Bernhard Dichtl, Excelliance Management Partners

Er ist Managing Director bei Excelliance Management Partners: Bernhard Dichtl. - (Bild: Excelliance Management Partners)

Bernhard Dichtl ist Partner & Managing Director bei Excelliance Management Partners. Sein Fokus liegt dabei auf der Automobilindustrie in Deutschland, sowohl Hersteller als auch Zulieferer. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen insbesondere Produktentstehung, Prozessmanagement und Changemanagement aber auch Digitale Transformation.

Wie sieht Ihre Vision von der Mobilität der Zukunft aus?

Die Mobilität der Zukunft baut auf vier strategischen und sich ergänzenden Säulen auf: Connected, Autonomous, Shared, Electrified.

Derzeit bündeln gerade die deutschen Konzerne (OEMs und 1st Tier) ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf diese Schwerpunkte und gehen, teilweise auch krisenbedingt, damit wieder in Führung für die signifikante Umgestaltung ihrer Geschäftsmodelle. Der Weg in die Zukunft muss in beherrschbaren Schritten erfolgen, wobei technologische Fortschritte wie auch Gesetzgebung und Akzeptanz in der Gesellschaft die Schrittweite bestimmen.

Connected: Das Auto der Zukunft wird hochvernetzt sein. Zur Bewältigung der eigentlichen Fahraufgaben liefern Frontkameras permanent und anonymisiert hochaufgelöstes Bildmaterial von Straße und Verkehr an ein Backend zur lfd. Aktualisierung der hochgenauen Echtzeitkarten, die wiederum an die Fahrzeuge zurückgesandt werden. Damit ist sichergestellt, dass die Fahrzeuge die unmittelbare und aktuelle Fahrumgebung jederzeit kennen. Die mittel-/langfristige Vernetzung zu weiteren Verkehrsobjekten (Car2X z. B. Infrastruktur) sowie bei ausreichender Gesamtdurchdringung (Prognose < 70% in 10 Jahren) zu weiteren Fahrzeugen (Car2Car) setzt eine internationale Standardisierung voraus.

Autonomous: Vollautonom (SAE Level 5) ohne Fahrereingriffe auch im hochkomplexen städtischen Bereich, werden Fahrzeuge erst in der zweiten Hälfte der nächsten Dekade unterwegs sein.  Die Technologie befindet sich derzeit am Übergang vom SAE Level 2 (teilautomatisiert; „Füße und Hände weg“) zum SAE-Level 3 (hochautomatisiert; zusätzlich „Augen weg“). Bei Systemgrenzen bzw. im Störfall stellt der Fahrer die Rückfallebene dar. Die nächste Stufe SAE Level 4 (vollautomatisiert; „Aufmerksamkeit weg“) ist ab 2022 bis 2025 serienreif zu erwarten. Hier müssen die Systeme das Fahrzeug im Grenzbereich oder Fehlerfall ohne Rückfallebene Fahrer in einen sicheren Zustand überführen (Minimum Risk Manöver).  Der Automatisierungsfortschritt im Nutzfahrzeugbereich wird in etwa synchron verlaufen, wobei Platooningkonzepte (elektronische Deichsel) abhängig von der EU-Gesetzeslage ebenfalls ab 2019/2020 zum Einsatz kommen. Die prognostizierte Spritkosteneinsparung liegt dabei bei ca. 7%.

 

Shared Services: Urbane Räume werden zu Märkten für Shared Services beziehungsweise On Demand Mobiblity. Die Erfolge von Drive Now (BMW) oder. Car2Go (Daimler) bestätigen diesen Trend. Volkswagen bündelt zukünftige Mobilitätsdienstleistungen in der Tochtergesellschaft Moia und strebt unter anderem zusammen mit Gett (Uber Konkurrent) an, bis 2025 mit eigenen Shuttleflotten führender Mobilitätsdienstleister in Europa zu sein. Durch die zukünftig stärkere Abkoppelung von Fahrzeug zu Fahrer/Halter über diese Shared Services beziehungsweise Robotertaxis sowie Parkplatznot in den Städten wird die Anzahl der produzierten und verkauften Fahrzeuge deutlich zurückgehen. Die stärkere Auslastung durch die Mehrfachnutzung führt allerdings über die kürzere Lebensdauer zu einem gegenläufigen Trend.

