leerer Industriestandort

Die Halle ist leergeräumt, die Produktion läuft jetzt woanders. - (Bild: Pixabay)

Sind Unternehmen gut auf eine Standortverlagerung vorbereitet?

Größere Unternehmen sind oft professionell aufgestellt, während kleinere oft nicht auf eine Standortverlagerung vorbereitet sind, da bei ihnen solche Themen nicht regelmäßig auf der Tagesordnung stehen. Problematisch wird es, wenn die Verlagerung nicht von langer Hand mit erfahrenen Planern vorbereitet wurde. Deshalb fragen besonders kleine und mittelgroße Unternehmen fachliche und personelle Unterstützung an, um grundlegende Aspekte wie die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte vor Ort von Anfang an zu berücksichtigen.

Wie finden Unternehmen den optimalen Standort?

Grundsätzlich gilt: Bei Zulieferern ist die Perspektive ihrer Kunden, also der OEMs, besonders wichtig. Denn die fordern die Nähe zu ihrer jeweiligen Fertigung. Das führt letztendlich dazu, dass Zulieferer eine unglaubliche Breite im globalen Footprint entwickelt haben, weil ihre Kunden auf der ganzen Welt verteilt sind. Da sie aber natürlich nicht überall Werke aufbauen können, müssen Zulieferer entscheiden, an welchem ihrer großen Kunden sie ihre Standortwahl ausrichten.

Was müssen Unternehmen im Vorfeld einer Standortwahl alles beachten?

Vor allem benötigen sie einen strukturierten Prozess für die Verlagerung. Außerdem müssen sie die quantitative Dimension des Projekts im Auge behalten, das heißt sie benötigen einen klaren Business Case. Und natürlich müssen sie die gesamte Organisation möglichst frühzeitig und großflächig einbinden.

Ist es sinnvoll, dass das „alte“ Personal mitzieht oder sollten die Unternehmen neue Führungskräfte engagieren?

Unternehmen haben in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich Mitarbeiter ins Ausland entsandt und dann auch wieder zurückgeholt. Das funktioniert aber nur, solange man den Mitarbeitern eine Rückkehr ins Heimatland garantieren kann. Besonders in den vergangenen zehn bis 15 Jahren ist dieser Punkt aufgrund der geopolitischen Entwicklungen und der EU-Osterweiterung schwieriger geworden.

Eine Rückkehr nach Deutschland ist ausgeschlossen?

Viele deutsche Unternehmen haben mittlerweile Fertigungskapazitäten in Osteuropa aufgebaut. Mitarbeiter erhalten deshalb oft nur eine Rückkehrgarantie für Europa, nicht mehr für Deutschland. Das führt dazu, dass sich Mitarbeiter in einem anderen Land an häufig weniger attraktiven Standorten wiederfinden. Dieses Thema ist eine Herausforderung für die Personalabteilungen. Besonders junge Mitarbeiter wollen zwar international tätig werden, aber oft nur an attraktiven Standorten.

Kann das Qualifikationsniveau in Osteuropa für Probleme sorgen?

Im Großen und Ganzen sehe ich hier im Fertigungsbereich weniger Schwierigkeiten. Bei höheren Bildungsabschlüssen, also etwa  für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, fehlt allerdings eine Vergleichbarkeit der Ausbildungsabschlüsse, was durchaus zum Problem bei der Personalsuche werden kann. Außerdem sind mittlerweile viele westliche Unternehmen an denselben Standorten in Osteuropa. Dadurch stehen sie in Konkurrenz um die besten Arbeitskräfte und treiben damit das Lohnkostenniveau. Dennoch werden osteuropäische Länder wie Ungarn und Rumänien weiter interessant bleiben, jedenfalls im Fertigungsbereich und mit entsprechenden Anstrengungen auch für höher qualifizierte Tätigkeiten.

Geht es bald noch weiter in den Osten?

Im Moment sehe ich das nicht. Zum einen ist der Osten politisch begrenzt – sobald Sie die EU-Außengrenze überschreiten, wird es komplizierter. Mit zunehmender Entfernung kommen Schwierigkeiten wie unterschiedliche Zeitzonen, Kulturkreise und – man mag es nicht wahrhaben wollen – Sprachbarrieren hinzu, die trotz Kostenvorteilen immer auch Abstimmungsaufwand und damit Ineffizienz bedeuten. Zum anderen erleben wir auf globaler Ebene derzeit ja ein neues Aufflammen des Protektionismus, was auch eher gegen eine neue Phase von Standortverlagerungen spricht.

Was ist der entscheidende Erfolgsfaktor für eine Standortverlagerung nach Osteuropa?

Unternehmen sollten vor Ort intensiv in die Mitarbeiterbindung investieren. Dazu gehört auch, leitende Mitarbeiter oder Vorarbeiter für einige Zeit nach Deutschland zu holen, dort auszubilden und sie die Qualitätsstandards und Prozesse intensiv kennenlernen zu lassen. Zusätzlich sollten Unternehmen in die Sprachausbildung dieser Mitarbeiter investieren. Deren Aus- und Weiterbildung sowie Bindung an das Unternehmen entscheidet mittelfristig über Erfolg und Misserfolg einer Standortverlagerung.

Der physische Umzug ist geschafft, was ist danach noch zu tun?

Die reine Verlagerung ist nur der erste Schritt. Einweihungsfeiern, feierliche Spatenstiche oder Schlüsselübergaben sind natürlich wunderbare Themen für die Lokalpresse und entsprechend publikumswirksam. Allerdings läuft hinter den Kulissen allzu oft nur eine Pilotlinie, aber längst noch nicht das ganze Werk.

Das heißt, im Nachhinein ist zur Qualitätssicherung oder zum erfolgreichen Abschluss der komplette erfolgreiche „Ramp-up“ intensiv zu betreuen?

Genau, das ist der zweite Schritt mit neuen Problemstellungen. Denn häufig sind Mitarbeiter aus abgebenden Standorten verständlicherweise nur schwer motivierbar, den sauberen Ramp-up zu unterstützen. Der Erfolg steht und fällt deshalb mit der Nachsorge in den ersten Wochen und Monaten nach der feierlichen Einweihung. Unternehmen sollten also ein besonderes Augenmerk auf die Anlaufphase, stabile Prozesse und die Qualifikation am neuen Standort legen. Außerdem ist es ratsam, die Herausforderungen einer Verlagerung nicht durch weitere Komplexitätstreiber wie die gleichzeitige Einführung neuer Fertigungstechnologien und Produkte weiter zu erhöhen.

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