Person arbeitet an einem Laptop mit digitalen Daten

Künstliche Intelligenz ist oftmals auch in KMU einsetzbar und längst kein Hexenwerk. Mit der richtigen Unterstützung lässt sich klären, inwieweit KI auch in Ihrem Unternehmen Vorteile bringt. - (Bild: Adobe Stock, everythingpossible)

In unserer Miniserie mit drei Teilen beleuchten wir den aktuellen Stand des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz in den Unternehmen. Betrachtet werden dabei im Schwerpunkt Anwendungsfälle aus der Logistik, aber auch der Produktion. Im Fokus steht die Frage, welche Hürden KMU nehmen müssen, um KI einzusetzen und inwieweit Künstliche Intelligenz überhaupt in mittleren Unternehmen Sinn macht.

Teil 3: Etablierung von Data Science in Organisationen: Eine Orientierungshilfe für das unbekannte Land

Fragt man in Deutschland nach, wie es um Maschinelles Lernen (ML) steht, gibt es viele Erfahrungsberichte, die unglaublich positiv sind. So äußert sich Sebastian Land, Lead Data Scientist bei der Old World Computing GmbH: "Alle sagen, dass ML total wichtig und super erfolgreich ist, dass man damit Geld sparen kann und auch KMU so ihre Effizienz steigern können." Doch Land warnt davor, dass "wir uns zu sehr auf den Erfolg beschränken und zu wenig über die Probleme reden, weshalb es nicht klar ist, wie man überhaupt anfangen soll."

Denn laut Land sagt Gartner Consulting, dass 70 Prozent aller maschinellen Lernprojekte scheitern. "Das deckt sich mit meiner Erfahrung aus den letzten Jahren. Doch wie geht das zusammen mit den ganzen Erfolgsmeldungen? Es liegt wohl daran, dass wir in Deutschland ungern über Misserfolg reden", vermutet Land.


Dreiteilige Serie über Künstliche Intelligenz in KMU

Teil 1: Umfrage zur KI und welche Umsetzungsprojekte es gibt
Teil 2: Aus dem Lab in die Organisation – Operationalisierung von Machine Learning-Projekten
Teil 3: Etablierung von Data Science in Organisationen: Eine Orientierungshilfe für das unbekannte Land

Was den Mittelstand von Firmen wie Google oder Amazon unterscheidet

Wie kommt es somit zu diesen 70 Prozent? Es gibt laut Land viele große Konzerne, die das vormachen, die digitalen Firmen wie Google, Amazon und Facebook. "Diese Unternehmen sind nur groß geworden, weil sie das ML beherrschen. Diese Firmen teilen allerdings eine Eigenschaft. Sie sind um Daten aufgebaut und somit Digital Natives - sie waren also schon immer in diesem unbekannten Land", erläutert Land.

Die Firmen aus der Logistik und aus der Industrie kommen nicht aus diesem Land, sie gehen dort jetzt erst hin, meint der Experte. "Doch die digitalen Firmen haben in ihrer ganzen Organisation bereits datenbasierte Entscheidungen und datenbasierte Automatisierungen mit ML längst gelebt. Sie machen das bei jeder Entscheidung", gibt sich Land überzeugt.

Künstliche Intelligenz oder Data Science?

Sebastian Land behauptet, dass immer ganz viel über KI gesprochen wird - er spricht lieber von Data Science und gliedert diese in drei Teilbereiche:

 