"Die derzeit für 2020/2021 von den Herstellern angekündigten Produkte werden Reichweiten im Idealzustand von 400 bis 500 Kilometer haben." - Bernhard Dichtl, Excelliance Management Partners

Electrified: Der wesentliche Durchbruch insbesondere für die BEVs wird ab 2020 in Abhängigkeit von verfügbarer Infrastruktur beziehungsweise effizienter Ladetechnologie erwartet. Deren Anteil im Straßenverkehr wird bereits 2025 bei mehr als 30% mit stark regionalen Unterschieden (vgl. Norwegen, China etc.) sein. Die derzeit für 2020/2021 von den Herstellern angekündigten Produkte werden Reichweiten im Idealzustand von 400 bis 500 Kilometer haben. Die Durchsetzung der BEVs vorrangig im städtischen Umfeld wird neben Kaufprämien gezielt gefördert durch diverse, weitere Annehmlichkeiten unter anderem durch Freifahrt auf Busspuren, kostenlosem Parken mit induktivem Laden vor Einkaufszentren etc.

Zusätzlicher zeitlicher Druck auf die Hersteller kommt einerseits durch angekündigte Quoten für BEVs in China, andererseits aber auch durch aggressive Start-ups wie Faraday Future in USA beziehungsweise Future Mobility oder Nio in China. Die PHEVs sind allenfalls eine Übergangstechnologie, da es grundsätzlich ineffizient ist, zwei Antriebstechnologien unter anderem unter den Aspekten Gewicht, Kosten und Komplexität an Bord mitzufahren. Langfristig wird in der Brennstoffzelle auf Basis Wasserstoff ein zusätzliches Potenzial gesehen.

Was sind die wesentlichen Herausforderungen, die auf dem Weg dorthin noch gemeistert werden müssen?

Neben der Technik sind insbesondere die Gesetzeslage und ethische Gesichtspunkte zu betrachten.

Technik: Das Auto gilt mittlerweile als das komplexeste elektronische Gerät mit 6mal mehr Codezeilen als ein kommerzielles Flugzeug. Um vollständig autonom (SAE Level 5) unter allen Verkehrssituationen zu fahren, müssen die kognitiven Fähigkeiten des Menschen durch künstliche Intelligenz übernommen werden. Es erfordert eine zentimetergenaue Lokalisierung mit intelligenten, in Realtime über Backend aktualisierten Karten. Zudem müssen die on-board-Informationen mit rasant schnellen Datentransfers (5G mit 10 GBit/s ab 2020) ständig aktualisiert werden und die Fahrzeugarchitektur mit Fehler- und Absicherungsmechanismen einen Ausfall von Technik (Sensoren, Steuergeräten und Software) durch Redundanz kompensieren.

Roboterautos müssen sehr viel sicherer fahren als der Mensch. Man spricht von einer Systemzuverlässigkeit über Redundanz von 99,9999%. Nur dann tragen autonome Fahrzeuge zu einem weiteren deutlichen Rückgang von Verkehrstoten bei, da 90% aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Die damit einhergehenden Test- und Validierungsprozesse für eine erforderliche internationale Homologation sind enorm. Die von der Fachwelt prognostizierenden Testkilometer von größer 240 Mill. Km werden zwangsläufig völlig neue Absicherungsstrategien (z. B. probabilistische bzw. simulative Methoden) erforderlich machen.

Gesetzgebung: Mit einer Erweiterung des Wiener Übereinkommens (UN 2014; D 2017) erfolgte die rechtliche Gleichstellung von Fahrer und Computer unter der Voraussetzung, dass die Rückfallebene und Verantwortung in jedem Fall beim Fahrer bleibt. Diese Gesetzeslage ermöglicht damit bislang ausschließlich den SAE Level 3. Trotz der verbindlichen Einrichtung eines Datenspeichers (Blackbox) sind Haftungsfragen (Fahrer, Halter oder Hersteller?) sowie versicherungstechnische Aspekte noch nicht geklärt, werden aber auf UN-Ebene derzeit diskutiert. Pionierstaaten zum autonomen Fahrer werden vermutlich nicht in der EU zu finden sein!

