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Sensoren an Werkzeughaltern und anderen Spannmitteln ­liefern tiefe Einblicke in den Fertigungsprozess. - (Bild: Schunk)

Das Werkzeugmanagement ist zu einer sehr komplexen Angelegenheit geworden. Schuld daran haben unter anderem individualisierte Produkte, kurze Lieferzeiten, hohe Produktvarianz, kleine und flexible Losgrößen sowie kurze Produktlebenszyklen. All dies erfordert eine hohe Werkzeugvielfalt und häufige Werkzeugwechsel.

Eine fehlende Informationstransparenz im Werkzeugkreislauf kann zu erhöhten Kosten führen, beispielsweise aufgrund von Schäden durch falsche Schnittparameter, unnötigen Austausch eines Werkzeugs oder Stillstand infolge fehlender Werkzeuge. Diese Probleme sollen in Zukunft mithilfe intelligenter Werkzeuge, Werkzeughalter und Spanntechnik gelöst werden.

Was sind intelligente Werkzeughalter?

Intelligente Werkzeughalter verfügen über Sensoren, die den Zustand des darin gespannten Werkzeugs überwachen. So kann zum Beispiel der Verschleißzustand eines Werkzeugs kontrolliert und damit die voraussichtlich verbleibende Reststandzeit des Werkzeugs berechnet werden. Oder es kann die Qualität des Zerspanungsprozesses mittels Sensoren überwacht werden.

Das Ziel der intelligenten Spanntechnik ist es, auf diese Weise relevante Prozess- und Produktinformationen direkt in der Maschine erfassen zu können, diese dann Regelungssystemen zur Verfügung zu stellen und den Prozess so autonom steuern zu können.

Welche intelligenten Spannsysteme gibt es bereits?

Einige Hersteller von Werkzeugen und Spanntechnik beschäftigen sich momentan mit diesem Thema – manche haben bereits erste Produkte im Angebot.

Sandvik Coromant bietet gleich zwei digitale Lösungen für Werkzeughalter an. Die Silent Tools + Systeme für die Innendrehbearbeitung mit langen Überhängen sind mit einem Konnektivitätsadapter ausgestattet, der Daten aus dem Bearbeitungsprozess sammelt und an ein Dashboard sendet. Auf diese Weise erhält der Anlagenbediener Einblicke in das, was innerhalb schlanker, rohrförmiger Komponenten geschieht. Er kann beispielsweise erkennen, ob das Werkzeug zu stark vibriert oder die Oberflächenqualität gefährdet ist. Zudem hilft es dem Bediener, den Werkzeugeingriff sicher zu erkennen und somit Anfahr- und Nebenzeiten zu vermeiden.

Sandvik Coromant, Coromant Capto Plus
Mit Coromant Capto Plus von Sandvik Coromant lässt sich der Wartungsbedarf von angetriebenen Werkzeughaltern genau ­bestimmen. - (Bild: Sandvik Coromant)

Auch für die angetriebenen Coromant Capto Werkzeughalter bietet Sandvik Coromant ein digitales Konzept an. Diese soll den Wartungsbedarf genau bestimmen. Coromant Capto Plus erweitert den Werkzeughalter um Sensoren sowie eine Software, in der die Daten dargestellt werden. Es werden unter anderem die tatsächlich geleisteten Maschinenstunden seit Haltereinbau beziehungsweise seit der letzten Wartung sowie die auftretenden Belastungen hinsichtlich Drehzahl, Temperatur und Vibrationen aufgezeichnet. Die Daten sollen vor allem bei einer effizienten Instandhaltung helfen.

"In der typischen Fabrik treffen falsche Strategien aufeinander: Reparieren beziehungsweise Warten, wenn etwas kaputt ist, oder eben vorbeugend und vorsichtig nach festen Zeiträumen und damit häufig zu oft", berichtet Niklas Kramer, Leiter Produkt- und Industriesegmentmanagement bei Sandvik Coromant. "Beides hat Folgekosten und negativen Einfluss auf die Verfügbarkeit. Digitale Lösungen in Werkzeugen und Spannmitteln helfen also, eine Einsatzhistorie zu kennen, terminoptimiert warten zu können, Betriebsmittel verfügbar zu haben und die benötigte Qualität im Prozess sicherzustellen."

