Indien spielt eine wichtige Rolle - auch für die Wirtschaftspläne Deutschlands.

Indien spielt eine wichtige Rolle - auch für die Wirtschaftspläne Deutschlands. (Bild: natatravel - stock.adobe.com)

Seit Tagen wurde Olaf Scholz (SPD) auf großflächigen Plakaten in den Straßen Neu-Delhis willkommen geheißen. Nun ist er tatsächlich in der indischen Hauptstadt eingetroffen. Am Donnerstagabend traf der Bundeskanzler mit seinem Regierungsflieger in der indischen Hauptstadt ein, um am Freitag mit dem indischen Premierminister Narendra Modi und dessen Kabinett über eine Intensivierung der Zusammenarbeit zu beraten. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen die Bereiche Rüstung, Automobilindustrie, Arbeitskräftemigration sowie die aktuelle geopolitische Lage.

30 Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel

Mit über 140.000 in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat Indien bereits eine bedeutende Rolle auf dem deutschen Arbeitsmarkt eingenommen. Vor dem Hintergrund eines sich verschärfenden Fachkräftemangels strebt Deutschland eine signifikante Intensivierung der Anwerbung indischer Fachkräfte an. Das kürzlich beschlossene Maßnahmenpaket umfasst 30 Initiativen, die darauf abzielen, qualifizierte Arbeitskräfte für Deutschland zu gewinnen.

In einem Land, in dem der demografische Wandel und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften Innovation und Wachstum bremsen, könnte Indien eine wertvolle Ressource sein. Monatlich treten rund eine Million neue Arbeitskräfte in den indischen Arbeitsmarkt ein, von denen viele eine gute Ausbildung aufweisen, jedoch keine adäquaten Beschäftigungsmöglichkeiten im eigenen Land vorfinden. Hierbei intendiert die deutsche Regierung, durch gezielte Maßnahmen wie die Einführung digitaler Visa, die Bereitstellung von Deutschkursen sowie die Organisation von Jobmessen die Anwerbung zu erleichtern. Eine weitere wesentliche Maßnahme stellt die gezielte Beratung indischer Studierender in Deutschland dar. Ziel ist es, die Studierenden während ihrer Ausbildung zu unterstützen und sie als zukünftige Fachkräfte in Deutschland zu halten.

Welche Auswirkungen hat ein Freihandelsabkommen mit Indien auf die Industrie?

Das seit vielen Jahren in Verhandlung befindliche Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien zielt darauf ab, neue wirtschaftliche Impulse zu setzen. Robert Habeck, der deutsche Wirtschaftsminister, erachtet das Potenzial für eine Vertiefung der Handelsbeziehungen als erheblich. Die Verhandlungen gestalten sich jedoch als komplex. Die bisherigen Verhandlungen wurden jedoch durch die Interessen der Automobil- und Pharmabranche erschwert. Für den Import von fertig montierten Personenkraftwagen nach Indien werden derzeit Zölle in Höhe von bis zu 100 Prozent erhoben. Diese hohen Importzölle stellen für europäische Hersteller ein signifikantes Hindernis dar und dienen gleichzeitig als Maßnahme Indiens, um die heimische Produktion zu schützen.

Die Bedenken Indiens sind dabei durchaus berechtigt. Der Wegfall dieser Handelsbarrieren könnte dazu führen, dass ausländische Unternehmen angezogen werden, was wiederum eine Destabilisierung des lokalen Marktes zur Folge hätte. In der Tat haben zahlreiche internationale Unternehmen indische Standorte errichtet, um die Zölle zu umgehen und direkt im Land zu produzieren. Eine vollständige Marktöffnung könnte jedoch erhebliche soziale und ökonomische Disparitäten in Indien zur Folge haben, insbesondere im Agrarsektor, in dem ein signifikanter Anteil der indischen Bevölkerung beschäftigt ist.

Aus diesem Grund befürwortet Habeck ein begrenztes Abkommen, welches zunächst nur den Industriebereich umfasst. Ein derartiger Schritt könnte den Weg für eine zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende, schrittweise Öffnung weiterer Sektoren ebnen, ohne dabei die lokale Wirtschaft allzu sehr zu belasten.

Rüstung: Deutschland will U-Boote liefern

Die Lieferung von U-Booten an Indien wirft die Frage auf, wie sich Deutschland im Rüstungssektor positioniert. Dabei spielen neben wirtschaftlichen Aspekten auch Fragen der Sicherheitszusammenarbeit eine zentrale Rolle. In Anbetracht der geopolitischen Spannungen und der sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region strebt Indien eine Modernisierung seiner Streitkräfte an, die in hohem Maße von russischer Ausrüstung abhängig sind. Deutschland erachtet dies als Möglichkeit, sich als Rüstungslieferant zu positionieren und zugleich die eigene Industrie zu stärken.