  1. Das menschliche Lernen. Dabei geht es darum, dass Menschen aus Daten lernen, um bessere Entscheidungen in der Realität zu treffen. Das heißt, der Mensch nutzt Daten, um sein Verständnis der Welt zu verbessern. Dazu benutzt er zum Beispiel Statistiken und Dashboards. Das nennt man in Unternehmen Business Intelligence.
  2. Das maschinelle Lernen. So zum Beispiel Deep Learning für Bilderkennung. Da gibt es viele Verfahren. Das Ziel des ML ist, Computer beziehungsweise eine intelligente Technologie aus Daten lernen zu lassen, damit der Computer Entscheidungen automatisiert treffen kann. Somit tritt der Mensch an dieser Stelle einen Schritt zurück, er wird vom Entscheider zum Kontrolleur. Dabei lernt er nichts über die eigentliche Entscheidung, er lernt auch nicht notwendigerweise etwas über die Fachdomäne, sondern die Entscheidung trifft der Computer automatisiert. Der Mensch kann dann kontrollieren, ob er das gut genug tut.
  3. Im dritten Teilbereich geht es um die Infrastruktur beziehungsweise die ganze Architektur, in der die Daten gelagert sind. Denn wer Sachverhalte auf Datenbasis auswerten will, braucht die notwendige Rechenkapazität, Speicherkapazität und dergleichen.

Mittelstand und Künstliche Intelligenz - kein Widerspruch

Doch warum sollte sich der Mittelstand dennoch mit dem Thema Machine Learning beschäftigen? "ML habe ich doch noch nie gebraucht, alles hat auch so immer funktioniert", sagt Land augenzwinkernd. Denn wer tatsächlich von ML und Data Science nicht überzeugt ist und es nicht wenigstens ausprobieren möchte, den will Land an das Tastentelefon erinnern.

"Es gab schon Smartphones, aber ich dachte: Wofür brauche ich ein Smartphone, wenn ich doch schon ein Tastentelefon habe? Die Termine kann ich auch so handeln. Irgendwann war das Tastentelefon defekt und ich habe mir doch ein Smartphone gekauft. Wenn man es dann in der Hand hat und es nutzt, es versteht und die Konzepte bei sich adaptiert, dann merkt man, wie vorteilhaft es ist. Ich glaube, dass es beim ML sehr ähnlich ist. Sobald man es verstanden hat, hagelt es plötzlich Anwendungsfälle. Aber dafür muss man damit einfach mal anfangen", berichtet Land aus der eigenen Erfahrung.

Doch das ist jetzt genau der Punkt. Wie kommt das mittelständische Unternehmen dort hin? Laut Land steht es jetzt vor einer Herausforderung. "Wir können ja nicht einfach als alleinige Person im mittelständischen Unternehmen entscheiden, jetzt mal Machine Learning zu machen. Das haben viele Leute in der Frühphase gemacht, da kommen die 70 Prozent des Scheiterns her", verdeutlicht Land. Das sei keine gute Herangehensweise.

Merkspruch für die Einführung von KI im Mittelstand

Sebastian Land Old World Computing GmbH

"Ich würde Machine Learning/Data Science einen Merkspruch geben: Wer das machen möchte, sollte den Mut haben, die Begrenztheit seiner eigenen Erfahrung zu akzeptieren, die Grenzen des eigenen Verstandes zu akzeptieren, um loslassen zu können. Ganz nach dem Motto: Ich weiß jetzt nicht, warum das so ist, aber ich weiß, dass der Computer mir verlässlich eine gute Prognose liefert. Das erfordert wirklich viel Mut", sagt Sebastian Land

Auf die Intelligenz in der Domäne bauen und menschliches Denken miteinbeziehen

Land verweist darauf, die gesamte Organisation zu betrachten, am besten in einem Organigramm. "Ganz oben stehen die Leute, die die Übersicht über alles haben, was passiert. Unten stehen die Beschäftigten mit dem berühmten Domänenwissen, was eminent wichtig ist", unterstreicht Land. Oben würden eher die strategischen Entscheidungen und unten eher die taktischen Entscheidungen getroffen werden.

"Wenn der Unternehmer jetzt Data Science etablieren will, dann muss er beachten, dass die Menschen die Entscheidung zur Automatisierung durch ML als Bedrohung empfinden können. Denn der Mitarbeiter wird vielleicht aus seiner aktuellen Tätigkeit ein Stück weit herausgeholt. Denn jetzt muss er beispielsweise keine Prognosen mehr für die Güteraufkommen selbst treffen, weil das ja plötzlich die Maschine macht. Das kann eben als Bedrohung wahrgenommen werden", unterstreicht Land.

