Energiekrise 2022 / 2023 Schaubild

Die Gas- und Energiekrise hat die deutsche produzierende Wirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Jetzt gilt es, mit Blick in die Zukunft strategisch zu handeln. (Bild: Shutterstock)

Florian Ploner, Deloitte
Florian Ploner, Partner bei Deloitte Deutschland (Bild: Deloitte)

Aus dieser momentanen Ausgangslage können jedoch auch Chancen und neue Transformationskräfte entstehen. Denn parallel zur Gas- und Energiekrise stehen die produzierenden Unternehmen ohnehin vor einem langfristigen Umbauprozess in Richtung Nachhaltigkeit. Durch die Energiekrise erfährt dieser Prozess nun eine enorme Beschleunigung: Unternehmen müssen jetzt deutliche Schritte in Richtung Energieeffizienz tun. Im internationalen Vergleich hat Deutschland eine vergleichsweise energie- und kapitalintensive Wirtschaft mit einem hohen Anteil an Industrieproduktion; doch in den letzten zwei Dekaden wurde deutlich unterdurchschnittlich investiert. Das wird sich jetzt ändern.

Die globale Situation verändert sich

Thomas Schlaak, Deloitte Deutschland
Thomas Schlaak, Partner bei Deloitte Deutschland (Bild: Deloitte)

Gerade produzierende Unternehmen sollten darauf achten, dass neben den kurzfristigen, harten Maßnahmen auch die langfristige Perspektive in den Fokus zu nehmen. Konkret heißt das etwa für die Stahl- oder die Zementindustrie: Jetzt anstehende Investitionen in Energieeffizienz und Energiesicherheit müssen so ausgestaltet sein, dass sie bereits auf Zukunftsprodukte wie "Grüner Stahl" oder "Grüner Beton" einzahlen.

Um zu einem konkreten und auch für die Zukunft sinnvollen Krisenmaßnahmenplan zu kommen, sollte die Nachhaltigkeitsstrategie jetzt ganzheitlich hinterfragt werden. Es geht um eine dauerhafte Neuausrichtung auf einen zukünftigen Weltmarkt, der durch folgende Aspekte charakterisiert sein wird:

  • Energiekosten: Der künftige europäische Gaspreis wird dauerhaft in etwa um den Faktor zwei höher sein als vor der Krise. Die Zeit des günstigen Gases ist vorbei – auch Deutschland wird von nun an – vergleichbar mit Asien – LNG-Weltmarktpreise zahlen. Es wird zudem eine Weile dauern, bis sich der Gaspreis dauerhaft stabilisiert; möglicherweise bis nach dem Winter 2023/2024.
  • Regulierung: Die EU wird auf die Krise reagieren, ebenso wie andere Regionen rund um den Globus. Es wird international eine tiefer greifende/umfassendere Regulierung geben, mit der verschiedene Regionen ihre jeweiligen Industriestrategien zu stützen versuchen werden. Das geschieht im Großen, wie beim US-amerikanischen Inflation Reduction Act oder dem chinesischen Fünfjahresplan, aber auch auf regionaler Ebene. Ein deutsches Beispiel ist hier der geplante 250-MW-Netzspeicher in Baden-Württemberg. Diese Regulierungswelle wird starke Nachhaltigkeitselemente enthalten und die Standortbedingungen bis weit in die 2030er-Jahre mitbestimmen.
  • Nachfrage: Zu erwarten ist, dass sich auch die Nachfrage nach energieeffizienteren Produkten und Services in deutlich höherem Tempo verändert als bisher erwartet. Nachhaltige Kunden wollen nachhaltig einkaufen, weil sie nur dadurch ihre eigene Nachhaltigkeit sicherstellen können. Einige deutsche Unternehmen haben sich bereits heute auf diesen Nachfragewandel eingestellt und werben mit Produkten und Services, die den Kunden helfen, selbst nachhaltiger zu werden.
  • Geopolitik: Der Krieg in der Ukraine könnte dauerhafte Veränderungen der Exportsituation der deutschen Industrie zur Folge haben, wenn sich die Welt in eine "westliche" und eine "östliche" Front teilt. Russland wird nach Ende der Sanktionen auf absehbare Zeit ein schwacher Markt bleiben. China wird zunehmend isolationistisch, es gibt wachsende internationale Spannungen, nicht nur mit den USA, sondern auch innerhalb Südostasiens.

