Wirtschaft

20. Jun. 2025 | 07:23 Uhr | von Claus Wilk

Interview

Globale Krisen: Wie der Maschinenbau jetzt reagieren sollte

Globale Unsicherheiten, sprunghafte Regulierungen und fragiles Sourcing bringen den Maschinenbau an seine Belastungsgrenze. Doch neue Wege zeichnen sich ab. Ein Interview mit Oliver Bendig, Leiter der Industrie-Beratung bei Deloitte.

Welche Risiken gefährden den Maschinenbau – und welche Strategien helfen inmitten geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten?

Welche Risiken gefährden den Maschinenbau – und welche Strategien helfen inmitten geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten? (Bild: K.Mongkol - stock.adobe.com)

Herr Bendig, wir befinden uns in einer Phase multipler Probleme für die deutsche Industrie und damit auch für den Maschinenbau. Was sorgt momentan für die meiste Unruhe und Nervosität?

Oliver Bendig: Ganz eindeutig die Unsicherheit und Sprunghaftigkeit bei den Rahmenbedingungen. Gerade im Maschinenbau mit seinen langen Investitionszyklen – eine klassische Maschine ist fünf, zehn, teilweise bis zu 50 Jahre im Feld – haben wir über Jahrzehnte von der Verlässlichkeit der deutschen Politik, der langfristigen Orientierung unseres häufig inhabergeführten „German Mittelstandes“ und damit unserer Stellung als Fels in der Brandung der weltweiten Wirtschaftszyklen profitiert.

Grundlegende Veränderungen, zum Beispiel in der Handelspolitik oder der Regulatorik, schaffen heute ein völlig neues Umfeld. Die Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen haben jetzt eine Halbwertszeit, die kürzer ist als der Entwicklungszyklus der nächsten Produktvariante. Das sind schon sehr fundamentale Veränderungen, nicht nur für den Maschinebau, aber hier ganz besonders.

Der Maschinenbau hat oft genug gezeigt, dass er sich immer wieder neu erfinden kann. Aber nicht im Rhythmus wechselnder Jahreszeiten, sondern mit einem klaren, langfristig orientierten Kurs.

Als Partner und Leiter der Industrie-Beratung bei Deloitte hat Oliver Bendig mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Strategieentwicklung und -umsetzung. Sein Fokus liegt auf Wachstumsprogrammen, dem Ausbau des industriellen Servicegeschäfts und der Begleitung digitaler Transformationen.
(Bild: Deloitte)

Als Partner und Leiter der Industrie-Beratung bei Deloitte hat Oliver Bendig mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Strategieentwicklung und -umsetzung. Sein Fokus liegt auf Wachstumsprogrammen, dem Ausbau des industriellen Servicegeschäfts und der Begleitung digitaler Transformationen.

Wie muss ich mich insbesondere als Mittelständler aufstellen, um Zöllen, KI, Lieferketten und allen anderen Unabwägbarkeiten adäquat zu begegnen?

Bendig: Grundsätzlich gilt, dass jedes Unternehmen sich mit all diesen Themen und Neuerungen intensiv beschäftigen muss. Aber man kann auch nicht bei jeder Party dabei sein, also gilt es das Dringende vom Wichtigen zu trennen und sich nicht zu verzetteln. Viele Mittelständler haben weder die Kapazität noch die finanziellen Mittel immer und überall dabei zu sein. Sie sollten KI nicht als Wildwuchs betreiben, sondern neue Technologien gezielt einsetzen, zum Beispiel im Kundenservice, um ihre Marge zu stärken, in der Produktentwicklung, um Komplexität zu reduzieren oder in den sogenannten „Enabling Services“, um Effizienzen zu heben.

Werden wir doch konkret: Wie würden Sie unter Berücksichtigung der politischen und ökonomischen Umgebungsparameter denn beispielsweise das Sourcing gestalten?

Bendig: Auch hier gilt: Verlässlichkeit und Planbarkeit sind entscheidend. Was hilft es, das gesamte Einkaufsvolumen für wichtige Komponenten des Fertigungsprozesses auf einen Lieferanten, womöglich noch mit Produktionskapazitäten in einer Region, zu konzentrieren, um Kosten bis auf den letzten Prozentpunkt zu optimieren? Gerade in der aktuellen Situation kann eine solche Entscheidung die Produktionskapazitäten lahmlegen, die Lieferfähigkeit gefährden und zum Verlust von Lieferverträgen führen.