Selbiges gilt laut Land aber auch für die Entscheiderebene. Denn der Data Scientist könnte sagen, dass die Entscheidungen, die der Unternehmer treffen möchte, nicht von den Daten unterstützt werden. Somit ist an dieser Stelle das Gefühl für eine Entscheidungsfreiheit genommen, was ebenfalls zu Ablehnungsreaktionen führen kann", erläutert Land.

Deshalb gelte es, in der Organisation Vertrauen zu schaffen. "Auch wenn angestammte Tätigkeiten sich ändern oder sogar wegfallen, gibt es doch neue wertvolle Tätigkeiten, bei denen die Selbstwirksamkeit ausgelebt werden kann und wo es auch ein Gefühl gibt, dass ich wichtig bin. Da kann ich nur sagen, es ist genug Arbeit da und das Domänenwissen brauchen wir auf jeden Fall. Es ist nicht so, dass das plötzlich wegfällt. Denn maschinelles Lernen ersetzt kein menschliches Lernen", beschwichtigt Land.

Genau so sollten Sie KI im Mittelstand einführen

Land erklärt explizit, wie der Weg dorthin aussehen soll: "Ganz am Anfang gilt es organisationsintern sogenannte Data Science Ambassadors zu bestimmen. Deren Job ist es, den Gesamtprozess als Schnittstelle zu externen Wissensträgern oder externen Beratungen zu begleiten."

Sie sollten laut Land Erfahrungen in der Technik haben und am besten in der Organisation gut vernetzt sein. Sie müssen ein gutes Verständnis für die Abläufe in der Organisation haben, um dann hinterher auch die Beschäftigten auszubilden.

"Diese Data Science Ambassadors müssen ein erstes Verständnis für ML entwickeln, weil nur mit diesem Verständnis und aus eigener Erfahrung können sie vor Leuten aus der Organisation begründen, was jetzt zu tun ist, warum es zu tun ist und welchen Erfolg das mit sich bringt", erklärt Land.

Anschließend sollen diese Personen dabei helfen, den internen Prozess zu organisieren. "Denn ein externes Beratungsunternehmen hat typischerweise keinen Zugriff auf die wichtigsten Leute in diesem Prozess - und das wären im zweiten Schritt die Entscheider, Abteilungsleiter, Bereichsleiter oder auch das Top-Management."

Denn Data Science bietet zwar neue Möglichkeiten, aber Land findet auch, dass es manchmal überbordende Erwartungen gibt, indem Magie erwartet wird, die einfach nicht da sei.

Wo Sie Unterstützung für die Einführung von KI bekommen

Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen gibt es verschiedene Forschungsausschreibungen, auf die Sie sich bewerben können. Das sind KI für KMU oder auch die Forschungsausschreibung KMU innovativ, die alle sechs Monate Einreichungsfristen haben. Dort können Sie sich mit guten Ideen bewerben und eine gewisse Förderung bekommen. Es gibt aber auch die Mittelstand 4.0 Kompetenzzentren, die ursprünglich im Rahmen der Digitalisierung ins Leben gerufen wurden. Derzeit sind über 20 Zentren deutschlandweit verteilt. Dort kann man sich als kleines mittelständisches Unternehmen kostenfrei zum Thema Digitalisierung informieren und seit einigen Jahren auch zum Thema KI. Es entstehen gemeinsame Gestaltungsworkshops und Planungen, die für Unternehmen ebenfalls kostenfrei sind.

Künstliche Intelligenz im Mittelstand verlangt auch intelligentes Verhalten

"Dann scheitert ein Projekt von Anfang an. Somit müssen wir erstmal die Awareness schaffen, was die neue Technologie kann und was sie nicht kann. Auch die Entscheider müssen ausgebildet werden, sie müssen vor allem lernen, Anwendungsfälle zu identifizieren. Vor allem ist es schwierig, diese Data Science-Projekte erst zu steuern und später aber auch einfach mal laufen zu lassen", beschreibt Land die diffizile Situation.

