Chinesische Unternehmen setzen immer mehr auf Industrie 4.0-Lösungen, auch aufgrund starker Förderung durch den Staat.

Chinesische Unternehmen setzen immer mehr auf Industrie 4.0-Lösungen, auch aufgrund starker Förderung durch den Staat. - (Bild: Adobe Stock / Kzenon)

Technikbegeisterung kennt in Shanghai keine Grenzen. Als Volker Sauer in der ostchinesischen Metropole vor einiger Zeit Blumen für seine Frau mit der Kreditkarte zahlen wollte, stieß der Technikchef von Bosch Rexroth China bei der 70-jährigen Verkäuferin auf Unverständnis. „So geht das“, erklärte sie ihm, nahm dem Ingenieur das Smartphone ab und zeigte ihm, wie er den QR-Code auf der Ware scannt und über eine App bezahlt.

Chinesische Unternehmer teilen diese Technikaffinität. Für neun von zehn Vorständen im Reich der Mitte gibt es kein wichtigeres Thema als die Digitalisierung ihrer Produktion. In Deutschland sehen dies nur zwei von drei Managern so. Das ergab eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey. Jedes dritte chinesische Unternehmen prognostiziert die Nachfrage nach seinen Produkten zudem bereits mithilfe Künstlicher Intelligenz und optimiert seine Produktion mit Big Data. Hierzulande tut dies erst jedes fünfte Unternehmen.

„Während die meisten Verantwortlichen in Deutschland noch diskutieren, ob sich Industrie 4.0 lohnt, probieren chinesische Unternehmer neue Technologien einfach aus“, fasst Andreas Behrendt zusammen. Als Partner ist er bei McKinsey für Industrie 4.0 zuständig. „Das gilt zwar nicht für alle chinesischen Unternehmen“, ergänzt er, „aber für jene, die sich auf dem Weltmarkt behaupten müssen.“

Konzerne wie Huawei, Haier, Midea oder Lenovo gehen die Digitalisierung ihrer Produktion mit großem Nachdruck an, bestätigt Lutz Berners, Chef der auf China spezialisierten Unternehmensberatung Berners Consulting.

„Topmanager dieser Unternehmen analysieren genau, was sie mit Künstlicher Intelligenz, Business Analytics und dem Internet of Things gewinnen können und füh­ren die Technologien dann in großem Maßstab ein“, berichtet Berners. Zahlen von McKinsey geben ihm Recht: 2016 investierten chinesische Konzerne zwölf Prozent mehr in IT als im Vorjahr. Weltweit erhöhten Unternehmer ihre IT-Budgets nur um zwei Prozent.

Autobauer setzen stark auf Industrie 4.0

Neben den Vorreitern aus der Elektronik haben vor allem Autobauer und ihre Zulieferer in Industrie 4.0 investiert. Maschinenbauer haben ihre Produktion da­gegen bislang oft nicht mal automatisiert. „Vor allem im Westen Chinas ist es für Betriebe bisher leicht, Arbeitskräfte zu finden. Daher investieren sie noch nicht so viel in Robotik oder Digitalisierung, um günstig produzieren zu können. Bei Modernisierungsmaßnahmen rechnen sich Investitionen in neueste Fertigungstechnologien dort nicht immer“, erklärt Volker Sauer, Technikchef und Mitglied der Geschäftsführung von Bosch Rexroth in China.

Die Chefs dieser Unternehmen begeistere Industrie 4.0 aber nicht weniger als die Konzernvorstände an der Ostküste. „Und bei Fabrikneubauten setzen Chinas Manager ohnehin landesweit auf neueste Technologien“, ergänzt der Ingenieur.

Wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, haben viele chinesische Betriebe allerdings auch keine Alternative. Ihre Produktivität legt nach Berechnungen der DBS Bank in Singapur nur um gut fünf Prozent pro Jahr zu. „Gleichzeitig haben Unternehmen vor allem in den Küstenregionen mit jährlichen Lohnsteigerungen von rund zehn Prozent zu kämpfen“, weiß Ulrich Ackermann, Leiter der Abteilung Außenwirtschaft beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).

„Selbst kleinere Automobilzulieferer versuchen dieses Problem mit Industrie-4.0-Anwendungen zu lösen, mit denen sie die Effizienz ihrer Fertigung steigern und Ausschuss verringern können“, berichtet Berater Berners.

Um ältere Mitarbeiter körperlich zu entlasten und den durch die Alterung der Bevölkerung zunehmenden Arbeitskräftemangel auszugleichen, schafften chinesische Betriebe 2016 zudem 87 000 Roboter an – fast so viele wie alle Unternehmen in Europa und den USA zusammen.

Das meldet die International Federation of Robotics (IFR) in ihrem aktuellen World Robotics Report. Noch liegt die Volksrepublik mit 68 Robotern pro 10 000 Beschäftigten im internationalen Vergleich zwar auf Platz 23. Die Bundesrepublik belegt mit 309 Robotern pro 10 000 Arbeitnehmern Rang drei. Doch nimmt die Roboterdichte nirgendwo so schnell zu wie im Reich der Mitte. Die IFR erwartet, dass chinesische Fabriken 2019 vier von zehn weltweit produzierten Robotern abnehmen.

