Stadt-Land-Schild

Start-ups präferieren zwar häufig die Stadt, doch manche zieht es dank diverser Vorteile auch in ländliche Gebiete. - (Bild: bluedesign/Adobe Stock)

Start-ups sind hip and urban. Aber junge Firmen wie WSoptics und Nyquist Systems beweisen, dass man als Unternehmer auch weit abseits von Berlin erfolgreich gründen und durchstarten kann – mit allen Vor- und Nachteilen. Berlin bleibt zwar der deutsche Hotspot für Start-up-Gründungen – das zeigte der "Deutsche Start-up Monitor 2018" des Bundesverbands Deutscher Start-ups. Aber auch andere Gründungsregionen werden demnach immer aktiver, Nordrhein-Westfalen hat Berlin als Bundesland mit den meisten Start-ups vom ersten Platz verdrängt.

Manche Unternehmer siedeln sich aber nicht nur abseits der Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München an, sondern starten ihr Business gar im ländlichen Raum. So wie Dr. Christoph Weiß. Der 36-jährige promovierte Mathematiker gründete 2013 mit seinem Geschäftspartner Florian Sepp WSoptics in Altenstadt, einer Gemeinde in Oberbayern mit rund 3.500 Einwohnern. Das Unternehmen entwickelt Soft- und Hardware für die Metallbearbeitung, insbesondere für die Laserbearbeitung von Blechen.

Günstigere Mieten vs. schwierige Personal-Akquise

"Mein Kollege und ich kennen uns aus Schulzeiten, wir sind hier aufgewachsen und hatten zu Firmenbeginn den Vorteil, dass wir bei einem uns bekannten Unternehmen vor Ort unsere Lösungen testen konnten", begründet Weiß die Standortentscheidung. Heute arbeiten elf Mitarbeiter für WSoptics, etwa jeder Zweite wohnt in der näheren Umgebung, während die andere Hälfte täglich 'aufs Land' pendelt, etwa aus Augsburg oder München. Die längste Anfahrtszeit liegt bei rund einer Stunde.

Da bei dem Unternehmen in Altenstadt ausschließlich qualifizierte Fachkräfte mit akademischem Abschluss arbeiten, sei es schwieriger, Personal zu gewinnen: "Wir versuchen, den ländlichen Standort zu kompensieren, indem wir zum Beispiel Praktikanten Hotelübernachtungen bezahlen. Außerdem sind wir beim Homeoffice recht großzügig", so Weiß. "Die Kompensationen sind zwar mit Mehrkosten verbunden, die spart man aber wieder dank günstigerer Mietpreise auf dem Land ein."

Schwierige Personal-Akquise – das ist nicht der einzige Nachteil, den Weiß erkennt. "Die Internetanbindung ist schlecht, außerdem sind wir trotz guter öffentlicher Anbindung an München etwas abgeschnitten – für abendliche Meet-ups der Software-Szene in der Stadt ist die Anfahrt zum Beispiel einfach zu lang."

Auf der anderen Seite erkennt der Geschäftsführer neben den günstigen Mietpreisen auch ganz klar Vorteile, die für Altenstadt sprechen: „Unsere Mitarbeiter sind loyaler als in Metropolen, weil es kaum Konkurrenz gibt und die Versuchung zu wechseln folglich auch geringer ist.“ Außerdem sei der ländliche Standort für Kunden positiv, da diese selbst meist nicht in Großstädten starten und mit dem Firmenwagen anreisen.

Christoph Weiß
(Bild: WSoptics)

 

„Unsere Mitarbeiter sind loyaler als in Metropolen.“

 - Dr. Christoph Weiß, WSoptics

"Wir würden nicht in die Stadt ziehen"

Nachdem bei WSoptics ursprünglich die privaten Kontakte den Standort bestimmt haben, wird sich der auch sechs Jahre nach der Gründung nicht so schnell ändern: "Wir würden nicht in die Stadt ziehen, auch wenn wir die Möglichkeit hätten. Zwar könnte man in einer Metropole vielleicht leichter Personal finden, dafür würden wir aber sicher viele unserer aktuellen Mitarbeiter verlieren – das ist keine Option für uns."