Häufig hat es schon das Problem gegeben, dass dann jemand Angst bekam, weiß Land und beschreibt die empfundene Situation: "Sein Budget wird immer kleiner und alles was er bekommt ist eine Prozentzahl mit dem Kommentar, dass wir uns von drei auf 2,8 Prozent verbessert haben - mit der Aussicht, dass die Zahl noch kleiner wird. Das ist nicht gut für das Vertrauen in dieses Projekt. Da habe ich schon manche Panikreaktionen erlebt, die einfach nicht angemessen war", berichtet Land von seinen Erfahrungen. Data Science-Projekte seien anders zu steuern als ein Brückenbau, bei den man genau wüsste, was zu tun sei.

"Bei Data Science ist es Forschung in etwas Unbekanntes. Das ist komplett anders", unterstreicht Land. Die Aufgabe dieser Entscheider wäre dann im Weiteren, Sponsoren in der Organisation zu finden, also welche Personen Interesse an diesem Thema haben und mit externen Beratern zusammenarbeiten, um das Ganze in die Organisation zu bringen.

Nicht alle Anwendungsfälle sind sinnvoll

"In einem nächsten Schritt benötigen diese Sponsoren auch eine Ausbildung, damit sie die Grundlagen verstehen, um Anwendungsfälle zu bewerten. Denn nicht alle Anwendungsfälle sind gleich sinnvoll, nicht alle sind gleich erfolgversprechend und nicht alle stoßen auf die selbe Akzeptanz", beschreibt Land.

Dann ist es wichtig, Leuchtturmprojekte zu definieren, findet Land. "Denn wenn eine Organisation ML noch nicht kennt, dann brauche ich etwas, was Strahlkraft hat und Verständnis schafft sowie ein 'Nachahmen-wollen-Effekt'. Gleichzeitig wollen wir ein Leuchtturmprojekt haben, das erfolgreich ist, damit wir darüber reden können. Es sollte einfach sein und am besten ist es, wenn es auch direkt Mehrwert generiert", betont Land.

Er schränkt aber auch ein, dass ein Projekt selten Mehrwert schafft. "Die Investition amortisiert sich erst, wenn man mehrere Projekte beziehungsweise Anwendungsfälle durchführt. Schließlich hatte man Ausbildungskosten, Investitionen in Software und weitere Investitionen", weiß Land und er betont, dass der Mittelständler mehrere Leuchtturmprojekte durchführe soll, denn jedes einzelne davon kann scheitern.

"Aber wenn wir einen Erfolg haben, dann können wir damit weiterarbeiten. Der Rest ist Lehrgeld. Daraus müssen wir unsere Lehren ziehen, die Prozesse optimieren und dann wissen wir hinterher wahrscheinlich wie es weitergeht", so der Experte.

Eigenes Data Science Team für den Erfolg notwendig

Land betont auch, ein eigenes Data Science-Team auszubilden sei sinnvoll. "Das ist ein Vollzeitjob, das schaffen die Leute nicht nebenher. Ich kann nicht jemanden aus der QA-Abteilung nehmen und ihm sagen, er solle zehn Prozent seiner Zeit noch für ML aufwenden. Da sind die Fehler vorprogrammiert, es wird falsch validiert und die Prognosen sind hinterher nicht da, wo sie sein sollten", warnt Land.

Es sei eine strategische Fähigkeit für die Zukunft und es mache Sinn, eigene Kompetenzen aufzubauen, durchaus auch als Mittelständler.

"Wenn es für Sie hingegen alleine keinen Sinn macht, dann suchen Sie sich eine sogenannte Konkurrenz. Diese hat wahrscheinlich dieselben Probleme, somit können Sie sich zusammenschließen. Das wird günstiger und Sie schaffen eine gemeinsame Kompetenz. Denn ohne eigene Kompetenzen werden Sie immer abhängig. Das wird dann sehr teuer und auch nicht erfolgreich", erläutert Land.

Sie möchten gerne weiterlesen?