Ethik: Ethische Fragen werden unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Akzeptanz m. E. etwas widersprüchlich diskutiert. Grundsätzlich gilt, dass Sachschaden vor Personenschaden geht. Die Technik wird jedoch auch zukünftig nicht in der Lage sein das Alter eines Fußgängers zu erkennen beiehungsweise die Anzahl der Passagiere in einem Fahrzeug zu zählen. Ein autonomes Fahrzeug wird aber ggf. früher als ein Mensch in Abhängigkeit von der 360 Grad-Sensorik die Geschwindigkeit reduzieren und hinreichende Sicherheitsabstände einhalten, um präventiv Unfälle zu vermeiden. Künstliche Intelligenz bzw. selbstlernende Algorithmik werden hier wesentliche Beiträge liefern.

Kooperationen: Diese komplexen Themen werden zukünftig nur über Partnerschaften zu beherrschen sein. Kooperationen wie BMW, Delphi mit Intel/Mobileye, Bosch, AUDI, Daimler, ZF und Tesla mit Nvidia sind Beispiele dafür. BMW, Daimler und AUDI haben HERE für die Standardisierung der hochauflösenden Karten übernommen, woran sich zwischenzeitlich auch Intel/Mobileye, NavInfo, Tencent und GIC beteiligt haben. Die Kooperationen um HERE im Zusammenhang mit Mobileye (BMW, GM, Delphi, VW etc.) haben das Potenzial zu einer Industrieplattform zu werden.

Auch Google und Apple haben ihre Strategien angepasst und konzentrieren sich auf Intelligenz, Daten und Algorithmik im selbstfahrenden Auto. Sie überlassen den eigentlichen Fahrzeugbau den traditionellen Konzernen (z.B. Google à FCA, Apple à Lexus). Zusätzlich rüsten die Chiphersteller (z. B. Samsung mit Harman, Qualcomm mit NXP) auf, um sich an dem Kuchen „Auto der Zukunft“ als mittelfristig erstem wesentlichen Objekt im IoT (Internet of Things) ein ordentliches Stück abzuschneiden.  

"Auch Google und Apple haben ihre Strategien angepasst." - Bernhard Dichtl, Excelliance Management Partners

Datenvolumina: Die Prognose bzgl. der durch die Echtzeitvernetzung im autonomen Fahrbetrieb auszutauschenden und zu verarbeitenden Daten liegt zwischenzeitlich im Peta- beziehungsweise Übergang zum Exa-Bytebereich, das heißt 1 Millionen beziehungsweise 1 Milliarden GByte. Dies gilt es im Sinne von Big Data zu beherrschen.

Datensicherheit: Bedingt durch den hohen Grad der Vernetzung der Systemarchitektur der zukünftigen Fahrzeuge mit der Umgebung muss neben der „funktionalen Sicherheit“ (Sicherstellung der korrekten Funktion eines Systems gem. ISO 26262) dem hochsensitiven Bereich der Datensicherheit (Security) ein Höchstmaß an Bedeutung beigemessen werden. Berichte über Remotemanipulationen von Fahrzeugen (vgl. Jeep Cherokee 2015) bzw. Hackerangriffe in Unternehmen (vgl. Yahoo usw.) führen zu massiver Verunsicherung in der Bevölkerung. Um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, ist eine robuste Sicherheitsarchitektur im Fahrzeug und um das Fahrzeug (Cybersicherheit) dabei Grundvoraussetzung für den ersten Serieneinsatz von hochautomatisierten Fahrzeugen.

In welchem Bereich wird der wesentliche Teil der Wertschöpfung von Automobilherstellern in Zukunft liegen – in der Produktion eines Autos oder in neuen Geschäftsmodellen?

Wertschöpfung und Differenzierung der Unternehmen im Wettbewerb werden sich im Rahmen der Mobilität der Zukunft signifikant verschieben.

