Für einzelne Bereiche der verarbeitenden Industrie bieten sich in Afrika lukrative Geschäftsmöglichkeiten – wenn sie Vorurteile über Bord werfen und Geduld mitbringen.
von Gunnar Knüpffer
LANDSBERG (ks). „Viel zu lange haben wir in Deutschland die aktuellen Entwicklungen in vielen afrikanischen Ländern schlichtweg verpasst“, meint Dirk Niebel, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. „Das einseitige Zerrbild eines Krisenkontinents, das in Deutschland noch immer vorherrscht, muss daher endlich aufgebrochen werden.“ Der afrikanische Kontinent durchlebt einen rasanten Wandel. In den vergangenen zehn Jahren ist Afrikas Wirtschaft durchschnittlich um fast 6 % pro Jahr gewachsen. Einige Länder weisen sogar zweistellige Wachtsumsraten auf. Die ausländischen Direktinvestitionen verfünffachten sich seit 2000 auf 50 Mrd US-Dollar pro Jahr. Das liege auch daran, dass Rechtstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Demokratie auf dem Vormarsch seien, sagt Niebel. Von diesem Boom profitiert beispielsweise der Landmaschinenhersteller Claas, der seinen Umsatz dort im zweistelligen Prozentbereich hochfährt. „Die Potenziale der Landwirtschaft in Afrika wurden gerade in den letzten Jahren von Investoren erkannt und werden jetzt von Kräften genutzt“, sagt Jörg Fürchtenhans, kaufmännischer Leiter Claas Global Sales GmbH und zuständig für Afrika. Dies führt zu einer Professionalisierung und Mechanisierung in der Landwirtschaft. Am Erfolg versprechendsten sind für Claas alle Länder mit einem steigenden Anteil an Mechanisierung und einer hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Landwirtschaft wie zum Beispiel Südafrika, Äthiopien und Algerien.
Für die verarbeitende Industrie sieht der Abteilungsleiter Afrika in der Mittelstandsbank der Commerzbank AG, Florian Witt, interessante Absatz- und Investitionspotenziale in Bezug auf die Vertiefung der lokalen Wertschöpfung, insbesondere in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produktion und der in Afrika geförderten Rohstoffe, was die petrochemische Industrie mit einschließt. „Hier zum Beispiel kann der Anlagenbau für Düngemittelfabriken sicher wachsen“, sagt Witt gegenüber Produktion.
Lösungen für „herausfordernde Nahrungsmittelproduktionen“ stehen beispielsweise im Mittelpunkt der Aktivitäten des Technologiekonzerns GEA Group in Düsseldorf. „Diese finden sich jedoch in Afrika nur in einzelnen wenigen Regionen, hauptsächlich Südafrika“, sagt der CEO der GEA Group, Jürg Oleas, im Interview mit Produktion. „Der Auftragseingang in 2011 betrug in Afrika 3,4 % unseres Gesamtvolumens.“ Dieser Auftragseingang kam im Wesentlichen aus den Bereichen Wärmetauscher und Kältetechnik.
„Deutschland ist im Vergleich zu den USA und inzwischen auch China sowie den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien in Afrika unterrepräsentiert, jedoch im Vergleich zur deutschen Eigenwahrnehmung sind deutsche Unternehmen bereits aktiver als man das gemeinhin annimmt“, berichtet Witt. Das größte afrikanische Bauunternehmen wurde von Bilfinger + Berger in Nigeria gegründet. Siemens, Linde und Bayer sind in vielen Ländern Afrikas aktiv und viele deutsche Mittelständler machen bereits seit Jahren oder sogar Jahrzehnten auf dem Kontinent Geschäfte. „Es sind vor allem die großen und größeren Länder mit inzwischen stabilen politischen Institutionen, die man sich anschauen sollte, wenn man bislang auf dem afrikanischen Kontinent noch nicht breit aufgestellt war“, rät Witt: „Nigeria, Angola, Ghana und Mosambik sind neben den nordafrikanischen Maghreb-Staaten und Südafrika die neuen ‚Löwen‘.“ Ergänzen könne man Senegal, Kamerun und Äthiopien. Erst kürzlich eröffnete Atlas Copco ein Kundencenter in Burkina Faso zur Intensivierung des Kontakts mit seinen Kunden im frankophonen Westafrika, wo ein hohes Wachstumspotenzial im Bergbau- und Explorationssektor erwartet wird.
aus Produktion Nr. 3-4, 2013