Zunächst gilt es volle Transparenz zu schaffen über vorhandene Vorprodukte und Rohstoffe, auch unter Berücksichtigung bestehender und zukünftiger Lieferverpflichtungen. Dann sollte man aktuelle und – in unterschiedlichen Szenarien – mögliche weitere Engpässe identifizieren.

Auf dieser Basis gilt es dann, das Lieferantennetzwerk zu hinterfragen: Wie kann ich im Falle etwaiger Engpässe das Volumen shiften? Welcher meiner Lieferanten könnte gegebenenfalls seine Kapazitäten kurzfristig erhöhen? Gibt es auch alternative sogenannte „Near-Shore“-Lieferanten in Europa? Bei Allem muss gelten: Konkurrenzfähige Einkaufspreise stehen außer Frage, aber Flexibilität und Verlässlichkeit, um in unsicheren Zeiten agieren zu können, hat ihren Preis. Der billigste Preis war noch selten der beste Preis.

Digitaler Thementalk: Maschinenbau in unsicheren Zeiten: Wegweiser für die Branche

Digitaler Thementalk
(Bild: Pavel-stock.adobe.com)

In unserem Thementalk zum Thema „Zwischen Krisen und Zöllen: Wegweiser für den Maschinenbau in geopolitisch volatilen Zeiten“ diskutieren drei ausgewiesene Experten, wie Sie auf die aktuellen geopolitischen Entwicklungen reagieren können – praxisnah, vorausschauend und lösungsorientiert.

 

Seien Sie am 30. Juli um 11 Uhr live mit dabei!

 

Das sind die Experten:

  • Oliver Bendig, Leiter Industrial Products & Construction bei Deloitte
  • Dr. Sebastian Göbel, Geschäftsführer Technik bei Boge

 

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Welche Märkte – sowohl nach Branchen als auch Regionen – sollten Maschinenbauer genauer unter die Lupe nehmen?

Bendig: Sie werden nicht umhinkommen, Strategien für mehr als eine Region und mehr als einen Markt zu entwickeln. Europa birgt erhebliche Chancen, ein Bürokratieabbau könnte das Exportwachstum selbst in große Märkte wie Frankreich oder die Niederlande beflügeln. China wird für die deutsche Industrie insgesamt und auf lange Sicht wahrscheinlich wieder an Bedeutung gewinnen. Aber auch kleinere asiatische Märkte wie Vietnam oder die Philippinen bergen ein erhebliches Potenzial für die deutschen Industrieunternehmen. Hier hängt allerdings viel von den handelspolitischen Entwicklungen der kommenden Monate und Jahre ab.

Wie wirkt sich ein strategischerer Ansatz in dieser Hinsicht ggf. auf die Produktstruktur aus?

Bendig: Die Unternehmen sind gut beraten, in der Region für die Region zu produzieren. Anforderungen der Kunden unterscheiden sich eben doch – eine deutsche Premiummaschine, die bei uns Standard ist, wird in anderen Teilen der Welt nicht immer benötigt. Das soll nicht heißen, dass deutsche Unternehmen ihren Anspruch an Qualität aufgeben sollten. Aber oftmals reichen eben doch „lower specs maschines“, wohlgemerkt at high quality.

Dabei wird es zunehmend auch wichtig die Produkte in der Region zu entwickeln, zu produzieren und zu vertreiben. Die Zeiten, in denen deutsche Ingenieure in München, Erlangen oder Wolfsburg hochwertige Produkte entwickeln können, sind passe - häufig sind lokale Teams in China oder Thailand schneller und sogar kundenorientierter.

Dabei wird es zunehmend wichtig, Produktionskapazitäten auch so zu konzipieren, dass in Fällen globaler Verwerfung oder Gefahren Produktionen auch flexibel im Produktionsnetzwerk verlagert werden können.

Lapp-Vorstand Hubertus Breier über Innovationen und Industrie 5.0

Last not least: Die Welt hofft auf eine Beendigung des Ukraine-Kriegs. Damit verbunden ist der Wiederaufbau des Landes. Welche Möglichkeiten sehen Sie für den deutschen Maschinenbau, dort an Lösungen mitzuwirken?

Bendig: Wir alle wünschen den Menschen, die unter diesem Krieg leiden, ein Leben in Freiheit und Frieden, ohne Gefahr für Leib und Leben. Ich bin Optimist, dieser Zeitpunkt wird hoffentlich bald kommen und dann gilt es, die Ukraine wieder aufzubauen. Darauf sollte der Maschinenbau vorbereitet sein.

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(Bild: mi-connect)

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