Die Idee, einen rotierenden Motor quasi abzuwickeln und ihn so direkt für lineare Bewegungen einzusetzen, ist faszinierend. Noch in guter Erinnerung sind die Magnetschwebebahnen, die einst auf hohen Betonständern die Republik mit einem weiteren Bahnnetz durchziehen sollten. Bekanntermaßen wurde daraus nichts, aber die Technik an sich ist nach wie vor aktuell und wird, wo immer sie echte Vorteile bietet, eingesetzt.
Vor zwei Jahrzehnten gab es einen regelrechten Hype um Linearmotoren. Davon ist nichts mehr übrig, ihren Platz haben die Linearmotoren trotzdem gefunden, wie Dr. Alexander Broos, Abteilungsleiter Forschung und Technik beim VDW Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken und Geschäftsführer des VDW-Forschungsinstituts, feststellt. Die Konkurrenz führte jedoch zu einigen Innovationen bei den Kugelgewindetrieben. „Ich sehe nicht, dass der Lineardirektantrieb den klassischen Kugelgewindespindel-Antrieb verdrängen wird“, so sein Fazit.
High Speed Cutting setzt auf Maschinenkonzepte mit Lineardirektantrieben
Und wo haben sie nun ihren Platz gefunden? Dort, „wo sie ihre Stärken, also hohe Dynamik und Beschleunigung, ausspielen können und damit konstruktive Anforderungen wie etwa das Thermomanagement der Gestelle wettmachen.“ Das High Speed Cutting sei so ein Bereich, in dem oft auf Maschinenkonzepte mit Lineardirektantrieben gesetzt werde. Weitere Anwendungen seien lange Verfahrachsen oder wenn es auf extrem kurze Span-zu-Span-Zeiten ankäme.
„Einige Hersteller, etwa im Bereich des High Speed Cutting, sind ausschließlich mit Maschinenkonzepten auf Basis von Lineardirektantrieben am Markt, andere haben aufgeteilte Portfolios, und nutzen Lineardirektantriebe für lange Verfahrachsen oder extrem kurze Span-zu-Span-Zeiten", sagt Alexander Broos, Forschung und Technik, VDW.
Bild: VDW / Uwe Noelke
Tempo und Präzision sprechen für Linearmotoren
Die Anbieter der Antriebstechnik nennen hierzu erstaunliche Zahlen. So könne laut Timo Morath, Product Manager bei Dunkermotoren, das Spitzenmodel Kräfte bis 3690 N aufbringen. Anwendungen mit Beschleunigungen bis 422 m/s² und Geschwindigkeiten von bis zu 8,9 m/s seien möglich. Eingesetzt würden sie im Werkzeugmaschinenbau meist für das Werkstückhandling.
Der Grund: „Hier können im Vergleich zu Robotern höhere Geschwindigkeiten und Genauigkeiten erreicht werden.“ Durch parallellaufende Motoren auf einer Achse seien auch noch größere Lasten bei immer noch kompakten Maßen kein Problem. Auch zur Automatisierung bestehender Maschinen griffen die Entwickler gern auf Linearmotoren zurück, um diese zu verbinden.
„Ein ganz wesentlicher Vorteil der direkt angetriebenen Lineareinheiten mit Linearmotor ist auf jeden Fall die hervorragende Regelbarkeit, da diese Antriebstechnologie keinerlei Elastizitäten im Antriebsstrang aufweist", sagt David A. Mallee Geschäftsführer Sinadrive.
Hohe Kraftdichte und Kompaktheit in WZM notwendig
„Die hohe Kraftdichte dieser Antriebe ist erwähnenswert, denn die Kompaktheit dieser Technologie ist ein absolutes Novum im Vergleich zu konventionellen Antriebsmöglichkeiten“, schwärmt Sinadrives-Geschäftsführer David A. Mallee. Weshalb sie in Werkzeugmaschinen vor allem in der automatisierten Bestückung und Entnahme der Bauteile, durch Handlingsysteme mit Linearachsen, aber auch in den Hauptachsen der Bearbeitungszentren zum Einsatz käme.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil direkt angetriebener Lineareinheiten mit Linearmotor sei ihre hervorragende Regelbarkeit, da diese Antriebstechnologie keinerlei Elastizitäten im Antriebsstrang aufweise.