Was macht Spanntechnik smart?

Verschiedene Elemente sind für die Intelligenz von Spannelementen verantwortlich:

  • RFID-Tags ermöglichen eine zuverlässige und eindeutige Kennzeichnung sowie den Einsatz von Tracking-Systemen.
  • Sensoren in Prozessnähe können diverse Prozessdaten aufzeichnen und an Software weitergeben. Damit erhalten Maschine und Bediener einen Überblick.
  • Schnittstellen ermöglichen die Kommunikation mit der Maschinensteuerung und damit eine autonome Regelung des Prozesses.

Um den Anwendern den Einstieg möglichst einfach zu machen, genügt im Normalfall ein Tablet mit Windows 10 und einer Bluetooth-Verbindung, um die Produkte in der Produktion einzusetzen. „Der Vorteil der Tablet-Lösung ist, dass man sofort loslegen kann und nicht in etablierte Prozesse und Anlagen eingreifen braucht“, erläutert Niklas Kramer. „Aber das verhindert die geschlossene Regelkette. Alternativ ist eine Steuerungsintegration möglich. Dann können Prozesse auch selbstregelnd oder adaptiv ablaufen.“ Dies zeigt Sandvik Coromant momentan in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern von Werkzeugmaschinen.

Wie smarte Werkzeughaltern eine autonome Fertigung ermöglichen

Bereits möglich ist die autonome Prozesssteuerung mit dem intelligenten Werkzeughalter iTendo von Schunk, der auf allen Werkzeugmaschinen bei Bearbeitungen bis 12 000 U/min-1 genutzt werden kann. Die einzige Voraussetzung ist die passende Spindelschnittstelle. Das smarte Hydro-Dehnspannfutter für Präzisionswerkzeuge analysiert permanent den Zerspanungsprozess. Wird der Schnitt instabil, greift die integrierte Intelligenz in Echtzeit und ohne Zutun des Bedieners unmittelbar ein. Je nach Situation wird der Prozess gestoppt, auf zuvor definierte Basisparameter reduziert oder adaptiert. Dies geschieht so lange, bis der Schnitt wieder in einen stabilen Bereich überführt ist.

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Der smarte Werkzeughalter iTendo ermöglicht eine Überwachung und Regelung des Prozesses in Echtzeit. - (Bild: Julia Dusold)

"Um ähnliche Ergebnisse zu erzielen, waren bislang komplexe Aufbauten und eine umständliche Auswertung der Messdaten nötig", erklärt Johannes Ketterer, Leiter des Bereichs Werkzeughalter-Systeme und Spannbacken bei Schunk. "Der iTendo hingegen wird die Prozessüberwachung und -regelung in der Zerspanung stark vereinfachen und zugleich deutlich preisgünstiger sein als alle am Markt vorhandenen intelligenten Werkzeughaltersysteme. Die erforderliche Hardware und Software sind unmittelbar in den Werkzeughalter integriert. Lediglich für die grundlegenden Einstellungen und für die Analyse ist ein handelsüblicher Rechner erforderlich. Das Beste aber ist, dass man zur Nutzung des Systems kein ausgewiesener Experte sein muss. Jeder, der eine Werkzeugmaschine bedienen kann, kann auch den iTendo nutzen." Der Bediener muss lediglich Grenzwerte und Reaktionen definieren, dann greifen die Algorithmen und das System regelt anhand der einmal gemachten Vorgaben autonom und in Echtzeit den Prozess. "Gerade bei anspruchsvollen Bearbeitungen, die bislang engmaschig überwacht werden musste, entspannt sich so die Situation deutlich", schildert Johannes Ketterer. "Der Bediener ist nicht an den Prozess gebunden, sondern kann parallel anderer Aufgaben erledigen. Zugleich sinken die Werkzeugkosten, da die Zerspanung insgesamt wesentlich ruhiger abläuft."

Video: Wie der intelligente Werkzeughalter iTendo eine Prozesskontrolle und -regelung in Echtzeit ausführt

Wie können Anwender von intelligenten Werkzeughaltern profitieren?

