller Turbulenzen. Auch für Thyssenkrupp Steel: „Grüner Stahl ist das Geschäftsmodell der Zukunft“, betont Vorstandssprecher Dennis Grimm. Als eines der größten Hindernisse für die Transformation sieht er den stockenden Hochlauf der europäischen Wasserstoffinfrastruktur und das bislang nicht erkennbare Angebot von genügend bezahlbarem Wasserstoff.
Salzgitter will hier unabhängiger werden. Anfang 2025 erfolgte die Grundsteinlegung für eine der größten Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff europaweit. Die 100-MW-Elektrolyseanlage soll ab 2026 rund 9.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr für die Produktion von CO2-reduziertem Stahl im Rahmen von Salcos erzeugen. Passend zur Grün-Stahl-Strategie ihres Konzern bietet Salzgitter Mannesmann Handel und Stahlservice bereits seit Mitte 2024 ein eigenes vom TÜV Süd zertifiziertes Berechnungstool für den CO2-Fußabdruck (Product Carbon Footprint – PCF) ihrer Stahlprodukte an.
CO2-Fußabdruck immer wichtiger
„Die neue PCF-Softwarelösung berechnet den CO2e-Fußabdruck des Stahlprodukts von der Rohstoffgewinnung bis zum Werkstor des Kunden“, sagt Tanja Jacobs, Leiterin Business Development bei Salzgitter Mannesmann Handel. Dabei würden alle Treibhausgase einbezogen und in CO2-Äquivalente umgerechnet. Kunden könnten so ihren individuellen Product Carbon Footprint für jedes angebotene Produkt berechnen und als Deklaration ausstellen lassen.
Bei vielen Unternehmen der Umformtechnik hat sich mittlerweile das im Rahmen der Industrieinitiative ‚NOCARBforging 2050’ entwickelte Tool zur ‚Footprint Reduction’ FRED etabliert. Es kalkuliert sowohl den PCF, als auch den für Nachhaltigkeitsberichte erforderlichen Corporate Carbon Footprint (CCF). Ein modularer Aufbau soll ein möglichst breites Spektrum an Prozessen in unterschiedlichen Branchen abbilden – von Massivumformen über Gießereien oder Kunststoffverarbeitung bis hin zu Blechumformung und Oberflächentechnik. „Durch die Branchenmodule kann das Tool alle wesentlichen Schritte und spezifischen Anforderungen verschiedener Produktionsbereiche abbilden“, erklärt Tobias Hain, Geschäftsführer des Industrieverbands Massivumformung.
Wie sich neue Werkstoffe und Prozesse auf die Produktion auswirken
Dass immer mehr Unternehmen einerseits Vorkehrungen zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks ihrer Bauteile treffen und andererseits Strategien entwickeln, um den höheren Energiepreisen – vor allem den stark gestiegenen Gaspreisen – zu begegnen, beobachtet auch Dr. Nadezda Missal, Leiterin des Technology Centers der Felss Systems GmbH. Es sei grundsätzlich etwas in Bewegung geraten, stellt sie fest: „Bei vielen ist mittlerweile angekommen, dass am Ende vielleicht nicht mehr Kosten pro Bauteil die maßgebliche Größe sein wird, sondern der CO2-Ausstoß pro Bauteil.“
Bei Felss geht es vor allem um inkrementelle Massivumformung von Stahl durch Rundkneten, Axialformen und Walzen. „Wir bearbeiten ungefähr zu 80 Prozent Stahl und beim Stahl ist es so, dass unsere Kunden in letzter Zeit versuchen, energieintensive Prozesse aus der Prozesskette möglichst herauszunehmen. Deshalb sind viele Werkstoffe bereits im Ausgangszustand deutlich härter. Sie kommen sehr oft in einem wärmevergüteten Zustand mit einer Zugfestigkeit zwischen 950 bis 1100 Megapascal“, berichtet Missal. Während der Kaltumformung erhöht sich die Festigkeit in den umgeformten Bereichen dann weiter.


„Am Ende könnte der CO2-Ausstoß pro Bauteil zur maßgeblichen Größe werden", sagt Dr. Nadezda Missal, Director Technology Centers, Felss Systems GmbH.
„Einerseits ist die Kaltverfestigung einer der ganz großen Vorteile der Kaltumformung. Andererseits geht die höhere Festigkeit des Materials einher mit einer stärkeren Belastung der Werkzeuge“, räumt Missal ein. „Das reduziert zwar die Standzeiten der Werkzeuge geringfügig, allerdings wird dies durch den geringeren Energieverbrauch mehr als ausgeglichen“, ergänzt sie. Um Energie und CO2 – aber auch Wasser und Material – einzusparen, setzt ihr Team bei Felss einerseits bei den Werkzeugen und andererseits bei den Schmierstoffen an.
Modulare Werkzeuge und reinigungsfreundliche Schmierstoffe
Grundsätzlich sind beim Kaltfließpressen die Standzeiten der Werkzeuge trotz der höheren Kräfte in der Regel länger als etwa beim Schmieden, Halbwarm- oder Warmumformen. Weil Kaltumformen in der Regel bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen stattfindet, besteht anders als beim Warmumformen nicht die Gefahr eines Thermoschocks, wenn ein moderat temperiertes Werkzeug auf stark erhitztes Metall trifft. Auch Beschichtungen bleiben länger intakt. Ist also das Ende der Fahnenstange bereits erreicht? Nicht zwingend.
