Blick in den Arbeitsraum einer Wälzschälmaschine. Erst in den letzten Jahren machte die Entwicklung neuer Maschinen das Verfahren reif für die Serienanwendung.

Blick in den Arbeitsraum einer Wälzschälmaschine. Erst in den letzten Jahren machte die Entwicklung neuer Maschinen das Verfahren reif für die Serienanwendung. - (Bild: Diskus Werke)

Wilhelm von Pittler hat das Patent für das Verfahren 1910 eingereicht und es wurde 1912 erteilt. Er war damit seiner Zeit weit voraus, denn die Technik für einen Einsatz in der Industrie gab es damals noch nicht.

Das Verfahren ist technisch mit Blick auf die Achsgeometrien und Werkzeuge sehr anspruchsvoll und lag deshalb über viele Jahrzehnte in der Schublade. Erst in den 1970er-Jahren kam es zu neuen Versuchen, das Wälzschälen zu verwenden. Aber erst mit dem Aufkommen moderner CAD-/CAM-Systeme, aktuellen CNC-Steuerungen und neuer Maschinentechnologie wurde das Verfahren reif für die Anwendung im großen Stil.

Herzstück moderner Wälzschälverfahren ist dabei ein elektronisch geregeltes Getriebe. "Das Wälzschälen hat lange ein Dasein am Rande gefristet, aber mittlerweile sind viele auf den Zug aufgesprungen. Der Grund ist, dass das Verfahren speziell bei Innenverzahnungen extrem produktiv ist. Seit ungefähr fünf Jahren ersetzt das Wälzschälen zunehmend das Verfahren Stoßen", berichtet Omar Sharif, Leiter technische Entwicklung und Produktmanagement Wälzschälen bei der Diskus Werke AG.

Wälzschälen für die Automobilindustrie

Omar Sharif, Leiter technische Entwicklung und Produktmanagement Wälzschälen bei Diskus Werke.
Omar Sharif, Leiter technische Entwicklung und Produktmanagement Wälzschälen bei Diskus Werke, sieht noch großes Potenzial für das Wälzschälen. - (Bild: Diskus Werke)

Die konkurrierenden Verfahren sind das Stoßen und das Räumen. Im Vergleich zum Stoßen ist das Verfahren um den Faktor Drei bis Acht schneller. Auch das Räumen ist sehr schnell, allerdings im Vergleich zum Wälzschälen sehr unflexibel und teuer.

Grund ist, dass die Räumnadeln von der Geometrie festgelegt sind und ihre Herstellung sehr teuer ist. Sie können auch nicht nachgeschliffen werden, weil dann die Verzahnungsprofile nicht mehr stimmen. Ein zylindrisches Werkzeug beim Wälzschälen lässt sich dagegen bei gleichbleibender Qualität sehr oft nachschleifen.

"Im Gegensatz zum Räumen können wir bei Wälzschälen die Flankenklinie modifizieren, beispielsweise mit einer Balligkeit. Insgesamt ist das Räumen zwar schneller, aber mittlerweile sind wir mit dem Wälzschälen ebenfalls enorm produktiv. Die Herstellung einer Innenverzahnung dauert bei einem typischen Bauteil in der Regel unter einer Minute", so Sharif.

Typische Bauteile sind dabei Innenverzahnungen für Planetengetriebe für die Automobilindustrie oder für industrielle Getriebe. Einen weiteren Boom dürfte das Wälzschälen durch den Siegeszug der Elektromobilität erfahren, denn bei diesen Fahrzeugen kommen Planetengetriebe zum Einsatz.

Nutzerfreundliche Dialogsoftware

Über die Anschaffung einer Wälzschälmaschine nachdenken sollten Lohnverzahner und Zulieferer, die jetzt in eine neue Anlage investieren wollen. "In vielen Fällen ist es eine günstige, produktive und flexible Alternative zum Räumen oder Stoßen", so Sharif.

Dabei sei eine Wälzschälmaschine ähnlich teuer wie eine Stoßmaschine. Eine Räummaschine kann günstiger sein, allerdings entstehen dabei hohe Kosten durch das Räumwerkzeug.

Angst vor der Programmierung der technisch komplexen Maschinen muss der Anwender laut Sharif nicht haben: "Wir haben selber eine nutzerfreundliche Dialogsoftware programmiert, die eine bequeme Eingabe der Daten ermöglicht. Der Anwender muss lediglich die Geometriedaten der Verzahnung und des Werkzeugs eingeben. Alles Weitere wird von der Steuerung intern berechnet. Etwas anspruchsvoller wird es, wenn zusätzlich noch andere Prozesse wie Drehen oder Fräsen in der gleichen Aufspannung erfolgen sollen", berichtet Sharif.

Einen nicht zu vernachlässigenden Kostenaufwand bedeuten die beim Wälzschälen benötigten Präzisionswerkzeuge. Diese sind in aller Regel Einzelanfertigungen, weil jeder Hersteller von Verzahnungen seine eigene Zahnradgeometrie hat. "Aufgrund der geometrischen Komplexität der Werkzeuge sollte das Nachschleifen durch den Werkzeughersteller erfolgen", empfiehlt Sharif.

Mehr Effizienz und Zugänglichkeit

Die Kombination von Drehen und Wälzschälen in einer Maschine spart aufwendiges Umspannen des Werkstücks. Hier ein Blick in den Arbeitsraum einer VLC 250 mit Konsole zum Wälzschälen von Emag.
Die Kombination von Drehen und Wälzschälen in einer Maschine spart aufwendiges Umspannen des Werkstücks. Hier ein Blick in den Arbeitsraum einer VLC 250 mit Konsole zum Wälzschälen von Emag. (Bild: Emag)

Auch das Unternehmen Emag verspricht sich viel von dem Verfahren Wälzschälen und hat sich seit zwei Jahren intensiv damit beschäftigt. Ziel war es, das Wälzschälen auf eine Standard-Drehmaschine zu adaptieren, um mehr Zugänglichkeit und mehr Effizienz zu schaffen.