Derzeit wird konkret die Produktion von sechs U-Booten für die indische Marine in Erwägung gezogen. Die deutsche Firma Thyssenkrupp Marine Systems hat bereits ihr Interesse signalisiert und eine Absichtserklärung abgegeben, jedoch steht eine endgültige Entscheidung der indischen Regierung noch aus. Wirtschaftsminister Habeck hob hervor, dass Indien, das "nicht in einer ganz friedlichen Region lebt", auf Selbstverteidigungskapazitäten angewiesen ist, um eine starke militärische Abschreckung zu gewährleisten.

Ein Zustandekommen dieses Geschäfts würde demnach nicht nur eine Vertiefung der deutsch-indischen Zusammenarbeit bedeuten, sondern auch ein Signal an die Region darstellen. Die Bundesrepublik Deutschland ist gewillt, einen erweiterten Beitrag zur Gewährleistung der internationalen Sicherheit zu leisten und sich als verlässlicher Partner zu positionieren. Dies schließt auch die Bereitstellung von Rüstungsgütern in geopolitisch sensiblen Bereichen mit ein.

Die Aussichten der indischen Wirtschaft

In der indischen Wirtschaft blickt man gut gelaunt in die Zukunft. (Bild: blvdone - stock.adobe.com (KI-generiert))

Wirtschaftswachstum

  • Für das Finanzjahr 2024/2025 prognostiziert die Weltbank ein BIP-Wachstum von 6,6%.
  • Der Internationale Währungsfonds geht für 2024/2025 von einem BIP-Wachstum von 6,8% aus.
  • Im 2. Quartal 2024 wuchs das reale BIP um geschätzte 6,7% gegenüber dem Vorjahresquartal.

Investitionen und Handel

  • Die Bruttoanlageinvestitionen sollen 2024/2025 um 9,7% zulegen.
  • Der deutsch-indische Handel erreichte 2023 mit 33 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchstwert.
  • Im 1. Quartal 2024 betrugen die deutschen Exporte nach Indien 3,9 Milliarden US-Dollar, die Importe aus Indien 3,6 Milliarden US-Dollar.

Langfristige Prognosen

  • Laut S&P Global wird Indien 2026 ein Wirtschaftswachstum von 7% erreichen.
  • Schätzungen zufolge wird Indien bis 2027 zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen, mit einem BIP von über 5 Billionen US-Dollar.

Sektorale Entwicklung

  • Die Infrastrukturproduktion stieg in den ersten sieben Monaten des Finanzjahres 2024 um 8,6% im Vergleich zum Vorjahr.
  • Für 2024 wird eine positive Entwicklung in den Immobiliensegmenten Wohnen, Büro und Lager erwartet.

Skepsis bei Indien-Russland-Beziehung

Der indische Premierminister Modi kehrte soeben von einem Besuch in Russland zurück. Die engen Beziehungen zwischen Indien und Russland werden seitens des Westens mit Skepsis betrachtet. Andererseits können sie aber auch von Nutzen sein, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Vermittlung bei den Bemühungen um ein Ende des Ukraine-Konflikts. Diese bot der Ministerpräsident Modi kürzlich beim Gipfel der BRICS-Staatengruppe in der russischen Stadt Kasan an. "Wir unterstützen uneingeschränkt die möglichst zeitnahe Wiederherstellung von Frieden und Stabilität", so seine Worte. Da Indien das Humanitäre im Blick habe, sei das Land mit allen Seiten in Kontakt und auch künftig bereit, "jede Art von Unterstützung zu leisten", um den Krieg zu beenden. Die erneute, herzliche Umarmung Modis und Putins in Kasan dürfte in der Ukraine jedoch auf wenig Gegenliebe stoßen.

Mit Material der dpa

Das sagt der VDMA zu Scholz' Indien-Plänen

Ulrich Ackermann, Abteilungsleiter Außenwirtschaft im VDMA (Bild: VDMA)

Der VDMA plädiert klar für ein EU-Freihandelsabkommen mit Indien. Ulrich Ackermann, Abteilungsleiter Außenwirtschaft im VDMA, sagt:

"Es ist sehr zu begrüßen, dass die Bundesregierung aus Anlass der Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen unter der deutschen Leitung von Bundeskanzler Scholz eine umfassende Indien-Position beschlossen hat. In dem immer komplexeren weltpolitischen Umfeld braucht Deutschland eine stärkere Zusammenarbeit mit maßgeblichen globalen Partnern.
Indien ist für die exportorientierte europäische Maschinenbauindustrie ein wichtiger Wachstumsmarkt und ein bedeutender Partner für das De-Risking von China. Zahlreiche Mitgliedsunternehmen bauen gerade ihre Geschäftsaktivitäten in Indien aus und investieren im erheblichen Umfang vor Ort.
Indien ist eines der letzten Hochzollländer im Maschinenbau. Deshalb brauchen wir endlich ein EU-Freihandelsabkommen mit Indien. Die EFTA hat im März 2024 ein entsprechendes Abkommen mit Indien unterzeichnet, das einen Zollabbau in fast allen Maschinenbaubereichen vorsieht. Daran sollte sich die EU orientieren.“

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dpa