„Besonders hervorzuheben ist die hohe Systemdynamik von Linearmotoren - die Kollmorgen-Motoren erreichen Werte von bis zu 10 g. Die Motorauswahl ist im Vergleich zu Linearantrieben über Zahnriemen, Spindel oder Zahnstange deutlich einfacher. Die Parameter Spitzen- und Dauerkraft reichen zur Auswahl, aufwendige Berechnungen entfallen", sagt Martin Benedickt, Strategic Application & Project Manager bei Kollmorgen.
Sowohl sehr hohe als auch niedrige Geschwindigkeiten mit Linearmotoren möglich
Lineare Motoren können übrigens auch langsam. „Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Lösungen, mit denen sowohl sehr hohe (mehr als fünf Meter pro Sekunde) als auch sehr niedrige Geschwindigkeiten mit weniger als einem Mikrometer pro Sekunde realisiert werden können“, berichtet Martin Benedickt, Strategic Application & Project Manager bei Kollmorgen. Wahre Kraftpakete sein mittlerweile die synchron-linearen Motoren. Sie erzielten Vorschubkräfte von bis zu 20 Kilonewton. „In der Regel übernehmen sie die Aufgabe der Werkzeugpositionierung oder der Bewegung des Maschinentisches.“
Doch kein Vorteil ohne Nachteil. Darauf macht Florèn van Olden, globaler Branchenmanager für die Werkzeugmaschinenindustrie bei Festo, aufmerksam. Da Linearmotoren mit Direktantriebstechnik arbeiten, müssen relativ hohe Ströme eingesetzt werden, um ein ausreichendes Drehmoment zu erreichen. „Höhere Ströme führen zu dickeren Kabeln und mehr Energieverlusten beim Transport über diese Kabel. Sie führen zu viel höheren Temperaturen, weshalb die Wärmeableitung bei Direktantrieben immer ein Thema ist.“
"Wir setzen bei Anwendungen für die Werkzeugmaschinenindustrie bewusst keine Lineardirektmotoren ein, sondern haben uns bei diesen Anwendungen für diese Branche auf Spindel- und Zahnriementechnik spezialisiert. Verschmutzungsgefahr in der Achse durch Magnetismus, hohe Erwärmung und Kosten sprechen dagegen", sagt Florèn van Olden, Branchenmanager Werkzeugmaschinen.
Späne können sich durch offenes Design leichter festsetzen
Um die Magnete ausreichend zu kühlen, hätten viele Linearmotoren ein relativ offenes Design. Da aber in Werkzeugmaschinen häufig magnetische Metalle verwendet werden, setzten sich in diesen Antrieben leicht Späne fest. All dies habe dazu geführt, dass sich Festo auf die Spindel- und Zahnriementechnik mit hoher Beständigkeit gegenüber der Umgebung spezialisiert hat.
Einen vermeintlichen weiteren Nachteil nennt auch Angela Vogt. Sie ist Produktmanagerin Antriebstechnik bei Beckhoff Automation. „Aufgrund der Aufwendungen für die Permanentmagnete der Magnetplatten scheinen die Investitionskosten bei einem Linearmotor im ersten Moment höher.“
Wegen der Wärmeentwicklung sei außerdem ein Kühlkreislauf notwendig, um thermische Verformungen des Werkstücks zu vermeiden. Aber sie relativiert, dass durch die höhere Verfahrgeschwindigkeit und -beschleunigung die Werkstückbearbeitungszeit reduziert und die Produktivität gesteigert würde. „Neben den Anschaffungskosten sind auch laufende Kosten zu betrachten. Einerseits entfallen die Wartungskosten bei Linearmotoren nahezu vollständig, andererseits steigt der Energieverbrauch leicht an.“
„Da rotatorische Servomotoren genau wie Linearmotoren ‚intelligente‘ Antriebe mit Feedbacksystemen sind, bieten sie gleiche Voraussetzungen für eine Digitalisierung. Jedoch dürfte das direkte translatorische Bewegungsprinzip der Linearmotoren unverfälschtere Daten liefern, da Störgrößen durch mechanische Reibung oder Ähnliches entfallen", sagt Angela Vogt, Produktmanagement Antriebstechnik bei Beckhoff Automation.
