Um die Transformationsagenda zu bewältigen braucht es Veränderungen. -

Um die Transformationsagenda zu bewältigen, müssen Unternehmen der produzierenden Industrie sowohl ihr Wirtschaften als auch interne Abläufe verändern. Führungskräfte spielen dabei eine entscheidende Rolle. - (Bild: metamorworks - stock.adobe.com)

Die produzierende Industrie befindet sich in einem Prozess der radikalen Umbrüche. Klimawandel und Digitalisierung verändern schon seit einiger Zeit Althergebrachtes und die Corona-Pandemie schaltete einen zusätzlichen Turbo, der kein Zögern mehr zulässt. Unternehmen müssen bereit sein zum kompletten Umbau von Arbeitsweisen, Organisation und Abläufen.

Die Transformationsagenda ist lang und betrifft die gesamte Wertschöpfungskette sowie die Ökosystempartner über Unternehmensgrenzen hinweg. Es geht dabei nicht allein um die Art und Weise, wie Unternehmen künftig ihre Güter produzieren und extern operieren. Auch interne Prozesse ändern sich grundlegend. Führungskräfte und Belegschaft müssen im Rahmen der Digitalisierung dazu befähigt werden, die Transformationsagenda nicht nur zu begleiten, sondern den Weg Richtung Zukunft mitzugestalten. Nötig dafür ist eine veränderte Führungskultur. Es lohnt sich, einige der wichtigsten Felder dieses höchst komplexen Unterfangens genauer zu betrachten.

Video: Wie sich der Wandel in der Industrie bemerkbar macht

Die Experten Martin Neuhold (EY Partner, Industrial Products) und Christian Niederhagemann (CIO, GEA Group) berichten über Digitalisierung, Transformation und Wandel in der Unternehmenskultur. - Video: Ecki Diehl

Die Industrie erlebt einen massiven Wandel

Die nächsten Jahre bringen für die produzierende Industrie wahrscheinlich mehr Disruption als die vergangenen Jahrzehnte zusammengenommen. Digitalisierung und Automatisierung dürfen nicht länger als abstrakte Begriffe oder als Fernziele verstanden werden.

Der größte Nutzen dieser unaufhaltbaren Trends besteht nicht allein in gesteigerter Effizienz und Kostenvorteilen. Es gibt einen steinigeren, aber lukrativeren Weg zum Erfolg: Um nachhaltig von der Digitalisierung zu profitieren und sich von der weltweiten Konkurrenz abzusetzen, müssen Hersteller bereit sein, aktiv neuartige Geschäftsmodelle zu entwickeln. So können sie sich neue Umsatzpotenziale mit anderen Margenmodellen erschließen – Beispiele sind die gewinnbringende Nutzung von Big Data und die Vernetzung innerhalb von Business-Ökosystemen.

Durch bessere Auslastung und Effizienz lassen sich nicht nur Kosten, sondern auch Ressourcen sparen – und das ist zunehmend unverzichtbar angesichts des durch staatliche Regulierung verschärften Drängens auf Klimaschutz und CO2-Neutralität. Die Ziele Deutschlands und der EU, klimaneutral zu werden, sind ambitioniert. Doch der eingeschlagene Weg ist unumkehrbar, Nichtstun auch hier für Unternehmen keine Option.

Kreislaufwirtschaft als Chance und Herausforderung

Ein riesiger Schritt in Sachen Umweltverträglichkeit wäre es, wenn grundlegend und flächendeckend die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft gelten würden. Der Grüne Deal der EU – einer der ehrgeizigsten Pläne der Europäischen Kommission – soll den Weg dahin bereiten. Für Unternehmen stellt die Kreislaufwirtschaft zugleich eine großartige Entwicklungsmöglichkeit und eine Herausforderung dar.

Es geht darum, die Art und Weise, wie wir Güter produzieren und konsumieren, vollkommen neu zu gestalten. Das vorherrschende „Take, Make, Dispose“-Modell der Wegwerfwirtschaft ist nicht nur umweltschädlich, sondern auch nachteilig für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Ziel ist es, Materialverbrauch, -gewinnung und -verlust einzudämmen und gleichzeitig Wachstum zu generieren. Um die Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen, müssen wir heute handeln und ihre Prinzipien in jeder Branche und in jedem Sektor verankern. Anders lässt sich eine nachhaltige Wirtschaft in Europa nicht erreichen.

Lieferketten werden „glokalisiert“

Eine weitere zentrale Rolle spielt der Trend zum Backshoring – als Gegensatz zum Offshoring. Die Zeiten, in denen zunehmend globalisierte Lieferströme allein das Ziel der Kostenoptimierung verfolgten, sind vorbei. Offshoring führte in der Vergangenheit zu hohen, versteckten Lagerkosten und aufwendiger Koordination.

Lineare, fragmentierte Lieferketten sind für die heutige Dynamik und Schnelllebigkeit unserer Geschäftswelt zu langsam und nicht mehr zeitgemäß – das haben der Handelsstreit mit seinen Strafzöllen, die Coronavirus-Pandemie und Ereignisse wie die Blockade des Suezkanals deutlich vor Augen geführt. Im Gegensatz dazu beschreibt der Begriff „Glokalisierung“ eine Rückbesinnung auf den heimischen Markt und eine langsamere Taktung der Entwicklung. Aus linearen, globalisierten Wertschöpfungsketten wird eine ganze Reihe regionaler, zirkulärer Ökosysteme. In diesen wird nicht mehr zwangsläufig neuwertiges Material weit transportiert, um es einzusetzen. Stattdessen wird viel mehr vor Ort aufbereitet und wiederverwertet. Das trägt wiederum zur CO2-Vermeidung bei.

