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2,7 Mio Jobs fallen laut eines A.T. Kearney-Szenarios durch die Automatisierung in den nächsten zwei Jahrzehnten in der produzierenden Industrie in Deutschland weg. (Bild: Nataliya Hora, fotolia)

Wie die Wertschöpfung in Deutschland 2064 aussehen kann, hat die Unternehmensberatung A.T. Kearney in einem großangelegten Szenario entworfen. Grundlage dafür sind eine Befragung von 100 Top-Entscheidern durch das Allensbach Institut, der Wettbewerb Die Fabrik des Jahres/GEO von Produktion und A.T. Kearney und Interviews mit Infineon-CEO Dr. Reinhard Ploss und Egon-Zehnder-Deutschland-Chef Dr. Michael Ensser. Dieses Szenario gliedert sich in fünf Punkte.

1. Die Digitalisierung sprengt Industriegrenzen
Die Hälfte der Unternehmer sieht die Kunden als Treiber der Digitalisierung. Ihre hohen Anforderungen zwingen die Unternehmen umzudenken: Neues Design und neue Technologie für alte oder gar völlig neue Produkte – die Kunden wollen alles am liebsten immer und überall nach ihren individuellen Wünschen gefertigt und geliefert bekommen.

Zusätzlich treibt deutlich verstärkter Wettbewerb die Digitalisierung voran: Zum ersten treten neue Marktteilnehmer aus der eigenen Industrie auf, die wegen ihrer neuen Wertschöpfungsmodelle schneller, agiler und flexibler sind. Zum zweiten kommt der Wettbewerb mit ganz neuen Geschäftsmodellen aus Richtungen, die bislang nicht als Gefahr gesehen wurden. Das wird besonders im Maschinen- und Anlagenbau erwartet.

Die Industriegrenzen lösen sich bereits heute überall auf. Wer das als Chance begreift und nicht als Bedrohung, wer sich heute schon darauf einstellt und angreift, anstatt sich abzuschotten, wer Verbündete für attraktive Kundenangebote sucht und Experimente nicht scheut, ist nach Einschätzung von A.T. Kearney schon auf dem besten Weg in die neue Ära.

Mann oder Maus?

Michael Ensser
Erhöhte Wachsamkeit mit mehr Wagemut und und kreativem Denken, sei künftig gefordert, sagte Egon Zehnder-Deutschland-Chef Michael Ensser. (Bild: A.T. Kearney)

In Zeiten von höherer Veränderungsgeschwindigkeit und stärkeren Anpassungsdrucks wäre es falsch, den Kopf unter die Decke zu stecken und auf ein gutes Ende zu hoffen, sagte Dr. Michael Ensser, Managing Partner von Egon Zehnder in Deutschland. Führungskräfte sollten wachsam, nicht ängstlich sein. Es gehe um einen erwachsenen Umgang mit neuen Herausforderungen und Bedrohungssituationen:  erhöhte Wachsamkeit mit mehr Wagemut und kreativem Denken.

Die Kernfrage für das Top-Management lautet für Ensser: Wer kann in diesem Sinne mit größer werdender Mehrdeutigkeit und Komplexität am besten umgehen? Veränderungen lösten oft Unbehagen aus, umso stärker seien Kopf und Herz gefragt, um die richtigen Fragen zu stellen und die Fäden zusammenzuhalten. Der Grand Leader der 80er Jahre funktioniere nicht mehr. Es gehe um Mut zu mehr Experimentierfreude und eine Kultur, die das auch vorlebt. „Also: Let’s try – and if we fail, let’s fail quickly!“

Kooperation statt Konkurrenz

Kooperation, Daimler, Nissan, Wettbewerbsvorteil
Daimler und Nissan bauen ihre Kooperation schrittweise aus. (Bild: Daimler)

Wettbewerbsvorteile und selbst Wissensvorsprünge erreichen und behalten Firmen nicht mehr durch strikte Geheimhaltung, sondern verstärkt durch mehr Offenheit. Es geht um neue Stufen der Zusammenarbeit mit Zulieferern und Kunden – und auch mit Konkurrenten.

So baut Daimler im Rahmen der Kooperation mit Renault-Nissan Motoren in die A- und B-Klasse ein, die von Nissan in den USA produziert wurden, entwickelt mit dem Partner ein Getriebe, das im Smart funktioniert und arbeitet mit ihm an einem Projekt für Pick-ups.

