Stefan Bratzel

Prof. Stefan Bratzel ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) - (Bild: CAM)

Herr Prof. Bratzel, der Wandel in der Mobilität wird unter anderem Einfluss auf die Wertschöpfung der Zulieferunternehmen haben. Worauf müssen diese sich einstellen?

Die Transformation wird im Wesentlichen in drei Bereichen stattfinden. Der erste ist die Elektromobilität. Wir werden im Jahr 2030 höchstwahrscheinlich nur noch 50 Prozent an Neuwagenzulassungen mit Verbrennungsmotoren haben. Entsprechend müssen sich alle Unternehmen, die Teile rund um den Verbrennungsmotor anbieten, auf abnehmende Stückzahlen einstellen.

Für die Zulieferer aus dem Bereich der Elektromotoren sieht die Zukunft besser aus. Sie können zwar mit zunehmenden Volumina rechnen, aber insgesamt wird der Wertschöpfungsanteil des Antriebs stark zurückgehen. Im Wesentlichen ist es die Batteriezelle, die einen Großteil der Wertschöpfung für das Auto der Zukunft einnehmen wird.

Ebenfalls stark an Bedeutung zunehmen werden die Themen Connectivity / Connected Services wie beispielsweise Functions on demand, bei denen man als Kunde verschiedene Dienstleistungen auf Abruf im Fahrzeug nutzen kann. In den Bereichen Softwaredienstleistungen wird es also auch erhebliche Wertschöpfungszuwächse in den nächsten Jahren geben.

"Es gibt die großen Player wie Uber, Apple oder Alibaba, die ihrerseits eigene Portale für Mobility on demand-Dienste künftig weiterentwickeln werden, was eine große Bedrohung für die Branche sein wird." - Prof. Stefan Bratzel

Im Bereich Sharing / Mobility Services geht es um Mobility on demand, also dass man auf Abruf unter Zuhilfenahme bestimmter Plattformen seine Mobilität buchen kann. Im Moment sind dort große Player aktiv, die über die Automobilindustrie hinaus gehen.

Es gibt nicht nur ein Joint Venture von BMW und Daimler, die gemerkt haben, dass man das alleine schwer darstellen kann. Auch Volkswagen will es versuchen. Und es gibt die großen Player wie Uber, Apple oder Alibaba, die ihrerseits eigene Portale für solche Mobility on demand-Dienste künftig weiterentwickeln werden, was eine große Bedrohung für die Branche sein wird.

Bei solchen Sharing-Plattformen spielt dann in zehn oder 15 Jahren immer stärker auch autonomes Fahren eine zentrale Rolle. Die Zulieferunternehmen, die rund um die Kompetenzfelder des autonomen Fahrens aktiv sind, können ihr Wertschöpfungsportfolio dort gut einbringen.

"Ohne Kooperationen mit den Big Data Playern geht es nicht." - Prof. Stefan Bratzel

Mobilitätsdienstleistungen wie "Car as a Service" und "Mobility as a Service" werden die Geschäftsmodelle der Automobilbranche radikal verändern. Zu welcher Strategie raten Sie der Branche?

Ich nenne sie die Ko-Ko-KO-Herausforderung: Neue Kompetenzen die man braucht, um in diesen Sektor aktiv werden zu können. Das sind im Wesentlichen Software-Dienstleistungen. Man muss aber auch kooperieren, das zweite Ko. Ohne Kooperationen mit den Big Data Playern geht es nicht.

In den Unternehmen muss sich auch eine neue Kultur entwickeln, um eine solche Zusammenarbeit auch hinzubekommen. Man muss sehr viel schneller, viel flexibler und risikobereiter werden, um als Automobilhersteller in den neuen Feldern erfolgreich sein zu können. Das letzte O sind die Organisationsstrukturen. Man muss sich überlegen, ob die bisherige Automobilwelt und die neue Automobilwelt in den gleichen organisatorischen Strukturen stattfinden können.

Meine These ist, dass man beide organisatorisch trennen muss, weil es in dieser neuen Welt eine viel schnellere Reaktion und ganz andere Geschäftsmodelle gibt, die mit der alten Welt nicht kompatibel sind.