Den Stellenwert intelligenter Werkzeuge und Werkzeughalter bei den Anwendern zeigt die rege Teilnahme großer Unternehmen an Forschungsprojekten zu diesem Thema. So war etwa die Heidelberger Druckmaschinen AG am Projekt 'Smart Tool – Intelligente Werkzeuge für die vernetzte Fertigung von morgen' der TU Darmstadt beteiligt. Ziel der Beteiligung war es, den Aufbau und die Nutzung eines cyberphysischen Werkzeugsystems voranzutreiben. Ein cyberphysisches Werkzeugsystem besteht aus einem intelligenten Werkzeugsystem, intelligenten Interaktionspartnern und der überlagerten Softwarearchitektur. "Als Anwender kann man in einem solchen Projekt einerseits die notwendigen Erfahrungen sammeln und andererseits die eigenen Anforderungen in Hinblick auf die weitere Produktentwicklung der Toolmanagementsystempartner einbringen", sagt Matthias Laubenstein aus dem Bereich Heidelberg Operations.

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Für Heidelberg ist vor allem eine Trackingfunktion besonders relevant, denn damit können in einer variantenreichen Fertigung der Bestand an Neuwerkzeugen sowie der Umlaufbestand transparenter dargestellt werden. "Die Meldebestandsgrenze für Nachbestellungen kann niedriger angesetzt werden", bemerkt Matthias Laubenstein. "Gerade bei teuren und langlebigen Werkzeugen lassen sich auf diese Weise die Neuwerkzeugbestände und damit deren Kapitalkosten senken." Aber auch die Aufzeichnung der Werkzeugdaten sieht Matthias Laubenstein als eine große Hilfe an: "Der Einsatz sensorischer Werkzeuge beziehungsweise Werkzeughalter erleichtert Ad-hoc-Tests beim Einfahren neuer Prozesse, das Überwachen kritischer Prozesse oder den schnellen Versuch bei einem Werkzeugkunden. Per Bluetooth können die Schwingungsdaten drahtlos auf ein mobiles Endgerät übertragen und ausgewertet werden."

Auch intelligente Spannvorrichtungen für Werkstücke verbessern Prozesse

Nicht nur die Werkzeughalter werden intelligenter, auch die Spanntechnik für Werkstücke. Hilma-Römheld zeigte im vergangenen Jahr erstmals einen sensorischen Maschinenschraubstock. Der Prototyp erfasst die Spannkräfte in Echtzeit, gleicht diese mit eingestellten Soll- und Grenzwerten ab und gibt gegebenenfalls eine Warnung aus. Zudem können die Daten an die Maschinensteuerung kommuniziert werden, um automatisiert in den Fertigungsprozess eingreifen zu können.

Hilma Roemheld, HPC Spannsystem
Der Maschinenschraubstock HPC ist das zweite Hilma-Römheld-Spannsystem mit integrierter Sensorik. Die digitalen Elemente sollen die ­Fertigungsqualität erhöhen. – (Bild: Hilma-Römheld)

Das Ziel der Entwicklung: innovative Produkte für die Anforderungen der Zukunft schaffen. "Wir sehen die ständig wachsende Bedeutung der Automation in der zerspanenden Fertigung", so Guido Born, Produktbereichsleiter Werkstückspannsysteme bei Hilma-Römheld. "Die Spanntechnik als zentrale Funktion im Bearbeitungsprozess spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Wir wollen Anwendungen schaffen, um die Prozesssicherheit durch Überwachen der Spannkräfte zu verbessern."

Doch Prozesssicherheit ist nur eines der Ziele. Das Wissen und Gefühl der Spanntechnik soll in Zukunft noch mehr Nutzen bringen. "Wir sind überzeugt, dass digitale Services die Möglichkeit schaffen werden, um Prozesse systematisch zu analysieren, Schwachstellen zu erkennen und die Optimierungsvorschläge direkt an die zuständigen Mitarbeiter weiterzugeben", so Johannes Ketterer von Schunk. Auch Niklas Kramer von Sandvik Coromant wünscht sich Werkzeuge, die zum Beispiel Verschleißzustand und Wartungszeitpunkt selbstständig kommunizieren. "Unser aller Ziel ist sicherlich, die fühlende und wissende Maschine, die den Zielzustand der Komponente kennt und selbstständig die bestmögliche Bearbeitungsstrategie dafür findet", sagt er. "Aber bis dies alles ohne unser Zutun abläuft, vergeht sicherlich noch einiges an Zeit."

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