Bereits die ersten Versuche waren dann so motivierend, dass sich die Verantwortlichen im weiteren Verlauf auf eine spezifische Auslegung der werkzeugseitigen Spindel sowie die Bauteilspannung konzentrierten. Wie sich zeigte, war die Bauteilspannung ein wesentlicher Aspekt für die Verzahnungsqualität.

So wurde für die Bauteilspannung auch ein modifiziertes Standard-Kraftspannfutter eingesetzt, bei der Maschine auf die vertikale Drehmaschine EMAG VLC 250 zurückgegriffen. Eine Maschine, die im Ursprung schon speziell für den Einsatz von unterschiedlichen Fertigungstechnologien ausgelegt ist und so neben dem Verzahnungsprozess bis Modul 4 auch als universelles vollwertiges Dreh-Fräszentrum genutzt werden kann.

Dazu Philipp Ruckwied, Leiter Technologie definierte Schneide bei Emag: "Die Universalität der Maschinen oder auch die Produktivität des Wälzschälens sind erfreulich. Bei unseren Versuchen stand allerdings der Prozess im Vordergrund. So treten beispielsweise hohe Kräfte auf, die man beherrschen muss. Anderseits sind wir auch bei der reproduzierbaren Qualität bzw. der Qualitätssicherung in der Bringschuld."

Zusammengefasst wurde in Salach auf Basis einer Standardmaschine eine wettbewerbsfähige Lösung zur Integration des Wälzschälens entwickelt.

Die klassischen Emag Kunden sind vorrangig in der Mittel- und Großserienfertigung zu finden. Das Wälzschälen bietet sich bislang allerdings als Verfahren im Bereich Stückzahl ab 1 bis zu mittleren Losgrößen an. Trotz dieser Diskrepanz sieht man in Salach in der neu entdeckten Technologie genügend Potenziale. Dazu zählen beispielsweise alle Innenverzahnungen, die bisher über das Räumen oder Wälzstoßen hergestellt werden.

Gegenüber dem Wälzstoßen kann das Wälzschälen mit dem Faktor 2 bis 3 in Sachen Produktivität und bei den Werkzeugstandzeiten punkten. Beim Räumverfahren mit kostenintensiven Werkzeugen dagegen gerät man hinsichtlich der Werkzeugstandzeiten bei hohen Stückzahlen noch ins Hintertreffen. Deshalb sind konkret Hersteller von Getrieben mit entsprechenden Stückzahlen an der Technologie interessiert, die Automobilindustrie verfolgt allerdings noch abwartend die Fortschritte.

Eine Situation, die sich nach Meinung von Philipp Ruckwied aber schon bald ändern wird: "Wir sehen in der Werkzeugtechnologie erfolgreiche Entwicklungsschritte. Das heißt, die Werkzeughersteller sind seit geraumer Zeit dabei, neue Substrat- und Beschichtungskombinationen für die Schälräder zu entwickeln."

Ein weiterer Vorteil des Wälzschälens ist, dass sowohl die Schrupp- wie die Schlichtbearbeitung in einer Aufspannung erfolgen kann. Zusammen mit der Drehbearbeitung in derselben Aufspannung lassen sich Umspannfehler vermeiden, Rundlauffehler also weitestgehend eliminieren.

In der Summe bietet das Verfahren adaptiert auf Standardmaschinen also Benefits, die nicht zu ignorieren sind. Wohl auch deshalb hat Emag mittlerweile zahlreiche Kundenversuche erfolgreich abgeschlossen, verfügt über die Vorserienfreigabe und ist mit einigen Maschinen bereits in der Angebotsphase.

Setzt man voraus, dass die Werkzeughersteller bei den Substraten künftig die angestrebten Dimensionen erreichen, scheint das Verfahren schon bald auch für die Großserie interessant. Und was die Abmessungen angeht: Emag kann bisher Werkstücke von Durchmesser 70 mm bis 250 mm bearbeiten.

Praxis: Wälzschälen bei der DVS Production GmbH

Ein Anwender des Wälzschälens ist die Firma DVS Production GmbH in Krauthausen. Geschäftsführer Rainer Eisel beschreibt sein Unternehmen: "Wir sind ein Dienstleister und unser Schwerpunkt liegt in der Komplettbearbeitung von Zahnrädern. Größter Auftraggeber ist die Automobilindustrie und wir haben es mit Losgrößen von bis zu drei Millionen Bauteilen zu tun."

Auch er ist von den Vorteilen des Wälzschälens überzeugt: Das Verfahren lasse sich mit anderen Bearbeitungsschritten wie dem Drehen kombinieren und sei im Vergleich zum Räumen oder Stoßen sehr flexibel. Zwar habe das Räumen von kleineren Innenverzahnungen seine Berechtigung. Bei größeren Hohlrädern ab dem Durchmesser 70 bis 80 Millimeter mache das Räumen aber keinen Sinn, da die Werkzeuge dann zu teuer werden.

Wälzschälen sei dann wesentlich wirtschaftlicher. "Beim Wälzschälen besteht zudem immer die Möglichkeit, Korrekturen der Verzahnung vorzunehmen. Das geht beim Räumen nicht, weil die Verzahnungsgeometrie fest definiert ist", erklärt Eisel. Auch das Stoßen sei insbesondere bei Großserien zu kostenintensiv und zudem ungenau. Eisel sieht noch ein großes Marktpotenzial für das Wälzschälen und plant größere Investitionen auch in diese Technik.

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