Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie ist eine der wichtigsten Branchen des Landes und steht vor Herausforderungen. Grund genug für ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel, mit unseren Chefredakteuren Claus Wilk und Stefan Weinzierl exklusiv und ausführlich über China, die USA, Bürokratie. Bürokratie, Lieferketten und Welthandel zu sprechen. Als CEO von Pepperl + Fuchs berichtet er auch aus der Praxis.
Im exklusiven Chefredakteurs-Interview mit den Claus Wilk und Stefan Weinzierl, den Chefredakteuren von mi-connect, gewährt Dr. Gunther Kegel, Präsident des ZVEI und Vorstandsvorsitzender von Pepperl + Fuchs, tiefe Einblicke in die gegenwärtigen Herausforderungen und Zukunftsperspektiven der deutschen Elektro- und Digitalindustrie. Dabei spricht er sowohl über konjunkturelle Entwicklungen, die geopolitischen Spannungen als auch über strukturelle Probleme, die vor allem durch bürokratische Hürden und globale Lieferketten verursacht werden.
Elektroindustrie: Wirtschaftliche Gegenwinde und Wachstumsherausforderungen
Dr. Kegel schildert eingehend die gegenwärtige Situation der Elektroindustrie: „Die Elektro- und Digitalindustrie, die eigentlich erfolgs- und wachstumsverwöhnt ist, legt momentan das zweite Jahr in Folge eine echte Wachstumspause ein“, erklärt er. Er verweist darauf, dass insbesondere die Investitionsgüterindustrie und die Bauelementeproduktion in einer Phase rückläufiger Auftragseingänge stecken. So hätten sich die Auftragseingänge in 2024 nicht wie erwartet erholt und man sei mit einem „relativ schwachen Auftragseingangspolster ins Jahr 2025 gestartet“. Trotz der schwierigen Marktsituation sieht Dr. Kegel jedoch Chancen, wenn die Elektro-Unternehmen es schafften, die Kurve zu kriegen, um in 2025 eine deutliche Verbesserung zu erzielen.
Im internationalen Vergleich spielt der chinesische Markt eine zentrale Rolle. Einstmals seien in China enorme Wachstumsraten von bis zu 60 Prozent erzielt worden. Aber die Zeit und die Coronakrise hätten auch auf dem chinesischen Markt ihre Spuren hinterlassen. „China ist dann nicht mehr richtig in den Tritt gekommen“, sagt Dr. Kegel. Diese Entwicklung sei für die deutschen Unternehmen ein deutlicher Hinweis, dass sie im globalen Wettbewerb auf neue Strategien setzen müssen.
Lokalisierung und Unabhängigkeit im chinesischen Markt
Geht es nach dem ZVEI-Präsidenten, sollten Unternehmen den Ansatz verfolgen, ihre Geschäfte in China eigenständiger zu gestalten. „Jedes Unternehmen ist im Moment aufgefordert, sich für China neue Gedanken zu machen“, so Kegel, der unter dem Stichwort „China for China“ die Notwendigkeit betont, sich von Importabhängigkeiten zu lösen. Er verweist darauf, dass es vor allem darauf ankommt, den eigenen Anteil an Wertschöpfung und – was in Zukunft noch wichtiger werden könnte – auch an „intellectual property“ in China aufzubauen. Dabei differenziert er: „Ob das ausreicht oder ob China langfristig sogar erwartet, dass die Entwicklung der Produkte ebenfalls in China stattfindet, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.“
Sein eigenes Unternehmen, Pepperl + Fuchs, habe bislang bewusst auf eine Produktion in China verzichtet: „Wir haben nie in China produziert, sondern wir haben Wertschöpfung immer in Südostasien betrieben“, betont Dr. Kegel. Diese Entscheidung sei strategisch motiviert, um Handelsbeschränkungen und geopolitischen Risiken zu entgehen. Dennoch stelle sich die Frage, ob für den chinesischen Markt eine eigene Produktentwicklung notwendig sei. Hierbei bleibt Kegel pragmatisch: „Wir haben da zwar Produktmanagement – Menschen, die uns sagen, was wir entwickeln wollen – aber die Entwicklung findet noch außerhalb Chinas statt.“
Energiepolitik, Bürokratie und ihre Folgen
Ein weiteres wichtiges Thema für den ZVEI-Präsidenten ist die Energiepolitik und die damit verbundenen Herausforderungen. Dr. Kegel kritisiert scharf, dass der Strompreis – gerade in einem Sektor, in dem Strom als bevorzugter Energieträger für die Zukunft gelten sollte – derzeit auf einem zu hohen Niveau liege. Er fragt: „Wie kriegen wir den Strompreis für alle nach unten?“ Dabei verweist er auf die Notwendigkeit, marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, statt ausschließlich auf Subventionen zu setzen. „Es muss der Markt alleine irgendwann begreifen, dass wenn ich meine Heizung neu baue, ich auf eine Wärmepumpe umsteige – das ist viel billiger“, so Kegel, der damit den Grundgedanken einer nachhaltigen Energiepolitik unterstreicht.