Außerdem ist sich Weiß ohnehin nicht sicher, wie populär die Städte in Zukunft bleiben: "Die geringen Lebenshaltungskosten auf dem Land und ein Arbeitgeber in einer Region, wo es sonst wenige hochqualifizierte Arbeitsplätze gibt, können durchaus attraktiv sein und ein Leben auf dem Land ermöglichen."

Ein paar Gemeinden weiter will WSoptics demnächst vielleicht dann doch ziehen, weil der Platzbedarf gestiegen ist – auch wenn sie mit der Unterstützung in Altenstadt sehr zufrieden sind: "Je kleiner und familiärer die kommunalen Strukturen, umso eher erfährt man Unterstützung", so die Erfahrung von Weiß. Eine Erfahrung, die sich mit einem Ergebnis der PwC-Studie 'Start-up-Unternehmen in Deutschland 2018' deckt, bei der der ländliche Raum als Start-up-Ökosystem besser abschnitt als kleine und mittlere Städte.

Tabelle: Wie wird das lokale Start-up-Ökosystem beurteilt?

Anteil der Befragten, die den jeweiligen Kriterien die Bewertungen 'sehr gut' und 'eher gut' vergaben

Start-Up Ökosystem
Außer bei Bürokratie und Förderangeboten gibt es ein Stadt-Land-Gefälle bei der Beurteilung des lokalen Start-up-Ökosystems. - Quelle: PwC Studie 'Start-up-Unternehmen in Deutschland 2018'

Leben und Arbeiten, wo andere Urlaub machen

Auch Dr. Stephan Krebs ist mit dem Standort seines Unternehmens Nyquist Systems in Landsberg am Lech (ca. 29 000 Einwohner) im Südwesten von Bayern zufrieden. "Wir leben und arbeiten da, wo andere Urlaub machen", freut sich der 55-jährige Geschäftsführer über die Nähe zu den Bergen. Der promovierte Elektrotechniker gründete im Jahr 2004 Nyquist Systems, nachdem er vier Jahre lang bei Hilti als Entwicklungsleiter für Antriebstechnik tätig war.

Die Gründung erfolgte zunächst in Toronto, wo er sechs Jahre lang zunächst an der Universität und danach in einem Industrieunternehmen gearbeitet hatte – Anlass für den Firmenstart war ein Auftrag aus Amerika, ein Inspektionssystem für die Kontrolle von Sicherheitsfäden für den US-Dollar zu entwickeln.

Nach knapp zwei Jahren startete die Kommerzialisierung des Produkts in der Etikettendruckbranche und Krebs kam zurück nach Deutschland, wo er als Consultant bei Erhardt+Leimer in Augsburg die Inspek­tionstechnik aufbaute. 2011 ging er wieder mit Nyquist Systems eigene Wege: "Ich habe das ursprüngliche Geschäftsmodell auf Basis der mittlerweile verfügbaren Technologien neu erfunden." Krebs konnte so Kosteneinsparungen von über 50 Prozent gegenüber Konkurrenzprodukten realisieren.

Bis Ende 2018 konnten Krebs und seine heute 17 Mitarbeiter weltweit 1 000 Systeme bei rund 350 Kunden vertreiben. Landsberg habe sich dabei als hervorragender Standort herausgestellt: "Ursprünglich ist die Entscheidung für den Standort im Speckgürtel von München gefallen, weil ich mich, als ich noch in der Nähe bei Hilti gearbeitet habe, hier mit meiner Familie angesiedelt habe."