Viele Werkzeugmaschinenbauer setzen Linearmotoren seit Jahren erfolgreich ein
Das Problem des Magnetismus und der damit einhergehenden Verschmutzungsgefahr umgeht man bei SW-Machines, indem Linear- und Torquemotoren ausschließlich in Maschinen zum Bearbeiten von Werkstücken aus nicht-magnetischen Werkstoffen wie Aluminium und Titanlegierungen eingebaut werden. Produktmanager Patrick Schneider: „Wir decken mit sieben ein- bis vierspindligen Baureihen in der Linearantriebstechnologie Werkstücklängen von 200 bis 3000 mm ab.“ Damit ließe sich bei höchsten Bearbeitungsgeschwindigkeiten eine Positioniergenauigkeit von weniger als 0,004 mm in Kombination aller drei Hauptachsen erzielen.
„Im Vergleich zu Kugelgewindetrieben verbessern die Linearmotoren den Eilgang um 40 Prozent, die Beschleunigung um 60 Prozent und die Span-zu-Span-Zeit um 27 Prozent", sagt Patrick Schneider, Produktmanager bei SW-Machines.
Eindeutig positiv fällt das Urteil bei MWA Magdeburger Werkzeugmaschinen und Automation aus. Dort setzt man schon lange auf Direktantriebe, wie Niederlassungsleiter Christian von Hippel erklärt. Er führt neben Geschwindigkeit und Kraft weitere Positivargumente an. So wirkten beispielsweise lineare Motoren dämpfend auf die Schwingungen bei der Bearbeitung und erhöhten dadurch die Werkzeugstandzeiten.
Nicht nur die Wartungszeiten seien gering, auch die Präzision bleibe konstant. Außerdem seien die Antriebe gutmütiger gegenüber Fertigungs- und Montageungenauigkeiten als Kugelumläufe, bei denen dies sofort zu einer erhöhten Reibung und damit vorzeitigem Verschleiß führe.
Energieverbrauch bei Linearmotoren leicht höher
Die Vielzahl der Vorteile überwiege auch den leicht höheren Energieverbrauch, der sich durch entsprechende Maßnahmen wie Flussabsenkung und Blindleistungskompensation zudem senken lasse. „Mit intelligenten Ein- und Rückspeisemodulen kann die Blindleistung der kompletten Maschine und teilweise auch des Hallennetzes vollständig kompensiert werden, sodass keine kostspieligen und verlustbehafteten Blindstromkompensationsanlagen beim Endanwender benötigt werden.“
Der Werkzeugmaschinenbauer Fooke produziert seit über 30 Jahren Fräsmaschinen vor allem für die Automobilindustrie, die Luftfahrt und die Schienenverkehrsindustrie. 2004 setzte Fooke erstmals statt der üblichen Zahnstangen- oder Kugelgewindetriebe Linearmotoren ein – mit Erfolg. Mehr als 100 Fräsmaschine mit Linearmotor seien laut Matthias Müller, dem Leiter der technischen Entwicklung, bisher verkauft worden.
Bearbeitungskräfte, Schnittgeschwindigkeiten und bewegende Massen entscheidend
Und das für die unterschiedlichsten Bearbeitungsaufgaben. Ausschlaggebende Faktoren für die Auswahl der Linearmotoren seien die, je nach Härte beziehungsweise Festigkeit des Werkstoffs, unterschiedlich hohen Kräfte bei der Bearbeitung, die Schnittgeschwindigkeiten oder die zu bewegenden Massen.
Müller: „Wir setzen Linearmotoren mit Nennkräften von 3.500 N bis 9.000 N ein. Die Vorschubgeschwindigkeiten betragen pro Linearachse bis zu 90 m/min, die Beschleunigungen liegen pro Achse bei 3,5 m/s².“
„Seit 2010 haben Kugelrollspindelantriebe bei Röders ausgedient“, verrät Geschäftsführer Jürgen Röders. So seien die Beschleunigungen und Verfahrgeschwindigkeiten „eigentlich nur eine Frage der Auslegung. Für hochdynamische Produktionsanwendungen haben wir eine Maschine mit 30 m/s2 Achsbeschleunigung.“ Müssten große Massen bewegt werden, ließen sich auch zwei Linearmotoren in Reihe schalten. „Damit erreicht man dann Vorschubkräfte von bis zu 40.000 N.“
„Der etwas höhere Energieeinsatz von Linearmotoren wird durch eine höhere Ausbringung und geringere Wartungskosten über den gesamten Produktlebenszyklus ausgeglichen. Sie erhöhen die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Maschinenkonzepten und erleichtern die Maschinenkonstruktion durch ihre geringen Abmessungen und eine einfache Integration", sagt Joachim Himmelsbach, Geschäftsführer bei Junker.
