Die 15. Fachtagung „Technische Sauberkeit“ machte deutlich: Die Branche denkt weiter – in Prozessen, Standards und Technologien.

Die 15. Fachtagung „Technische Sauberkeit“ machte deutlich: Die Branche denkt weiter – in Prozessen, Standards und Technologien. (Bild: Produktion - Weinzierl)

Technische Sauberkeit entwickelt sich zunehmend vom Spezialgebiet zur strategischen Schlüsselkompetenz der Industrie. Dies wurde bei der 15. Fachtagung „Technische Sauberkeit in Montage- und Produktionsprozessen“ deutlich, zu der sich zahlreiche Fach- und Führungskräfte im vollbesetzten Congress & Event Center in Heidenheim versammelten. In Vorträgen, Diskussionen und Workshops stand die Sauberkeit als Qualitäts-, Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsfaktor im Fokus – von der Mikroskopie bis zur Montagehalle, von der E-Mobilität bis zur optischen Hochtechnologie.

Normen weiterentwickeln – Standards schaffen

Ein zentrales Thema der Tagung war die Weiterentwicklung des VDA Band 19.1, der als Normenwerk die Grundlage für Partikelanalysen in der Fertigung bildet. Dr.-Ing. Markus Rochowicz vom Fraunhofer IPA präsentierte die wichtigsten Neuerungen, darunter methodische Anpassungen bei Extraktion und Partikelklassifizierung, Anforderungen an Reproduzierbarkeit und die stärkere Berücksichtigung von Fasern. Die Norm dient heute als Referenzrahmen für eine Vielzahl industrieller Prozesse – doch mit dem Wandel der Technologien steigen auch die Anforderungen an sie.

Parallel dazu wurde die unternehmensinterne Norm N33 9.9 der Robert Bosch GmbH vorgestellt. Jürgen Krappmann und Sebastian von Kersten erläuterten das zugehörige „TecSa-Konzept“, das Sauberkeit als ganzheitlichen Prozess betrachtet. Ziel ist eine systematische Steuerung von Sauberkeitsanforderungen über die gesamte Wertschöpfungskette – von der Entwicklung über die Fertigung bis zur Logistik. Interdisziplinäre Coreteams tragen hierbei Verantwortung für die Umsetzung und Weiterentwicklung.

Elektromobilität als Treiber für neue Anforderungen

Kaum ein Thema beschäftigte die Teilnehmer intensiver als die Auswirkungen der Elektromobilität auf die Technische Sauberkeit. In mehreren Beiträgen wurde deutlich, dass elektrische Systeme deutlich empfindlicher auf Verunreinigungen reagieren als klassische Antriebstechnologien. So betonte Daniel Zwick (Volkswagen AG) die gestiegenen Anforderungen an die Fertigung elektrischer Komponenten, insbesondere im Hinblick auf leitfähige oder isolierende Partikel.

Einen besonderen Schwerpunkt bildete die Diskussion um faserförmige Partikel. Diese gelten als besonders kritisch, da sie – abhängig von Länge, Form und Material – die Isolation durchbrechen oder zu Kurzschlüssen führen können. Dr.-Ing. Rochowicz stellte Grundlagen und Herausforderungen dar, Dr.-Ing. Helmut Schweigart (ZESTRON Europe) ergänzte dies durch eine analytische Betrachtung zur Ableitung von Grenzwerten für Partikel und Fasern bei Hochvoltkomponenten.

Die Podiumsdiskussion unter Leitung von Andreas Großmann vereinte Perspektiven aus OEMs, Zulieferindustrie und Forschung. Dabei wurde deutlich: Es braucht einheitlichere Definitionen, valide Prüfansätze und wirtschaftlich tragbare Strategien – bei gleichzeitig wachsender Verantwortung für Produktsicherheit.

Analytik im Wandel: KI, REM und Whisker

Der zweite große Themenblock der Tagung widmete sich den technologischen Fortschritten in der Partikelanalytik. Dr. Jati Kastanja (Carl Zeiss Microscopy GmbH) und Yasemin Müller (CleanControlling GmbH) zeigten eindrucksvoll, wie künstliche Intelligenz die mikroskopische Analyse automatisiert und optimiert. Durch gezielte Einlernprozeduren erkennt das System typische Partikelformen und reduziert so Auswertezeiten und subjektive Fehlerquellen – ein bedeutender Schritt Richtung Effizienz und Standardisierung.