E-Autos: Das sind die wichtigsten Absatzmärkte

Tesla Model S
(Bild: Pixabay)

Die weltweite Nachfrage nach E-Autos ist 2018 um 2,1 Millionen Einheiten gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. In Deutschland bleibt die Nachfrage jedoch weiterhin unterdurchschnittlich. Welche Absatzmärkte am wichtigsten sind zeigt dieses Ranking.

Im "Kampf der Welten" zwischen der Automobilindustrie und den Digital Playern besteht für renommierte Automobilhersteller die Gefahr, an der Börse von den Digital Playern überrollt zu werden. Wird es in diesem Kampf einen Gewinner geben und welche zusätzlichen Streitigkeiten müssen ausgetragen werden?

In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird entschieden werden, wer die Schlüsselrolle in der Mobilität der Zukunft einnehmen wird. Es gibt in verschiedenen Wertschöpfungsbereichen Geld zu verdienen, aber ich halte es im Moment noch für recht unentschieden, ob die globalen Automobilhersteller es schaffen, in dieser neuen Welt die gleiche wichtige Rolle zu behalten, wie die, die sie in der alten Welt hatten.

Die Kernkompetenzen und die Wertschöpfungsstrukturen sind ganz andere und die Big Data Player sind in dieser neuen Welt ganz stark und gut beheimatet. Um diese neuen Wertschöpfungselemente wird es in den nächsten Jahren eine sehr intensive Auseinandersetzung geben. Auch Verwerfungen wird es geben. Klar ist, dass viele Hersteller es nicht schaffen werden, das Betriebssystem der Zukunft selbst zu gestalten.

Sowohl im Fahrzeug nicht, als auch bei autonomen Fahrsystemen. Es wird nur wenige Akteure geben, die diese Kompetenzen am Ende beherrschen. Da können auch ein paar Automobilhersteller dazu zählen, aber am Ende glaube ich, dass es zu einer großen Konsolidierung kommen wird.

In Punkto Regulierung kann die Zulieferindustrie eine wichtige Rolle im Veränderungsprozess spielen, wenn sie den Hebel an der richtigen Stellen ansetzt. Welche Stellen sind das?

Es gibt hier unterschiedliche Elemente, wie zum Beispiel die verschiedenen Wertschöpfungsebenen beim autonomen Fahren. Bei autonomen Fahrsystemen hängt es sehr stark von der jeweiligen Regulierung ab, welche Standards sich durchsetzen werden. Da können Automobilzulieferer sowohl bei Hardware als auch bei Software eine gewichtige Rolle übernehmen.

So versuchen beispielsweise Bosch oder Continental natürlich in den Konsortien mitzumischen, in denen auch neue Player wie Mobileye oder Nvidia dabei sind. Auch bei den Functions on demand können Automobilzulieferer eine Rolle einnehmen, wenn sie die verschiedenen Schnittstellen beherrschen. Zum einen die Schnittstelle zur Cloud, wo es um Big Data Management geht oder die künstliche Intelligenz im Datenmanagement hinzubekommen.

Zum anderen die Schnittstellen zu den Standards im Auto. Die Big Data Player, die in den Mobilitätsbereich eindringen, brauchen zunehmend auch die Automotive-Kompetenz. Und die kann auch von Automobilzulieferern eingebracht werden. Automobilzulieferer können also auch ihr Kundenspektrum im Zuge der Transformation erweitern, wenn sie auf die richtigen Felder setzen.

Prof. Bratzel auf dem EMAG Technologieforum

EMAg technologieforum

Wie können sich produzierende Unternehmen auf den rasanten digitalen und elektrischen Wandel im Automobilbau vorbereiten? Und welche Produktionslösungen weisen in die Zukunft?

Antworten auf diese Fragen geben renommierte Experten wie Prof. Michael F. Zäh sowie Prof. Matthias Klingner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme, oder eben Prof. Stefan Bratzel, Direktor des Centers of Automotive Management, auf dem Technologieforum 2019 von EMAG am 15. und 16. Mai in Salach.

Sie möchten gerne weiterlesen?