Blick in die eCitaro Produktion bei Mercedes.

Blick in die eCitaro Produktion bei Mercedes. - (Bild: Daimler)

Fällt eine Maschine aus, schlägt das schnell mit 40.000 Euro oder mehr zu Buche – pro Stunde! Um Ausfälle zu vermeiden und die Verfügbarkeit seiner Anlagen zu erhöhen, erfasst Mercedes-Benz Cars beim Laserschweißen in seinen Werken deshalb Zustandsdaten der Laserquellen wie die Laserleistung, den Kühlwasserdruck, die gemittelte Pulsenergie oder den Reflexionswinkel des Laserstrahls. Diese Daten überträgt der Autobauer über das Internet der Dinge (IoT) an die Plattform „Axoom“ des Schweißmaschinenherstellers Trumpf.

Algorithmen analysieren dort die Daten. Experten überprüfen, ob die Ergebnisse plausibel sind. So will der Stuttgarter Konzern seine Anlagen effizienter nutzen und mögliche Störungen so früh erkennen, dass Mitarbeiter sie beheben können, bevor eine Maschine zum Stillstand kommt.

Vorausschauende Analysen des Betriebszustands von Anlagen können die Zahl der ungeplanten Maschinenausfälle um bis zu 70 Prozent senken, haben das Weltwirtschaftsforum und die Beratungsgesellschaft Accenture in einer Studie ermittelt. Wer will den Einmarsch der Plattformen in der Produktion da noch aufhalten?

Condition-Monitoring-Tools überwachen Plattformen

Obwohl der Begriff auch digitale Marktplätze beschreibt, ist eine Plattform für die meisten Unternehmen wie für Mercedes-Mutterkonzern Daimler derzeit nur eine Datendrehscheibe: Sie wertet Daten aus, die Sensoren in der Fertigung aufzeichnen und macht Prozesse mit den gewonnenen Erkenntnissen produktiver.

Mit Condition-Monitoring-Tools überwachen Plattformen dazu das Verhalten und den Zustand von Maschinen und Anlagen. Mit Analysesoftware stellen sie fest, ob Prozesse optimal ablaufen, oder sich einzelne Parameter verbessern ließen. Unternehmen nutzen dazu entweder hausinterne Lösungen, oder Rechnerkapazitäten und Software, die die Hersteller der an die Plattform angeschlossenen Maschinen als Dienstleistung anbieten. Ob Siemens, SAP, Bosch, MAN, DMG Mori, Dürr oder Kuka kaum ein Maschinenbauer verzichtet noch auf diese Erweiterung seines Geschäftsmodells.

Die Plattformbetreiber verarbeiten Daten, die ihnen Maschinen aus einer Vielzahl von Betrieben liefern. So können sie Produktionsprozesse mit Big Data optimieren. Denn mit je mehr anderen Informationen Daten aus einer Fertigung verglichen werden, desto genauere Handlungsempfehlungen kann die Software geben.

„Erst diese Verkettungen der Daten und Datenmengen erschließen Nutzern der Plattformen die eigentlichen Optimierungspotenziale“, erklärt Marco Holzer, Leiter des Bereichs „Produktmanagement & Logistik Services“ von Trumpf. „Ziel ist dabei immer, den Auslastungsgrad und die Verfügbarkeit der Anlagen zu erhöhen, damit sie in der gleichen Zeit mehr Teile in gleicher oder besserer Qualität produzieren können“, erklärt Holzer.

Maschinenführer, Schicht- und Produktionsleiter gefordert

„In Pilotanwendungen konnte die Effizienz einer Fertigung durch ihre Anbindung an eine Plattform um bis zu 20 Prozent gesteigert werden“, weiß Dr. Michael Zollenkop, Partner und Experte für die Optimierung von Wertschöpfungsprozessen im Maschinen- und Anlagenbau bei der Unternehmensberatung Roland Berger.

Diese Potenziale wollen sich vier von zehn deutschen Industrieunternehmen nicht mehr entgehen lassen. Sie optimieren ihre Produktion deshalb bereits mit IoT-Plattformen, ergab eine Studie des Verbands der Digitalwirtschaft, Bitkom. Weitere 51 Prozent der Unternehmen wollen dies 2018 nachholen, hat das Marktforschungsunternehmen IDC ermittelt.

Für ihre Maschinenführer, Schicht- und Produktionsleiter hat das weitreichende Folgen: Plattformen visualisieren die Ergebnisse ihrer Analysen zwar übersichtlich auf Dashboards. Diese lassen sich ebenso wie Alarmmeldungen auch auf mobilen Endgeräten anzeigen.

„Wenn die Plattform dem Maschinenführer jedoch mitteilt, dass ein Prozess nicht in der richtigen Geschwindigkeit abläuft, oder die Temperatur nicht stimmt, muss immer noch der Mensch die Einstellungen an der Maschine ändern – und zwar möglichst sofort“, erklärt Berater Zollenkop. Sonst gehe der Echtzeitvorteil bei der Optimierung des Prozesses verloren. „Wenn sich Mitarbeiter eine Entscheidung erst von ihrem Vorgesetzten absegnen lassen müssen, verpufft der Zeitgewinn“, warnt Zollenkop.