Wertschöpfungskette: Die ganz wesentliche Veränderung der Antriebstechnologie hin zum Elektro-Antriebsstrang wird zu einem noch stärkeren Rückgang der Wertschöpfungstiefe bei den OEMs führen. Die bisherige Kernkompetenz der OEMs im hochkomplexen und bauteilintensiven Verbrennungsmotor fällt weg. Zulieferanten sind mittlerweile in der Lage komplette E-Antriebsstränge als Gesamtsysteme zu liefern (vgl. ZF/TRW). 1st-Tier Lieferanten bauen massiv ihre Softwarekompetenz aus und verbünden sich mit KI-Expertise (z.B. Nvidia), um zukünftig das „Gehirn des Autos der Zukunft“ (vgl. Bosch) als Teilsystem anbieten zu können. Das Marktpotenzial der sog. „Steuernden Intelligenz“ wird bereits 2022 auf > 55 Mrd. US $ prognostiziert. Es sei zu erwähnen, dass sich über die Zulieferungen der großen 1st/2nd Tiers ein interessanter Kreis zu den IT-Giganten des Silicon Valley wieder schließt.

Der größte Wertanteil an einem BEV ist und bleibt der Batterieblock. Die eigentlichen Batteriezellen werden nach wie vor aus Asien zugekauft, da nur bei extrem großen Stückzahlen Skaleneffekte erzielt werden können. Fertigung in großen Stückzahlen auch von deutschen Unternehmen und dann OEM-übergreifend wären ein enormes Signal in die automobile Zukunft. Derzeit laufen Überlegungen z.B. bei Bosch, sind aber noch nicht entschieden.

Differenzierungspotenziale der Zukunft: Um Chaos auf den Straßen zu vermeiden, werden zukünftig strenge Standards für autonome Fahrzeuge zu ähnlichen Fahrzeugarchitekturen zwischen den Wettbewerbern führen (vgl. Flugzeugindustrie). Nicht mehr die Hardware des Autos ist der Mittelpunkt der Wertschöpfung, sondern die „steuernde Intelligenz“. Differenzierungspotenziale verschieben sich damit auf Design, HMI, Interieur, Infotainment, Vernetzung und insbesondere auf die Softwarekompetenz der Unternehmen. Die Schwerpunkte der OEMs verlagern sich somit auf die Fähigkeit der Technologieintegration, der Steuerung von Zuliefernetzwerken sowie auf die Schaffung völlig neuer Geschäftsmodelle im Rahmen von Mobilitätsdienstleistungen rund um das Auto.

Diese grundlegenden Veränderungen führen zu massiven Umschichtungen der Arbeitsinhalte von repetitiven Vorgängen, beispielsweise in der Produktion, hin zu entsprechend höherwertigen Inhalten rund um IT und Software. Ein korrespondierender Stellenabbau (vgl. auch VW Zukunftspakt) wird unvermeidlich sein.

Lebenszyklen: Die heute noch divergierenden Lebenszyklen zwischen Fahrzeugen (6-7 Jahren mit Update bei 3-4 Jahren) zu Software muss zukünftig intelligent überbrückt werden. Durch die Komplexitätsreduzierung im Antriebsstrang und die stärkere Standardisierung werden die Zyklen deutlich zu reduzieren sein. Zusätzlich werden Konzepte wie „function on demand“ bzw. update „over the air“ hier kundenorientierte, interessante Ansätze liefern.

Welches Fazit würden Sie ziehen?

Die Industrielandschaft wird heftig durcheinandergewirbelt. Die Grenzen zwischen Freund und Feind verwischen sich, was der Daimler CEO mit dem neuen Begriff der „Frenemies“ umschrieb. Es ist zu erkennen, dass u. A. die Big Three der deutschen Automobilindustrie (Volkswagen, Daimler und BMW) zur Vorwärtsstrategie aufgebrochen sind und beabsichtigen, das „Heft der Zukunft“ nicht aus der Hand zu geben. Die Verschiebung der Wertschöpfung hat zudem auch Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse. Im Rennen um die besten bzw. die klügsten Köpfe ist zukünftig zu erwarten, dass nicht mehr der Imagefaktor der Automarke, sondern mehr die Frage nach den interessantesten Projekten (z.B. „deep learning“, „Next Generation In Vehicle Architecture“ etc.) ausschlagegebend sein wird für den Zuschlag der Bewerber.

Sie möchten gerne weiterlesen?