Wer den Livestream des Autobauers Daimler aus der Stuttgarter Carl-Benz-Arena verfolgte, bekam vom aufgestauten Unmut der Kritiker kaum etwas mit. Kein Raunen, keine Zwischenrufe, keine deftigen Gegenreden: Die Corona-Pandemie brachte es mit sich, dass der Konzern bei seiner Hauptversammlung am Mittwoch auch missliebige Meinungen bis zu einem gewissen Grad einfach vom Ort des Geschehens herausfiltern konnte. Aus Infektionsschutzgründen waren Anteilseigner vor die heimischen Bildschirme verbannt worden, hatten ihre Fragen nur vorab einreichen können. Die wurden knapp, zügig, emotionslos beantwortet und dann ad acta gelegt.
Also alles prima bei Daimler? Nicht unbedingt. Ja, die Bilanz des abgelaufenen Jahres liest sich angesichts der Corona-Pandemie vergleichsweise gut, auch im ersten Quartal 2021 liefen die Geschäfte nach Konzernangaben vielversprechend. Zudem hat die lange schleppende Transformation von Verbrennungs- hin zur Elektromotoren inzwischen Fahrt aufgenommen. So will der Konzern das für 2039 gesteckte Ziel einer CO2-neutralen Pkw-Neuwagenflotte nun auch schon "früher" erreichen, wie es neuerdings ohne weitere Details heißt. Im Fokus steht aber aktuell die umstrittene Dividendenpolitik des Konzerns.
Es ist ein Vorwurf mit politischer Sprengkraft. Daimler hatte im vergangenen Jahr durch Kurzarbeitergeld konzernweit rund 700 Millionen Euro eingespart - und erhöhte dennoch die Ausschüttungen an seine Anteilseigner um 50 Prozent auf 1,35 Euro pro Aktie. Insgesamt fließen so 1,4 Milliarden Euro an die Aktionäre. Gesetzlich ist dieses Vorgehen kaum angreifbar, aber wie sieht es ethisch aus?
Demonstranten fordern "Lockdown für Dividenden"
Die Interessenvertretung Bürgerbewegung Finanzwende bezeichnete die Maßnahme als "moralisch verwerflich". Im Ergebnis würden so Steuergelder, die Beschäftigung sichern und Pleiten verhindern sollten, als Gewinnausschüttungen an Aktionäre weitergeleitet. In Berlin umwickelten Demonstranten einen Mercedes mit weiß-rotem Absperrband und hielten Plakate mit Aufschriften wie "Keine Staatshilfen an Aktionäre" sowie "Lockdown für Dividenden" hoch.
Der scheidende Daimler-Aufsichtsratschef Manfred Bischoff, der sein Amt nach der Hauptversammlung wie angekündigt an den Ex-VW- und BMW-Chef Bernd Pischetsrieder abgab, wies die Vorwürfe zurück. "Die Unterstellung, dass die Dividende ausbezahlt würde aus Steuergeldern, die wir als Subventionen in der Krise erhalten haben, ist schlicht und einfach falsch", sagte er.
Beim Kurzarbeitergeld handle es sich um eine Versicherungsleistung aus der Arbeitslosenkasse. Das passt zur Argumentationslinie von Vorstandschef Ola Källenius, der zuletzt obendrein darauf verwiesen hatte, dass Daimler in die Arbeitslosenkasse ja lange auch viel Geld eingezahlt hat.
Kritiker lassen das nicht gelten, schließlich werde das Kurzarbeitergeld mittlerweile auch in erheblichem Maße durch Steuergelder bezuschusst. Der Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi sagte, coronabedingte Kurzarbeit sei angesichts des Finanzbedarfs längst keine Versicherungsleistung mehr. "Es kann nicht angehen, dass Staatsgelder an Aktionäre weitergereicht werden. Wo der Staat hilft und Unternehmen rettet, braucht es einen Dividendenlockdown."
Dividendenvorschlag wurde abgenickt
Die Umweltorganisation BUND verwies zudem darauf, dass Daimler abseits des Kurzarbeitergeldes und der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 auch erheblich von Kaufbeihilfen für Plug-in-Hybride und Elektroautos profitiert habe. Die erhöhte Dividende sei so wesentlich "von der Belegschaft und den Steuerzahlenden mitfinanziert" worden.
Daimler-Finanzvorstand Harald Wilhelm sagte, man sei sich zwar den aktuellen Diskussionen bewusst. "Wir sind uns aber auch darüber im Klaren, wie wichtig die Dividende für die Aktionäre als Eigentümer unseres Unternehmens ist." Er erwähnte beispielsweise institutionelle Pensionsfonds, die auch zu den Anteilseignern gehörten und die für die Alterssicherung vieler Menschen zuständig seien. "Rentner und Pensionäre sind auf die Liquiditätszuflüsse durch Dividenden und Ausschüttungen angewiesen", kommentierte Wilhelm. Zudem sei es gängige Politik bei Daimler, rund 40 Prozent des jährlichen Nettogewinns an die Aktionäre auszuschütten.
Der Dividendenvorschlag des Vorstands wurde letztlich auch von der Hauptversammlung abgenickt - was angesichts der Mehrheitsverhältnisse sowieso nicht infrage gestanden hatte. Schließlich sind Privatanleger nur im Besitz von gut einem Fünftel aller Daimler-Aktien, und auch in diesem Kreis nahmen viele die erhöhte Dividende dankend mit.
Ob das Vorgehen Daimler nach dem Diesel-Skandal weitere Reputation in der Bevölkerung kosten könnte, ist eine andere, aber ebenso wichtige Frage. Der Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, Markus Dufner, befand: "Durch die Erhöhung der Dividende inmitten der Corona-Pandemie zeigt sich die Daimler AG ignorant für die gesamtgesellschaftliche Stimmung."