Die Transformation beginnt jetzt

Bei den meisten deutschen Unternehmen ist der erste Schritt zu mehr Nachhaltigkeit getan: Sie haben eine Ambition entwickelt und meist auch bereits erste Maßnahmen umgesetzt oder zumindest eingeleitet. Doch die aktuelle Energieversorgungskrise zwingt sie, diese Strategie noch einmal zu hinterfragen. Denn unter dem Brennglas der Krise kommen die großen Energieblöcke in die Diskussion und müssen jetzt – weit vor dem Plan und mit hoher Dringlichkeit – in Angriff genommen werden. Vier Themen stehen vor allem an:

  • Sicherer, kostengünstigerer Energiebezug: Energieintensive Branchen haben dauerhaft einen enormen Kostenblock zu stemmen. Kostensicherheit kann nur über langfristige Lieferverträge wieder erreicht werden; und die sind momentan nur schwer zu vernünftigen Konditionen möglich. Daher ist es für die meisten energieintensiven Unternehmen besser, sich noch nicht festzulegen und zu versuchen, flexibel und mit verschiedenen Energiequellen durch die Krise zu kommen. Wer nicht ganz so energiehungrig ist, plant nun häufig mit der Elektrifizierung; aber auch hier setzen die gestörten Lieferketten der Umrüstung enge Grenzen. Eigene Energieanlagen sind gerade für Mittelständler ein möglicher Weg der dauerhaften Entlastung. Dies bedingt jedoch langfristige Festlegungen, die das Unternehmen von künftigen Erholungen im Energiemarkt abkoppeln.
  • Prozesse energieärmer gestalten: Wo es möglich ist, sollten bereits geplante energetische Maßnahmen jetzt vorgezogen werden; auch hier setzen die aus dem Takt geratenen Lieferketten derzeit enge Grenzen. Manche Unternehmen können zusätzliche, kreative Einsparmöglichkeiten finden – etwa über energieärmer herzustellende Produkte oder eine gestraffte Produktpalette.
  • Neubewertung der Standortstrategie: Energieintensive Prozesse werden nicht in allen Fällen in Deutschland bleiben können. Die Energiewende wird Deutschland auch beim Strom zu einem Hochpreisland machen; und wo keine günstigen Direktlieferverträge möglich sind, macht eine konsequente Elektrifizierung nur dort finanziell Sinn, wo die Energieintensität gering ist. Dagegen ist zu erwarten, dass die Energiepreise in den USA weiterhin attraktiv bleiben werden. Auch andere Regionen wie Nordschweden oder Namibia könnten für energieintensive Produktionsprozesse interessant werden.
  • Beschäftigung mit dem Thema Regulierung: Die zu erwartende Regulierung wird je nach Branche Chancen eröffnen, die intensiv genutzt werden sollten. Dazu sollten die Gesetzesinitiativen der nächsten zwölf Monate genau geprüft werden, nicht nur auf Fördermöglichkeiten im Rahmen der Krisenhilfe, sondern auch bezüglich künftiger Marktchancen für nachhaltige Produkte und Leistungen sowie eventueller branchenbedingter Standortvorteile, auch im Ausland. Dazu sollten die Standortoptionen mithilfe von Szenarien durchgespielt und -gerechnet werden. Ebenso müssen die künftige Rolle Chinas für das weitere Wachstum des Unternehmens untersucht und entsprechende Schritte eingeleitet werden.

Die Gas- und Energiekrise hat die deutsche produzierende Wirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Doch gerade dadurch wird der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft einen großen Schub erfahren – das gilt international, aber besonders in Deutschland, wo der Handlungsbedarf am größten ist. Jetzt gilt es, mit Blick in die Zukunft strategisch zu handeln. Insbesondere der deutsche Mittelstand legt in dieser Krise die Grundlagen für die 2030er-Jahre – und wird hoffentlich Weltmarktführer in Sachen Nachhaltigkeit.

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