
Blick in Wendelstein 7-X: Am 22. Mai wurde die jüngste Versuchskampagne an der weltweit leistungsstärksten Kernfusionsanlage vom Typ Stellarator abgeschlossen. Durch die Zusammenarbeit von Forschern aus Europa und den USA erreichte Wendelstein 7-X unter anderem einen Weltrekord bei einem Schlüsselparameter der Fusionsphysik: dem Dreifachprodukt. (Bild: IPP - Jan Hosan)
Am 22. Mai wurde die jüngste Versuchskampagne an der weltweit leistungsstärksten Kernfusionsanlage vom Typ Stellarator abgeschlossen. In einer internationalen Kollaboration von Wissenschaftlern aus Europa und den USA wurde mit dem Wendelstein 7-X ein bedeutender Meilenstein erreicht: Es wurde ein Weltrekord bei einem Schlüsselparameter der Fusionsphysik erzielt – dem Dreifachprodukt. Der erreichte Wert übertrifft frühere Tokamak-Rekorde für lange Plasmadauern.
Auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk gehören Stellaratoren zu den vielversprechendsten Konzepten. Sie könnten in Zukunft durch die Verschmelzung leichter Atomkerne nutzbare Energie erzeugen. Diese Reaktion muss in einem Plasma stattfinden - einem heißen Gas aus ionisierten Teilchen, das auf viele zehn Millionen Grad Celsius erhitzt ist. Stellaratoren nutzen den magnetischen Einschluss, um das Plasma zu halten: Das Plasma wird von einem komplexen und starken Magnetfeld eingeschlossen und schwebt in einer donutförmigen Vakuumkammer.
Mit Wendelstein 7-X (W7-X) betreibt das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald mit Unterstützung des europäischen Fusionskonsortiums EUROfusion das weltweit größte und leistungsfähigste Experiment seiner Art. W7-X soll zeigen, dass Stellaratoren in der Praxis die von der Theorie vorhergesagten herausragenden Eigenschaften erreichen können - und sich damit als Konzept für zukünftige Fusionskraftwerke eignen.
Weltbestes Dreifachprodukt für lange Plasmadauer
In der OP 2.3-Kampagne, die am 22. Mai endete, erzielte das internationale W7-X-Team einen neuen Weltrekord für das Dreifachprodukt bei langen Plasmaentladungen: An diesem letzten Tag wurde ein neuer Spitzenwert dieses wichtigen Fusionsparameters (siehe Erläuterung unten) für 43 Sekunden aufrechterhalten. Wendelstein 7-X übertraf damit die besten Leistungen von Fusionsanlagen des Tokamak-Typs bei längeren Plasmadauern.
Tokamaks beruhen ebenfalls auf magnetischem Einschluss, sind aber aufgrund ihrer einfacheren Bauweise viel besser untersucht. Die höchsten Werte für das Dreifachprodukt erreichten der japanische Tokamak JT60U (2008 außer Betrieb genommen) und die europäische Tokamak-Anlage JET in Großbritannien (2023 außer Betrieb genommen). Mit kurzen Plasmadauern von nur wenigen Sekunden bleiben sie die klaren Spitzenreiter. Bei den längeren Plasmadauern, die für ein zukünftiges Kraftwerk wichtig sind, hat Wendelstein 7-X die Nase vorn, obwohl JET das dreifache Plasmavolumen hatte. Die Größe macht es viel einfacher, hohe Temperaturen in Fusionsreaktoren zu erreichen.
"Der neue Rekord ist eine großartige Leistung des internationalen Teams. Er demonstriert eindrucksvoll das Potenzial von Wendelstein 7-X. Die Erhöhung des Dreifachprodukts auf Tokamak-Niveau bei langen Plasmapulsen ist ein weiterer wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem kraftwerkstauglichen Stellarator", sagt Prof. Dr. Thomas Klinger, Leiter des Betriebs von Wendelstein 7-X und Leiter der Stellarator-Dynamik und -Transport am IPP.
Schlüssel zum Erfolg: der neue Pellet-Injektor des Oak Ridge National Laboratory
Der neue dreifache Produktweltrekord für lange Pulse wurde durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem europäischen Wendelstein 7-X-Team in Greifswald und Partnern aus den USA ermöglicht. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der neue Pellet-Injektor (mehr dazu am Ende dieses Artikels), der gefrorene Wasserstoffpellets in das Plasma einspeist und durch kontinuierliches Nachfüllen lange Plasmadauern ermöglicht. Das Oak Ridge National Laboratory (ORNL) des U.S. Department of Energy (DOE) in Tennessee hat diesen hochentwickelten und weltweit einzigartigen Injektor entwickelt und bei Wendelstein 7-X erfolgreich in Betrieb genommen.