Die Regierung in Peking fördert dies mit ihrer Initiative ‚Made in China 2025‘. Der Aktionsplan ‚Internet plus‘ unterstützt Unternehmen zudem, wenn sie mobiles Internet, Cloud-Computing oder das Internet of Things (IoT) nutzen. „Da die Regierung dafür gewaltige Fördermittel bereitstellt, versuchen viele Betriebe, auf den Industrie 4.0- und Automatisierungszug aufzuspringen“, berichtet Ackermann vom VDMA. Immerhin fördert Peking smarte Produktionstechnologien mit 2,7 Milliarden Euro. Deutschland kann da mit 260 Millionen Euro Forschungsförderung für Industrie 4.0 nicht mithalten.

Roboter selber bauen fällt China noch schwer

Selbst herstellen können Anbieter in der Volksrepublik die geförderten Technologien aber oft nicht. So ist es chinesischen Herstellern noch nicht gelungen, belastbare Untersetzungsgetriebe und sechsachsige Robotern zu fertigen. Auch fehlt es an Softwareschmieden, die Plattformen programmieren können, mit denen sich die in der Industrie 4.0 gesammelten Datenmengen verwalten und auswerten lassen.

Technologien, die in der Volksrepublik für ihre Digitalisierung und Automatisierung fehlen, kaufen chinesische Betriebe jedoch im Ausland zu. Zuletzt übernahm der größte private Mischkonzern der Volksrepublik, Fosun, im Juni 2018 FFT aus Fulda. Der Mittelständler stellt schüsselfertige, automatisierte Produktionsanlagen her.

Berater Berners beobachtet auch, dass immer mehr chinesische Unternehmen, nicht mehr nur ihre Produkte entwickeln, sondern auch die Anlagen, die sie für deren Fertigung brauchen. So stellen die 85 000 Mitarbeiter von Gree heute neben Klimaanlagen und Haushaltsgeräten auch Zerspanungsmaschinen und Roboter her. „Beides brauchte das Unternehmen aus Zhuhai für seine Werke, fand aber keine Anbieter“, erzählt Berners. Gree entwickelte die Automatisierungslösungen kurzerhand selbst.

„Ähnliche Entwicklungen laufen mit Unterstützung des Staates in einigen Unternehmen der Volksrepublik ab“, weiß Berners. Er erwartet daher, dass chinesische Anbieter mit aller Macht auf westliche Märkte drängen, sobald sie ihre Automatisierungs- und Industrie 4.0-Lösungen weit genug entwickelt haben. „Wann genau das passiert, ist schwer zu sagen. Aber es kann schnell gehen“, meint Berners. Da Peking ausländische Unternehmen in der Industrie 4.0 jedoch nicht aus der Volksrepublik fernhalte, könnten sich deutsche Unternehmen in diesem Bereich in China engagieren. „Das tut nur kaum ein westliches Unternehmen“, beobachtet Berners.

Bosch Rexroth liefert IoT-Komponenten nach China

Eine Ausnahme ist Bosch Rexroth. Das Unternehmen aus Lohr am Main beliefert Maschinenbauer unter anderem mit Montage-, Antriebs- und Steuerungstechnik sowie Komponenten, um Maschinen über das IoT zu vernetzen. In China sind die Kunden meist Anbieter kompletter Montage- und Fertigungsanlagen. „Über diese Systemintegratoren verkaufen wir unsere Produkte an chinesische Betriebe und profitieren so davon, dass sie ihre Fertigung vernetzen und automatisieren“, erklärt Sauer aus Sicht der Geschäftsführung von Bosch Rexroth in China.

Der Erfolg beruht dabei nicht nur auf dem Ruf, den sich Bosch in China seit 1909 als Anbieter hochwertiger Geräte erarbeitet hat. „Um die Anforderungen unserer Kunden möglichst gut erfüllen zu können, haben wir in China für alle Produktbereiche Entwicklungszentren aufgebaut“, ergänzt Sauer. Seit 2017 vermittelt Bosch Rexroth in einem Schulungszentrum in Chengdu chinesischen Fachkräften zudem Wissen, das sie brauchen, um die Produktion in ihren Betrieben zu verschlanken.

„Industrie 4.0-Anlagen müssen nicht nur aufgebaut, sondern auch betrieben und ständig verbessert werden“, erklärt Sauer. Dazu brauche es Mitarbeiter, die Prozesse immer effizienter machen wollen. Derart qualifizierte Kräfte fehlen in China aber noch oft. Das Engagement in Asien lohnt sich für Bosch Rexroth: 2017 steigerten die 4 700 Mitarbeiter in Asien ihren Umsatz um über 20 Prozent auf 1,37 Milliarden Euro. Den Großteil davon erwirtschafteten sie im Kernmarkt China.

Was ist die China Robot Industry Alliance (CRIA)?

Die China Robot Industry Alliance ist eine gemeinnützige Organisation, die sich aus insgesamt 360 freiwilligen Unternehmen, Manufakturen, Universitäten, Forschungsinstituten, regionalen oder lokalen Roboter Verbänden, verwandten Organisationen sowie staatlich geförderten Organisationen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Herstellung, Anwendung und Dienstleistungen der Roboterindustrie in China zusammensetzt. Die Organisation bietet eine Plattform für Informationsaustausch, Anwendungsförderung sowie Ausbildung und Training. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit zwischen Robotern und Industrie beschleunigt und die Anwendung von Robotertechnologie und -produkten international stärker verbreitet werden.

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