Die öffentliche Anbindung sei gut und auch die Personalsuche verlaufe erstaunlich gut: "Wir arbeiten mit einem Recruiter zusamen – aber obwohl wir eine kleine Firma sind, sind wir offenbar attraktiv." Der Mitarbeiter mit der weitesten Pendelstrecke kommt aus dem rund 40 Kilomter entfernten Fürstenfeldbruck, einige Kollegen sind inzwischen aber auch aufs Land umgezogen.

Viele Kunden in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz

Wenn es darum geht, die digitale Infrastruktur des eigenen Standorts zu bewerten, erteilen Start-ups in ländlichen Gegenden die schlechtesten Noten, wie die PwC-Studie ergab. Krebs kann davon ein Lied singen: „Wir müssen weltweit Team-Viewer-Support garantieren, das ging mit der Telekom nicht mehr, sodass wir im letzten Jahr den Anbieter wechseln mussten. Damit hat sich die Bitrate extrem verbessert.“

Abgesehen davon überwiegen für Nyquist Systems die Vorteile des Standorts in Landsberg. „Wir haben ein sehr gutes lokales Lieferanten-Netzwerk aufgebaut, erhalten alles in unmittelbarer Nähe – so realisieren wir etwa einige Metall- und Zerspanungsarbeiten über örtliche Schlossereien.“ Auch habe das Unternehmen viele Kunden in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz, für die die Anreise optimal sei, da die Großstadt umfahren werden könne. Krebs’ Fazit: „Für uns zählt nur der Zugriff auf den Brainpool. Wir bleiben in Landsberg!“

Interview: Welche Orte Start-ups präferieren

Ashkan Kalantary
Ashkan Kalantary berät als Leiter von "Next Level", einer Initiative von
PricewaterhouseCoopers (PwC), Gründer in ihrer Anfangsphase. - (Bild: PwC)

Dr. Ashkan Kalantary berät seit Juli 2018 als Leiter von „Next Level“, einer Initiative von PricewaterhouseCoopers (PwC), Gründer in ihrer Anfangsphase.

Produktion: Wo siedeln sich in Deutschland Start-ups an?

Dr. Ashkan Kalantary: In Deutschland sieht man viele Gründungen an technischen Universätiten im ländlichen oder kleinstädtischen Bereich, etwa rund um die TU Ilmenau oder das Karlsruher Institut für Technologie. Außerdem gründen viele Start-ups in der Nähe von großen mittelständischen Familienunternehmen – das sind oft ehemalige Mitarbeiter, die mit ihrer Geschäftsidee eine Lösung für ihren ehemaligen Arbeitgeber bieten. Anders als etwa in Großbritannien mit einer stark London-zentrischen Start-up-Szene macht in Deutschland Berlin zwar auch einen großen Anteil aus, aber trotzdem sind sehr viele Start-ups in anderen Ökosytemen verteilt. Start-ups sind da, wo sie schnell Ergebnisse erzielen können.

Produktion: Welche Kritieren spielen bei der Standortfrage neben der Nähe zum Kunden eine Rolle?

Kalantary: Die größte Herausforderung für Start-ups wie auch für etablierte Unternehmen ist zurzeit der Zugang zu Talenten. Viele Start-ups brauchen erfahrene Experten in Testing und UX-Design. Start-ups auf dem Land haben es da schwerer, weil UX-Designer lieber in Berlin leben als zum Beispiel im sächsischen Neukirch. Auch Zugehörigkeit spielt eine Rolle: Gerade in der Anfangsphase sind Familie und Freunde oft Kapitalgeber – wobei Kapital nicht immer finanzielles, sondern auch Sachkapital bedeutet. Und die heimische Garage ist nunmal nicht immer in Berlin.

Produktion: Sie beraten bei „Next Level“ auch Investoren. Bemerken Sie auf deren Seite Vorbehalte gegenüber im ländlichen Raum positionierten Start-ups?

Kalantary: Nein, das habe ich bislang noch nicht erlebt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Gründer reisefreudig sind – das ist gerade in der initialen Kapitalfindungsphase wichtig.

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