Während des Rekordexperiments wurden etwa 90 gefrorene Wasserstoffpellets von etwa einem Millimeter Größe in 43 Sekunden injiziert, während gleichzeitig starke Mikrowellen das Plasma aufheizten. Die genaue Koordination zwischen Heizung und Pellet-Injektion war entscheidend, um ein optimales Gleichgewicht zwischen Heizleistung und Brennstoffzufuhr zu erreichen. Der Schlüssel dazu war der erstmalige Betrieb des Pellet-Injektors mit variablen, vorprogrammierten Pulsraten - ein Schema, das mit beeindruckender Präzision ausgeführt wurde. Diese Methode ist für künftige Fusionsreaktoren unmittelbar relevant und kann die Plasmadauer auf mehrere Minuten verlängern.
Die Verwendung von Pellets wurde durch Vorarbeiten mehrerer europäischer Laboratorien ermöglicht, darunter Simulationsberechnungen des Zentrums für Energie-, Umwelt- und Technologieforschung (CIEMAT) in Spanien und Beobachtungen mit ultraschnellen Kameras durch das HUN-REN-Zentrum für Energieforschung in Budapest. Das Mikrowellenheizsystem (genauer: Elektronenzyklotronresonanz) wurde in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und einem Team der Universität Stuttgart entwickelt. Sie gilt als die vielversprechendste Methode, um Plasma auf fusionsrelevante Temperaturen zu bringen.
Bei dem rekordverdächtigen Experiment wurde die Plasmatemperatur auf über 20 Millionen Grad Celsius erhöht und erreichte einen Spitzenwert von 30 Millionen Grad. Die Messungen zur Berechnung des Tripelprodukts lieferte unter anderem das Princeton Plasma Physics Laboratory, das bei W7-X ein Röntgenspektrometer zur Ionentemperaturdiagnostik betreibt. Die erforderlichen Daten zur Elektronendichte stammen aus dem weltweit einzigartigen Interferometer des IPP. Die für die Berechnung des Dreifachprodukts erforderliche Energieeinschlusszeit wurde ebenfalls mit am IPP entwickelten Diagnosewerkzeugen ermittelt.
IPP
Kernfusion in Wendelstein 7-X: Weitere Höhepunkte der OP 2.3-Kampagne
Während der OP 2.3-Versuchskampagne erreichte Wendelstein 7-X zwei weitere Meilensteine:
- Der Energieumsatz wurde auf 1,8 Gigajoule erhöht (Plasmadauer: 360 Sekunden).
Der bisherige Rekord vom Februar 2023 lag bei 1,3 Gigajoule. Der Energieumsatz errechnet sich aus dem Produkt von eingespeister Heizleistung und Plasmadauer.
Die Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen Hochenergiezufuhr und die Abfuhr der erzeugten Wärme sind Voraussetzungen für den zukünftigen Kraftwerksbetrieb. Der entsprechende Bestwert für die 1000-Sekunden-Entladung im Tokamak EAST (China) wurde von Wendelstein 7-X sogar leicht übertroffen. - Der Plasmadruck im Verhältnis zum magnetischen Druck erreichte zum ersten Mal über das gesamte Plasmavolumen 3 %.
In einer speziellen Versuchsreihe wurde das Magnetfeld absichtlich auf etwa 70 % reduziert, wodurch der magnetische Druck sank und der Plasmadruck anstieg. Dieses Verhältnis ist ein Schlüsselparameter für die Extrapolation auf ein Fusionskraftwerk, für das 4-5 % des Volumens erforderlich sind. Der neue Rekordwert wurde von einer Spitzentemperatur der Ionen von rund 40 Millionen Grad Celsius begleitet.
Prof. Dr. Robert Wolf, Leiter der Stellarator-Heizung und -Optimierung am IPP, fasst zusammen: "Die Ergebnisse dieser experimentellen Kampagne sind weit mehr als nur Zahlen. Sie stellen einen bedeutenden Fortschritt bei der Validierung des Stellarator-Konzepts dar, der durch eine hervorragende internationale Zusammenarbeit ermöglicht wurde."