Ventil einer Gaspipeline

Wird Deutschland weiterhin russisches Gas kaufen? Fest steht: Verbraucher müssen für Energie weiter tief in die Tasche greifen. (Bild: stock.adobe.com - 63ru78)

In der Debatte um einen möglichen Importstopp von russischem Gas nach Deutschland haben Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam vor den Auswirkungen gewarnt. Sanktionen müssten gezielt sein, die Gegenseite unter Druck setzen und möglichst Schaden von der eigenen Wirtschaft abhalten, sagten der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands BDA, Rainer Dulger, und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, der Deutschen Presse-Agentur in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Beim aktuell diskutierten Gas-Embargo sehen wir das nicht."

Die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung wären nach Ansicht Dulgers und Hoffmanns momentan in Deutschland höher als die in Russland. "Ein schnelles Gas-Embargo hätte in Deutschland Produktionsausfälle, Produktionsstillstand, eine weitere Deindustrialisierung und nachhaltige Arbeitsplatzverluste zur Folge." Um die Ukraine weiter zu unterstützen und den Druck auf Russland aufrechtzuhalten, brauche man eine stabile Wirtschaft und einen stabilen Arbeitsmarkt. Aus der Luftverkehrsbranche hieß es, ein Embargo sei verkraftbar.

Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die EU inzwischen einen Importstopp für russische Kohle beschlossen und weitere beispiellose Sanktionen verhängt. Immer wieder wird auch über einen sofortigen Ausstieg aus russischem Gas oder Öl diskutiert. Davor schrecken Deutschland und andere Länder aber aus Furcht vor wirtschaftlichen Schäden bislang zurück. So hatte etwa die chemische Industrie auf ihren großen Verbrauch von Öl und Gas verwiesen und vor massiven Folgen für die Wertschöpfungsketten im Land gewarnt, sollte zu längeren Ausfällen von Anlagen kommen. Etwa 95 Prozent aller Industrieerzeugnisse benötigten Chemieprodukte.

Gas-Importstopp: Auch Auswirkungen auf Nahrungsmittelherstellung

Auch die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) warnte vor einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland. Die Ernährungsindustrie sei nach der chemischen Industrie der zweitgrößte industrielle Gasverbraucher in Deutschland, sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Ein Stopp der Gaslieferungen hätte massive Auswirkungen auf die Nahrungsmittelherstellung." Wenn nicht mehr ausreichend Gas geliefert werde, könne auch nicht mehr produziert werden. "Wir würden zwar deshalb keinen Hunger leiden, aber es würde große Produktionsausfälle geben, die die Verbraucher in den Supermärkten spüren würden."

Die deutsche Luftverkehrswirtschaft hingegen würde ein Energieembargo gegen Russland nach eigener Einschätzung verkraften. "Wir würden Einschränkungen erleben und höhere Preise. Schon heute kommt aber das meiste Öl, das die Branche nutzt, in den Nordseehäfen an. Zu großen Ausfällen sollte ein Embargo daher nicht führen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Peter Gerber, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte zuletzt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt: "Ein sofortiges Gas-Embargo würde den sozialen Frieden in Deutschland gefährden." Man müsse besonnen agieren, Schritte genau vorbereiten und durchhalten können, wenn man Putin schaden wolle.

2021 bezog die Bundesrepublik laut Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe über 50 Prozent ihres Erdgasbedarfs aus Russland. Vom Wirtschaftsministerium hatte es Anfang des Monats geheißen, es könne bis zum Sommer 2024 gelingen, bis auf wenige Anteile unabhängig von russischem Gas zu werden. Das hänge aber auch vom Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland ab - sowie von einer Senkung des Verbrauchs. Die Regierung bemüht sich außerdem den Import von Flüssigerdgas (LNG) zur Sicherung der Gasversorgung für Deutschland zu steigern, um weniger auf russisches Gas angewiesen zu sein. Das Flüssiggas wird mit Tankschiffen geliefert.

Rückgriff auf deutsche Gasvorkommen?

Der Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, Wolfgang Steiger, sagte der Deutschen Presse-Agentur, in der aktuellen Situation müssten alle Optionen auf den Tisch. Dies betreffe auch eine stärkere Nutzung deutscher Vorkommen. "Mit heimischer Erdgasförderung können wir die russischen Importe natürlich nicht vollständig kompensieren, aber es wäre ein wichtiger Baustein für eine größere Unabhängigkeit." Eine kurzfristige Erhöhung der aktuellen Förderung um 20 Prozent wäre möglich und sollte umgehend erfolgen. Dazu kämen noch unerschlossene Vorräte.

Vizekanzler Habeck sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die konventionellen Förderfelder in Deutschland seien "weitestgehend ausgeschöpft". "Es würde helfen, die Produktion kurzfristig zu steigern - mit der Konsequenz, dass man am Ende früher aussteigt. Unsere Probleme können wir dadurch aber nicht lösen."

Was gegen Fracking in Deutschland spricht

Weiterhin bekräftigte Habeck seine ablehnende Haltung gegenüber Fracking in Deutschland. "In der Norddeutschen Tiefebene sitzen wir auf einer großen Menge Gas, an das man nur mit Fracking herankommt. Man müsste also mit großem Druck und chemischen Substanzen tiefe Gesteinsschichten zerstören, um das Gas zu gewinnen", sagte er. "Das ist nach dem Wasserrecht schwer möglich, weil es mit negativen Folgen für unsere Umwelt verbunden sein kann. Im Moment gibt es auch keine Unternehmen, die das wollen." Außerdem würde es "Jahre dauern, neue Förderungen hochzuziehen und die Genehmigungsverfahren hinzubekommen".

Um die Strom- und Gasrechnung zu begleichen, müssen viele Menschen in Deutschland bald noch tiefer in die Tasche greifen als sie es ohnehin schon tun. Denn die derzeit auf einem Höchstniveau befindlichen Energiepreise werden in den kommenden Monaten insgesamt weiter steigen, wie das Vergleichsportal Verivox am Sonntag mitteilte und sich dabei auf Veröffentlichungen von Energieanbietern bezog.

"Alle Gasanbieter in Deutschland haben mit historisch hohen Einkaufspreisen zu kämpfen", sagt Verivox-Experte Thorsten Storck. "Der Krieg in der Ukraine und ein möglicher Gas-Lieferstopp verschärfen die Situation noch zusätzlich." Daher müssten sich die Verbraucherinnen und Verbraucher auch in den kommenden Monaten auf steigende Preise einstellen.

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dpa