Beim Rundkneten hochfester Werkstoffe kommen meist Werkzeuge aus Hartmetall mit mehreren Formbacken zum Einsatz. Die Lebensdauer des gesamten Werkzeugs orientiert sich an den am stärksten beanspruchten Teilbereichen des Werkzeugs. Ist hier eine Grenze – auch des Wiederaufarbeitens – erreicht, muss das gesamte Werkzeug komplett entsorgt werden. „Wir sind deshalb derzeit in der Entwicklung eines mehrteiligen Werkzeugs mit einem Grundkörper aus Stahl und einem Einsatz aus Hartmetall für den Bereich, auf den höhere Kräfte wirken“, berichtet Missal. Die Idee dahinter: Nur die wirklich verschlissenen Teile austauschen, so den Einsatz von hochlegierten oder pulvermetallurgischen Werkstoffen deutlich reduzieren und gleichzeitig den CO2-Fußabdruck senken.
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Schmierstoffe sind dagegen der Schlüssel dazu, den Wasser- und Energieverbrauch bei Reinigungsschritten zu senken. „Alle Kaltumformer arbeiten mit festen oder flüssigen Schmierstoffen. Für den eigentlichen Prozess des Umformens sind sie unverzichtbar, müssen jedoch vor anderen Bearbeitungsschritten in der Regel wieder entfernt werden. Als inkrementelle Umformer benötigen wir bei Felss nicht zwingend Öle oder Fette für die Umformung“, berichtet Missal.
Das Unternehmen testete deshalb spezielle wasserbasierte Schmierstoffe mit dem Ziel, Waschoperationen in der Prozesskette komplett entfallen zu lassen. „Wasserbasierte Schmierstoffe sind deutlich umweltfreundlicher und unkomplizierter in der Entsorgung. Wir verbrauchen deutlich weniger Frischwasser und Energie zur Erwärmung des Wassers.“
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Lassen sich dann noch Bauteile, die üblicherweise spanend gefertigt werden, umformtechnisch herstellen, kann sich das in mehr als einer Hinsicht auszahlen. Am Beispiel einer Rotorwelle zeigten Missal und ihr Team auf, dass Rundkneten nicht nur als Alternative zum Fräsen taugt. Der genauere Blick auf die Einsparpotenziale am Beispiel einer Herstellung von Rotorwellen durch Rundkneten ergab zudem: Im Vergleich zu einer Fertigung mit einem spanenden Verfahren halbierte sich der Materialverbrauch in der neu entwickelten Kaltumform-Prozesskette. Der CO2-Ausstoß verringerte sich um 35 Prozent und rund einem Kilo CO2 pro Bauteil. Gleichzeitig wurde die fertige Rotorwelle um 200 Gramm leichter.
KI optimiert Prozesse – auch bei alten Anlagen
Bei der Prozessoptimierung können KI-Werkzeuge wertvolle Hilfestellung leisten. Um Prozessdaten effektiver zu nutzen, Zusammenhänge transparent zu machen oder Zielgrößen unter einen Hut zu bringen, die auf den ersten Blick nur schwer miteinander zu versöhnen sind. „Aus unserer Sicht orientiert sich die Fertigungsplanung und -steuerung oft an wichtigen Parametern wie Taktzeit, Stückzahl und Qualität und nimmt den Energieverbrauch – pointiert ausgedrückt – als gegebene Größe hin. Durch den Einsatz von KI-Werkzeugen sind jedoch erhebliche Verbrauchsreduzierungen möglich, ohne dass etablierte Prozesse neu aufgesetzt oder Qualität und Produktivität vernachlässigt werden müssen“, betont Mike Popp vom Fraunhofer IWU.
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Seine Zauberformel: Multivalente Datennutzung und eine selbstlernende Prozesskorrektur. Ein am Fraunhofer IWU im Projekt ‚EmulDan’ entwickeltes Softwaretool erschließt damit für Kaltumformung durch Rundkneten ein Energieeinsparpotenzial von bis zu 70 Prozent. Maßgeblich für den Energieverbrauch beim Rundkneten sind der Vorschub des Werkstücks und die Schlagzahl der Knetbacken, sprich die Knetfrequenz. „Rundkneten ist ein inkrementeller Prozess. Bei kleinem Vorschub beziehungsweise hoher Frequenz ist der Formänderungsfortschritt gering und der Energieverbrauch hoch. Diese Wirkzusammenhänge konnten wir sehr gut aufzeigen und deutlich machen, wie eine Bearbeitung ‚ins Leere‘ vermieden werden kann“, erklärt Popp.
Insbesondere bei inkrementellen Umformverfahren böten KI-Ansätze die Chance, die in längeren Prozessketten anfallenden großen Datenmengen zu sammeln und zu strukturieren – auch im Anlagenaltbestand: „Wir konnten mit dem Einsatz von Standardsensorik und handelsüblichen Edge Devices ältere Maschinen zu überschaubaren Kosten nachrüsten. Unsere Ergebnisse sind mit relativ geringem Aufwand in die Fertigungspraxis übertragbar. Sie bieten die Chance, Prozesse gleichzeitig robust, effektiv und effizient zu fahren“, so Popp.
überarbeitet von: Dietmar Poll