Ergänzend dazu untersuchte Andreas Peetz (Schaeffler Technologies), wie sich die Ergebnisse von REM-Analysen (Rasterelektronenmikroskopie) zwischen unterschiedlichen Einrichtungen vergleichen lassen. Seine Ausführungen machten deutlich, wie stark Ergebnisse von präanalytischen Parametern wie Filterwahl oder Beschichtung abhängen – und wie wichtig es ist, diese Parameter zu standardisieren.

Mit einem Spezialthema rundete Thomas Rosemann (Brose Fahrzeugteile) das Analytik-Panel ab: Er stellte ein neues Verfahren zur Whisker-Detektion mittels automatisierter REM-Analyse vor. Whisker – haarfeine Metallauswüchse – sind in elektrischen Baugruppen gefürchtet, da sie latente Kurzschlüsse verursachen können. Die vorgestellte Methode kombiniert VDA19.1-Werkzeuge mit gezielter Automatisierung zur Frühdetektion dieser Partikelform.

Erfahrungswissen aus der Praxis

Einen Erfahrungsbericht der besonderen Art lieferte Holger Brachmann (ZF Friedrichshafen AG), der auf „10 Jahre TecSa mit Gewinn“ zurückblickte. Aus Sicht eines langjährigen Anwenders schilderte er, wie TecSa-Prüfungen zunächst skeptisch betrachtet, später aber zu Treibern der Qualitätsoptimierung wurden. Besonders betonte er die Integration von Laborwissen in den Montagealltag – ein Kulturwandel, der viel Schulung, aber noch mehr Überzeugungskraft erforderte.

Ebenso praxisorientiert war der Beitrag von Jürgen Jenner (MANN & HUMMEL GmbH), der die Herausforderungen von TecSa in der Vorserie aufzeigte. In der Übergangsphase zwischen Entwicklung und Serienfertigung sei es entscheidend, Sauberkeitsziele frühzeitig realistisch zu definieren und gemeinsam mit Lieferanten umzusetzen. Seine Analyse machte klar: Wer in der Musterphase sauber denkt, spart später Aufwand und Kosten.

Von der Lithografie bis zur Verpackung: Vielfalt der Anwendungen

Wie hoch Reinheitsanforderungen außerhalb der Automobilindustrie sein können, zeigte Dr. Martin Nalbach (Carl Zeiss SMT GmbH) am Beispiel der Herstellung von EUV-Lithografieoptiken. Die extrem empfindlichen Spiegel erfordern Sauberkeit auf molekularer Ebene. Die Prozesse bei ZEISS, so Nalbach, reichen von Reinraumtechnik über Oberflächenanalyse bis hin zu ausgeklügelten Reinigungssystemen – ein Maßstab für technische Präzision.

Gleichzeitig wurde in Workshops zu Verpackung, Logistik und Reinigung deutlich, wie entscheidend scheinbar „banale“ Themen für die Umsetzung von Sauberkeitsanforderungen sind. Ob Waschrate, Prozesskette oder Transportweg: Die Verpackung entscheidet oft über die Qualität beim Kunden.

Sauberkeit als Zukunftskompetenz

Die 15. Fachtagung „Technische Sauberkeit“ machte deutlich: Die Branche denkt weiter – in Prozessen, Standards und Technologien. Die Beiträge zeigten, dass Sauberkeit nicht am Labortisch endet, sondern als strategische Unternehmensaufgabe verstanden werden muss. In Zeiten wachsender Komplexität, regulatorischer Vorgaben und empfindlicher Systeme ist sie Voraussetzung für Qualität, Sicherheit und Kundenzufriedenheit.

Mit hochkarätigen Vorträgen, intensiven Diskussionen und praktischen Workshops setzte die Tagung ein starkes Zeichen: Wer morgen erfolgreich produzieren will, muss heute schon sauber denken – und handeln.

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