Standard sind lineare Motoren mittlerweile auch beim Schleifmaschinenhersteller Erwin Junker. Laut Junker-Geschäftsführer Joachim Himmelsbach werden sie vor allem für die X- und Z-Verfahrachsen eingesetzt, „dabei realisieren sie Geschwindigkeiten bis zu 40 m/min und bei wechselnden Verfahr-Richtungen sind Beschleunigungen von 6 m/s² erreichbar.“
Die Linearantriebe böten Vorteile insbesondere bei der Bearbeitung von nicht runden Geometrien. Schnelle Richtungswechsel und hochgenaue Zustellungen senkten die Taktzeiten bei einem gleichzeitig hohen reproduzierbaren Qualitätsniveau.
Weiteres Potenzial durch Rückentkopplung und Integration
Eigentlich wäre bei den Linearmotoren sogar noch mehr drin, doch der Ruck und die Beschleunigung müssen steuerungsseitig begrenzt werden, um eine Schwingungsanregung der Maschinenstruktur zu vermeiden. An dieser Stelle setzen aktuelle Forschungsarbeiten an. Professor Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover (IFW), beschreibt: „Durch die Entkopplung des Antriebs vom Maschinengestell lässt sich die Anregung von Strukturschwingungen deutlich verringern. Mit dieser sogenannten Ruckentkopplungstechnologie kann das Beschleunigungsvermögen von Direktantrieben wesentlich besser ausgenutzt werden.“
„In der Regel kann das volle Potenzial eines Direktantriebs überhaupt nicht ausgenutzt werden, da der Ruck und die Beschleunigung steuerungsseitig begrenzt werden müssen, um eine Schwingungsanregung der Maschinenstruktur zu vermeiden; an dieser Stelle setzen aktuelle Forschungsarbeiten an", sagt Professor Berend Denkena, Institutsleiter IFW in Hannover.
Einen weiteren Verbesserungsansatz sieht Denkena in einer höheren funktionalen Integrationsdichte. So könnten Mehrkoordinatenantriebe Antriebskräfte in mehr als einem Freiheitsgrad erzeugen. „Ein Flächenmotor, der Kräfte in Richtung der X- und der Y-Achse erzeugt, ersetzt beispielsweise zwei herkömmliche Lineardirektantriebe. Dies erlaubt eine sehr kompakte, symmetrische Bauweise der Maschine mit geringen bewegten Massen und geringer Schwingungsneigung.“
„Moderne Linearantriebskonzepte sind zentraler Befähiger einer bandbreitengesteigerten Lageregelung und können gleichzeitig die Grundlage für eine werkstück- und werkzeugnahe Maschinenüberwachung bilden. Auch der Einsatz abseits der Vorschubachse, beispielsweise im Rahmen von vor- und nachgelagerten Werkstück-Transportapplikationen, ist Fokus aktueller Entwicklungen", sagt Professor Christian Brecher, Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen am WZL der RWTH Aachen.
Mit Linearmotoren beschäftigt man sich auch am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen. Professor Christian Brecher, Inhaber des Lehrstuhls für Werkzeugmaschinen, sieht im zunehmenden Einsatz Cloud-gestützter Motoroptimierungen und verbesserter Produktionstechnik Chancen, noch kompaktere, effizientere und preisgünstigere Linearmotoren herzustellen. „Generell wurden in den letzten Jahren produktionstechnische Fortschritte in der Wickeltechnik erzielt, bei denen mit digitaler Bildverarbeitung und unter Einsatz von Robotik die Herstellung von verteilten Wicklungen zunehmend automatisiert werden kann.“
Der Entwicklung von Linearmotoren mit deutlich höheren Maximalkräften setzt allerdings die Wirtschaftlichkeit Grenzen, da die Herstellung von Kugelgewinden derzeit noch deutlich günstiger sei. „Der Fokus aktueller Neuentwicklungen liegt daher auf schnellen leichten Antriebsachsen – beispielsweise tubulare Bauformen mit Beschleunigungen über 20 g.“
überarbeitet von: Dietmar Poll
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