Neue Schwerpunkte bei der Führungskultur

Portrait von Martin Neuhold
Martin Neuhold, Partner, Industrial Products Leader, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. (Bild: Ernst & Young)

In Zukunft werden Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft und Glokalisierung sich noch viel mehr wechselseitig verstärken. Für produzierende Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erscheint diese Zukunft zunächst komplex und herausfordernd. Damit sie die vielen sich bietenden Chancen nutzen können, sind die Führungskräfte gefragt. Ihre Aufgabe ist es, die Potenziale zu erkennen und ihre Beschäftigten zuverlässig in das „New Normal“ zu führen.

Im Zuge dieser Transformation werden Rollen und Verantwortlichkeiten sich anpassen und neu ausrichten. Damit Homeoffice und hybrides Arbeiten funktionieren, müssen Führungskräfte sich vom Top-Down-Prinzip verabschieden. Das bedeutet nicht, alle Kontrolle aus der Hand zu geben. Nur gilt heutzutage nicht mehr, dass immer derselbe federführend ist. Führung funktioniert auch innerhalb von Teams und natürlich auch von der Belegschaft zur Führungsebene hin. Nötig sind neue, bessere Kommunikationswege und beiderseitiges Vertrauen.

EY Studie zeigt Wünsche der Beschäftigten

Portrait von Katia Steinbrink
Katia Steinbrink, Senior Managerin, People Advisory Services, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Bild: Ernst & Young)

In unserer aktuellen EY Studie „Zukunft der Arbeit“ haben wir evaluiert, wie Betroffene mit den aktuellen Veränderungen leben und was sie zukünftig erwarten. Dabei zeigte sich mitten in der Pandemie: Der überwiegende Teil der Befragten – nämlich 89 Prozent – ist zufrieden mit dem eigenen Arbeitsplatz. Vier von fünf Beschäftigten gefällt es im Homeoffice so gut, dass sie künftig gern zumindest phasenweise in dieser Form weiterarbeiten möchten.

Natürlich hat die Pandemie – ebenso wie die Digitalisierung – Aufbruchstimmung eingeläutet und neue Wege geebnet, aber leider auch Unsicherheit gebracht und vieles zerstört. So sehr dieses neue Kapitel der Arbeit eine große Chance darstellt, so bedeutet es auch eine radikale Veränderung unserer Welt, die viele als belastend erleben. Arbeiten von zu Hause etwa fällt nicht allen leicht. Manche brauchen einen Ansporn, um in diesem Setting voll aufzugehen. Eine Komfortzone muss geschaffen werden.

Etwa die Hälfte der Befragten in unserer Studie gaben an, sich eine Führungsperson zu wünschen, die Motivation und Expertise ausstrahlt – aber auch empathisch ist. Das heißt: Gefühle, Schwierigkeiten und Ängste der Mitarbeitenden nicht nur tolerieren, sondern ihnen mit Offenheit begegnen. Lösungen schaffen und dem anderen das Gefühl geben, wahrhaftig gehört und verstanden zu werden – das ist wichtig und wird immer wichtiger.

Ohne direkten Austausch geht es nicht

Ausschließlich Homeoffice wäre übrigens für viele langfristig auch keine ideale Lösung. Fast 47 Prozent der Befragten fürchten den mangelnden Austausch im Team bei einer ausschließlichen Tätigkeit im Homeoffice.

Eine besondere Herausforderung in der produzierenden Industrie sind die verschiedenen Arbeitsmodelle innerhalb der Unternehmen. Pointiert gesagt: Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer mussten während der Pandemie ungeschützt am Fließband arbeiten, während Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter gemütlich zu Hause die Laptops aufklappten. Daraus sollte man aber keine strikte Trennung von Blue und White Collar ableiten. Auch hier ist es der gemeinsame Austausch innerhalb der Belegschaft, der Innovation und kontinuierliche Verbesserung fördert – durch Lernen mit- und voneinander.

Umso wichtiger ist es für Führungskräfte, sich tatsächliche Prozesse anzusehen und die Arbeit zu verstehen, die vor Ort verrichtet wird. „Behind the scenes“-Einblicke sind unerlässlich, wenn es darum geht, die richtigen Fragen zu stellen und von denjenigen zu lernen, die in der Produktion zentrale Arbeit erledigen. Es ist auch eine Frage des Respekts, denn ohne Blue Collar hätte die White-Collar-Fraktion keine Produkte im Portfolio. Die Wertströme eines Unternehmens müssen im Kollektiv verstanden werden, anstatt sich lediglich an KPIs aufzuhängen. Es gilt, in Ökosystemen zu denken statt in Puzzleteilen.

Wie wir zukünftig miteinander arbeiten, hat sich verändert und wird sich auch weiterhin verändern. In der Post-Pandemie-Welt muss ein anderes Verständnis von Führung gelten. Je umwälzender die Transformationen sind, desto wichtiger für die Zusammenarbeit werden Vertrauen, Miteinander und Füreinander. Erfolgreiche Unternehmen brauchen Mitarbeitende, die mitziehen – denn ohne sie funktioniert Wandel einfach nicht. Die Zukunft bietet viele Chancen, aber wir müssen sie jetzt auch nutzen.

Infobox

Ein Video-Interview mit Martin Neuhold, EY und Christian Niederhagemann, GEA Group AG, auf dem Maschinenbaugipfel sehen Sie weiter oben im Beitrag oder auf YouTube.

 

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