Ein weiterer Kritikpunkt des Branchenexperten ist die allgegenwärtige Bürokratie. Laut Dr. Kegel habe sich der „Gestaltungsdetailwille“ der europäischen Regulierungsbehörden in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Er führt aus: „Wir haben in den letzten Jahren fast 13.000 neue Gesetze und Verordnungen aus Brüssel bekommen“, was einen erheblichen Einfluss auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie habe. Das gipfele aktuell darin, dass allein in seinem Haus 15 Mitarbeiter ausschließlich mit Compliance-Themen beschäftigt sind. „Das sind intelligente Menschen, die einen tollen Job machen, aber sie arbeiten nicht im Wertschöpfungsprozess“, bemängelt er. Eindringlich appelliert Dr. Kegel: „Man muss sich fragen, ob wir wirklich jeden einzelnen Datenpunkt bedienen müssen – manchmal muss man einfach mal mit bürgerlichem Ungehorsam sagen: ‚Das machen wir jetzt nicht.‘“
Globale Lieferketten, Handelskonflikte und die Zukunft der Industrie
Auch die globale Arbeitsteilung und internationale Lieferketten sind ein zentrales Thema für Kegel. Die Supply Chain in der Elektrotechnik sei komplex: „Jeder Chip, den wir verbauen, hat schon Senatorstatus bei den Fluglinien – er ist auf mehreren Kontinenten unterwegs.“ Die starke Vernetzung mache es nahezu unmöglich, einzelne Produkte ausschließlich aus einem einzigen Handelsraum zu beziehen. Gerade in Zeiten von Handelskonflikten und protektionistischen Maßnahmen, etwa durch angekündigte Zölle seitens der USA, sehe er die Gefahr, dass die Innovationskraft der Industrie massiv behindert wird. „Wenn wir in jeden einzelnen Schritt Zölle und Handelsbarrieren einbauen, wird das die Innovationsgeschwindigkeit erheblich schwächen“, warnt er.
Dr. Kegel räumt ein, dass ein vollständiger Rückzug aus dem globalen Handel – wie der Aufbau eigener Werke in den USA – nur bedingt realistisch sei. Zwar investierten viele Unternehmen bereits in Vertriebsniederlassungen und Produktionsstandorte in den USA, jedoch müsse sich die deutsche Elektro- und Digitalindustrie ihrer Stärken – der schnellen Innovationskraft und Skalierung – bewusst bleiben. „Die amerikanischen Hersteller sind in der Regel nicht in der Lage, mit unserer globalen Aufstellung der Lieferketten mitzuhalten“, so Kegel, der damit unterstreicht, wie eng die Branche international vernetzt ist.
Perspektiven und Forderungen an Politik und Wirtschaft
Abschließend richtet Dr. Kegel seinen Blick in die Zukunft der deutschen Industrie. Er betont, dass die Megatrends Digitalisierung, Automatisierung und Elektrifizierung nach wie vor intakt seien. Dennoch müsse Europa grundlegende strukturelle Herausforderungen meistern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Es ist unerlässlich, dass wir als europäischer Block Barrieren innerhalb des Binnenmarktes abbauen – sei es in Bezug auf die Umsatzsteuer oder bei umweltspezifischen Auflagen“, erläutert er. Er mahnt, dass politische Entscheidungsträger künftig mutigere, auch disruptivere Maßnahmen ergreifen müssen: „Wir müssen disruptiv denken und auch Dinge aufgeben, die uns lieb geworden sind, wenn wir nicht Gefahr laufen, unseren Wohlstand zu gefährden.“
Der ZVEI-Präsident blickt allen Herausforderungen zum Trotz positiv in die Zukunft. Er ist überzeugt, dass sich die deutsche Elektro- und Digitalindustrie wieder aufrichten wird, sofern die Politik eine klare und konsequente Strategie verfolgt. „Ich bin ganz optimistisch, dass wir wieder da sein werden, wo wir zu Beginn dieses Jahrzehnts standen – mit kerngesunden Unternehmen, die weltmarktführend sind“, resümiert er abschließend.
Die Elektroindustrie steht an einem Scheideweg: Zwischen internationalen Herausforderungen, veränderten politischen Rahmenbedingungen und der Notwendigkeit, innovativ und flexibel zu bleiben, wird der deutsche Elektro- und Digitalsektor in den kommenden Jahren vor fundamentalen Aufgaben stehen. Dem ZVEI-Präsidenten geht es – das wird deutlich - nicht nur um kurzfristige wirtschaftliche Schwankungen, sondern um grundlegende Fragen der Globalisierung, der Energiepolitik und der europäischen Wirtschaftsordnung. Dr. Kegel macht unmissverständlich klar: „Es gibt keine einfache Lösung, aber wir müssen alle gemeinsam – Politik und Wirtschaft – diesen Herausforderungen begegnen.“