„Allein hat man nicht die Ressourcen, alle Themen in der geforderten Geschwindigkeit gleich gut zu bearbeiten“, sagte der Leiter Produktstrategie Johannes Reifenrath. Besonders bei den Zukunftsthemen autonomes Fahren, Vernetzung und Digitalisierung sieht er wegen der immensen Investitionen einen erhöhten Bedarf an Zusammenarbeit.

Der Letzte macht das Licht aus

Fabrik der Zukunft, menschenleer
Wie dieses automatische Lager von Jungheinrich in Kaltenkirchen könnte die Fabrik der Zukunft kein Licht mehr benötigen, weil sie menschenleer ist. (Bild: Gunnar Knüpffer)

Die Top-Unternehmen im Wettbewerb Die Fabrik des Jahres/GEO haben in den vergangenen zehn Jahren ihre Produktivität um zwei Drittel gesteigert und dabei ihre Durchlaufzeit um fast 40 % gesteigert. Dabei haben sie den Anteil der indirekten Produktionsmitarbeiter gegenüber der direkten Produktion um mehr als 50 % gesenkt.

Künftig werden die Jobs am Band verstärkt von Robotern übernommen, Steuerungsprozesse werden automatisiert und die Qualitätsprüfung erfolgt verstärkt elektronisch: Den Berechnungen von A.T. Kearney zufolge werden in den kommenden zwei Jahrzehnten mehr als 40 % der produ­zierenden Berufe in Deutschland von der Automatisierung betroffen sein, das sind 2,7 Mio Arbeitsplätze.

A.T. Kearney zeichnet folgendes Bild der ‚Fabrik 2064‘. Die Produktion wird am besten in der Großstadt direkt neben dem Design Center stattfinden und zwar dort, wo der Kunde sie braucht. Diese Struktur und neue Her­stel­lungstechniken, die ohne Mehr­aufwand jederzeit eine Losgröße eins ermöglichen, erlauben es dem Anbieter, individuell auf Konsumentenwünsche einzugehen. In den Fertigungshallen arbeiten Menschen nur noch, um in der Steuerungszentrale den vollau­tomatischen Ablauf der ‚Lights out-Fabrik‘ zu überwachen und um in Ausnahmesituationen einzugreifen. Auf der Einzelteilebene erfolgt die Prozesskontrolle über Sensoren.

Dinosaurier können fliegen

Johan Aurik, A.T. Kearney-Chairman of the Board, Planung
Nach Ansicht von Johan Aurik, A.T. Kearney-Chairman of the Board, liegen die größten Herausforderungen im Car-Sharing und beim Driverless Car, nicht beim Elektroauto. (Bild: A.T. Kearney)

Wie sieht die ideale strategische Planung aus? Nach Ansicht des A.T. Kearney-Chairman of the Board, Johan Aurik, sollten sich Firmenchefs mit fundamentalen Veränderungen beschäftigen, die sie für die nächsten 10 oder 20 Jahre erwarten, und in Szenarien denken. Sie sollten sich für neue Perspektiven öffnen und Kunden, Forscher und andere Außenstehende befragen.

Und sie benötigten neue Inspirationsquellen. „Ein gelungenes Beispiel aus einer anderen Branche oder welcher Quelle auch immer kann hilfreich sein – Kreativität und Vielfalt sind gefragt!“, so Aurik. Man müsse experimentierfreudiger werden,  was neue Technologien angehe – auch wenn etwas schiefgehen sollte. Zwar arbeiten viele große Firmen mit Start-ups zusammen, sie sollten aber bei der Ausarbeitung ihrer Strategie möglichst viele Partner miteinbeziehen.

Besonders spannenend ist die Zukunft der Autoindustrie. Nach Ansicht von Aurik  liegen die größten Herausforderungen im Car-Sharing und beim Driverless Car, nicht beim Elektroauto. Die Wagen von Tesla würden aus Verbrauchersicht nicht gut wegkommen. Die deutschen Konzerne hätten dagegen fantastische Ingenieure und hervorragende F&E-Abteilungen. Aurik: Es ist überhaupt nicht sicher, dass Tesla siegt und BMW und Daimler die alten Dinosau­rier sind: Ein paar Dinosaurier werden noch zeigen, dass sie fliegen können.

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