Produktion des Audi A4 in Ingolstadt

Produktion des Audi A4: Automatisierter Karosseriebau am Audi-Standort Ingolstadt. - (Bild: Audi)

Produktionsprozesse werden zunehmend digitalisiert, Maschinen kommunizieren untereinander und mit dem ganzen Unternehmen, die Firma ist vernetzt von Lieferant bis Kunde, während Arbeiter von Robotern unterstützt und immer häufiger auch ganz durch sie ersetzt werden. Welche Rolle spielt in dieser Welt noch der Standort einer Fabrik? Sind die Faktoren, die bei einer Standortentscheidung eine Rolle spielen, noch die gleichen wie in der Zeit vor ‚Industrie 4.0‘?

Nein, sagt Dietmar Bolkart, Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der oberfränkischen Netzsch Holding. Das Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von 500 Millionen Euro stellt unter anderem Schneckenpumpen für den Transport dickflüssiger Stoffe her und hat verschiedene Auslandsniederlassungen, etwa in Brasilien, China und Indien. „Heute gehen Firmen unserer Branche primär mit der Zielstellung ins Ausland, mit einer Produktion vor Ort Märkte zu erschließen. Es geht um die Nähe zum Kunden, schnelles Liefern und um qualifizierten Service vor Ort.

Diese Aspekte sind heute wesentlich wichtiger als der reine Kostenfaktor. Das mag in der Vergangenheit anders gewesen sein, als Verlagerungen aus Deutschland heraus in ‚Billiglohnländer‘ im Wesentlichen Kostenoptimierungen zum Ziel hatten“, erklärt der Manager. Angesichts dieser Entwicklungen biete die Digitalisierung der Produktionswelt eine Chance, das Abwandern von Produktion ins Ausland zumindest abzubremsen, idealerweise aufzuhalten.

Erforderliche Infrastruktur

„Ob man den Trend jedoch umkehren kann und bereits aus­gelagerte Produktion wieder zurückholen wird, das glaube ich eher nicht“, merkt Bolkart an. Den besten Standort für eine neue Industrie 4.0-Fabrik sieht der Netzsch-Geschäftsführer unterdessen in Deutschland: „Hier haben wir mit der erforderlichen Infrastruktur und dem notwendigen Umfeld beispielhaft gute Bedingungen. Unabdingbar ist eine exzellente Hochschullandschaft, damit wir in unseren Unternehmen für die digitalen Aufgabenstellungen in all ihren Einzelaspekten wissenschaftlich fundierte Unterstützung bekommen.“

Der Dreiklang von Hochschulen, Verfügbarkeit von Ingenieuren und hochqualifizierten Facharbeitern sei für eine erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungskonzepten und -strategien in der Produktion ein herausragendes Merkmal. „Für mich ist darin die wesentliche Grundvoraussetzung für Industrie 4.0 im Maschinenbau verankert“, sagt Bolkart.

Abbildung Dietmar Bolkart im dunkelblauen Anzug, weißem Hemd und pinker Krawatte
(Bild: Netzsch Holding)

»Der beste Standort für eine neue Industrie 4.0-Fabrik liegt aus meiner Sicht in Deutschland.«

Dietmar Bolkart, Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Netzsch Holding

Sichtweise des VDMA

Modellbild einer intelligenten Produktion in der digitalen Fabrik 4.0
Intelligente Produktion in der digitalen Fabrik 4.0. (Bild: pgottschalk - Fotolia)

Ganz ähnlich sieht das auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Aus unserer Sicht wird durch Industrie 4.0 wahrscheinlich keine bereits ausgelagerte Produktion vom Ausland zurück nach Deutschland geholt, sondern es wird eher Produktion in Deutschland erhalten und ausgebaut. Insbesondere sind das natürlich Know-how-intensive Dinge. Wenn eine Firma überlegt, eine neue Produktionsstraße für ein neues Produkt zu bauen und will dabei ganz stark automatisieren und digitalisieren, dann ist die Chance, dass diese neue Anlage hier in Deutschland errichtet wird, höher als im Ausland“, konstatiert Frank Bünting, stellvertretender Abteilungsleiter VDMA Betriebswirtschaft.

Abbildung Dr. Frank Bünting im grauen Anzug, weißem Hend und pinker Krawatte
(Bild: VDMA)

»Je mehr Individualisierung, je mehr Know-how drin ist, desto stärker können wir den Standort Deutschland mit Automatisierung stärken.«

Dr. Frank Bünting, Stellvertretender Abteilungsleiter

VDMA Betriebswirtschaft

Ein klassisches Beispiel dafür sieht Bünting im badischen Antriebshersteller SEW Eurodrive. „Hier könnte man ja annehmen, dass das Unternehmen als einer der größten Antriebshersteller Massenfertigung macht. Das stimmt so aber nicht: jeder einzelne Motor, auch wenn er aus dem Baukasten kommt, wird im Prinzip kundenindividuell gefertigt. Diese Fertigung ist hochautomatisiert und extrem schlank organisiert“, weiß Bünting. Damit sei SEW Eurodrive in der Lage, in relativ kurzer Zeit nach Eingang der Bestellung den Motor auszuliefern. „Das bekommen sie mit einer Produktion in Indien, China oder auch Osteuropa nicht hin. Je mehr Individualisierung, je mehr Know-how drin ist, desto stärker können wir den Standort Deutschland mit Automatisierung stärken.“

Diese Einschätzung teilt auch die VDMA-Expertin Bianca Illner: „Der Trend von Industrie 4.0 geht immer mehr in Richtung Individualisierung und spricht damit auch für einen Aufbau der Produktion am Standort Deutschland. Innerhalb Europas gibt es im Kontext von Industrie 4.0 eigentlich keinen Grund, irgendwo anders hinzugehen als nach Deutschland.“

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