Das sieht auch Daniel Stock so. „Deshalb müssen Produktionsleiter Arbeitsabläufe sowie die Verantwortungsbereiche ihrer Mitarbeiter so anpassen, dass die Kollegen überhaupt so schnell reagieren können, wie es die Arbeit mit einer Plattform erfordert“, rät der Gruppenleiter Produktions-IT Architekturen und Integration am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA).

Plattformen sorgen für flache Hierarchien

Plattformen führen in der Produktion somit idealerweise zu flacheren Hierarchien. „Mitarbeiter werden mehr Verantwortung bekommen“, erwartet auch Dr. Nicole Stricker, Oberingenieurin Produktionssystemplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Jedoch müssen Vorgesetzte die Verantwortungsbereiche ihrer Kollegen auch genauer abgrenzen als bislang.

„Plattformen können Handlungsempfehlungen und Alarme gezielt nur an die Mitarbeiter senden, die ein Problem auch lösen können“, erklärt Marco Holzer von Trumpf. Stelle ein Algorithmus etwa fest, dass etwas mit dem Kühlwasser nicht stimmt, benachrichtige die Plattform nur das Team, das für die Kühlwasseranlage zuständig ist.

„Dazu müssen aber die verantwortlichen Mitarbeiter entsprechend im System hinterlegt sein “, merkt Holzer an. Um die Zuständigen benennen zu können, müssten Produktionsleiter Arbeitsabläufe möglichst weit standardisieren und klar definieren, welcher Mitarbeiter wofür, welche Entscheidungskompetenz hat. „Mit dem Wandel von einer reaktiven zur proaktiven Vorgehensweise kann daher - wo rund um die Uhr produziert wird – auch gezielter eine Rufbereitschaft eingerichtet und genutzt werden“, ergänzt Holzer.

Warum ein Plattformbetreiber 24 Stunden erreichbar sein muss

Denn wo nachts produziert wird, muss der Plattformbetreiber 24 Stunden am Tag einen Ansprechpartner in der Fertigung haben, der Entscheidungen treffen darf – und kann.

Denn ohne die für den Umgang mit Plattformen nötige Qualifikation hilft Mitarbeitern ihre Entscheidungsbefugnis wenig. „Sie müssen verstehen, wie die Plattform-Anwendung zu ihrer Empfehlung kommt“, erklärt Stock vom Fraunhofer-IPA. Sonst trauen die Kollegen den Assistenzsystemen nicht.

„Mitarbeiter, die keine Digital Natives sind, holen sich unserer Erfahrung nach, oft die Bestätigung von einem Meister oder ihrem Chef, bevor sie den Vorschlag eines Plattformdienstes umsetzen“, berichtet Stock. Das dauert in einer smarten Fertigung zu lange. Dieses Problem haben inzwischen auch Wissenschaftler erkannt, die über KI forschen. Sie beschäftigen sich zunehmend damit, wie sich Entscheidungen von Algorithmen für Laien nachvollziehbar erklären lassen.

Produktionsmitarbeiter brauchen mehr IT-Kenntnisse

„Die Ausbildung von Produktionsmitarbeitern muss außerdem künftig erheblich mehr IT-Kenntnisse vermitteln“, fordert Stock. „Die Mitarbeiter müssen idealerweise den kompletten Produktionszusammenhang kennen“, ergänzt KIT-Oberingenieurin Stricker. „Sie müssen verstehen, wie es sich auf den gesamten Prozess auswirkt, wenn sie der Empfehlung eines Assistenzsystems folgen.“ Nur so sind sie bereit, sich auf dessen Vorschlag zu verlassen und diesen schnell umzusetzen.

Ohne einen grundlegenden Mentalitätswandel in der Produktion wird diese Bereitschaft nicht entstehen. Heute sind Meister und Techniker zu Recht stolz darauf, wie wichtig ihr Wissen und ihre Erfahrung für ihren Betrieb ist. „Noch lässt sich dieses Expertenwissen kaum in Algorithmen abbilden“, weiß IPA-Experte Stock. Eine Plattform aber greift auf mehr Daten zu, als der Mensch jemals lernen und sich merken kann.

„Sie kann die für die Anlageneffektivität, den Output, die Produktionskosten und die Energieeffizienz optimalen Einstellungen ermitteln und Empfehlungen für die Produktionssteuerung abgeben. Auf diesen Wissensvorsprung der Maschinen müssen sich Menschen einlassen“, sagt Michael Zollenkop von Roland Berger. Gelingt ihnen das, helfen ihnen IoT-Plattformen nicht nur Maschinenstillstände zu vermeiden, sondern Kosten in jedem Bereich der Fertigung zu sparen.

 

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