Das Verhältnis zu Europa hat in der Amtszeit des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump enorm gelitten - unter Nachfolger Joe Biden kann es eigentlich nur besser werden. Auch bei den wirtschaftlichen Beziehungen liegt vieles im Argen. Besonders die von Trump mit seiner "Amerika zuerst"-Politik angezettelten Handelskonflikte sorgten für große Verstimmung. Nach vier Jahren mit Drohgebärden, Gepolter und Chaos ist die Hoffnung auf einen Neuanfang groß. Doch ist Biden tatsächlich der ersehnte Heilsbringer?
"Eine 180-Grad-Wende ist auch mit dem neuen Präsidenten nicht zu erwarten", warnt Experte Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Biden werde sich zwar an internationale Regeln halten, weniger drohen und verlässlicher sein als Trump. Aber an der protektionistischen Handelspolitik werde sich womöglich gar nicht viel ändern. Tatsächlich fällt auf, dass Biden Trumps "Handelskriege" im Wahlkampf zwar als desaströs bezeichnete, aber kein Versprechen abgab, die von seinem Vorgänger verhängten Sonderzölle wieder zurückzunehmen.
"America first" auch von Biden befürwortet
Trump hatte mit seinem Slogan "America first" stark auf die Bevorzugung von in den USA hergestellten Produkten und die Stützung heimischer Industrien gesetzt. Biden bedient sich ähnlicher Rhetorik. "Unsere Zukunft wird Made in America sein, es wird eine Zukunft sein, die von amerikanischen Arbeitern geschaffen wird", sagte Biden jüngst. Häufig verspricht er auch, seine Politik werde in den USA "Millionen gut bezahlter und gewerkschaftlich organisierter Jobs" schaffen. Anders als Trump will Biden dabei neben einem umfassenden Infrastrukturprogramm auch dem Ausbau erneuerbarer Energien und umweltfreundlicher Technologien große Bedeutung einräumen.
Für die deutsche Industrie waren vor allem Trumps Strafzölle auf Stahl und Aluminium vom Juni 2018 ein heftiger Affront. Besonders, dass Trump den Schritt mit Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit begründete, sorgte für riesige Empörung. Die USA sind der größte Einzelmarkt für den Export von Waren "Made in Germany", Einfuhrschranken deshalb von großer Bedeutung für die vom Außenhandel abhängige deutsche Wirtschaft. Zusätzlich erschüttert wurde das Verhältnis durch Trumps Drohung, auch Autoimporte mit Strafzöllen zu belegen - zumindest dieses Thema sollte nun endgültig vom Tisch sein.
Besteht eine Zukunft mit China?
Ganz oben auf der handelspolitischen Liste von Bidens Regierung dürfte indes ohnehin nicht die EU, sondern China stehen. Mit keinem anderen Land oder Wirtschaftsblock überwarfen sich die USA unter Trump dermaßen. Hier muss Biden schnell entscheiden, wie es etwa mit Unternehmen wie Huawei oder der Tiktok-App weitergeht, die von Trump auf schwarze Listen gesetzt oder mit Verboten bedroht wurden. Zwischen EU und USA gibt es nach Einschätzung von Analysten etliche gemeinsame Nenner beim Thema China, so dass ohne Trumps Alleingänge künftig womöglich verstärkt an einem Strang gezogen werden könnte.
Kritische Prüfung bestehender Zölle
Biden kündigte bislang lediglich an, bestehende Zölle kritisch zu überprüfen. Die Hoffnung, dass er die Handelsbarrieren rasch wieder senkt, könnte durchaus enttäuscht werden, gibt der Bundesverband der Deutschen Industrie zu bedenken. So würden die umstrittenen Zölle nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von vielen Demokraten im Kongress unterstützt. Besser sind die Aussichten da schon für die Welthandelsorganisation WTO, die von der Trump-Regierung durch eine Blockade ihres zentralen Organs zur Schlichtung von Handelskonflikten in die tiefste Krise seit ihrer Gründung 1995 gestürzt wurde.
Die WTO ist auch Schauplatz eines seit über 15 Jahren erbittert zwischen EU und USA geführten Streits über illegale Subventionen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing. Die Schiedsrichter der Welthandelsorganisation stellten im Laufe der Jahre verbotene Staatshilfen auf beiden Seiten fest und genehmigten jeweils Vergeltungszölle auf Waren im Volumen etlicher Milliarden Dollar. Auch wenn hinter den Kulissen schon länger Verhandlungen über eine Beilegung des Dauerstreits laufen, standen die Zeichen zuletzt nicht auf Entspannung. Anfang Januar erst eskalierten die USA die Lage mit neuen Strafzöllen auf Produkte aus Deutschland und Frankreich weiter.
Konfliktpotenzial mit Frankreich
Die USA und Europa liegen jedoch bei weitaus mehr über Kreuz als nur bei Handelsfragen. Ein weiteres Konfliktfeld, um das sich die Biden-Regierung zügig kümmern müssen wird, ist beispielsweise das Thema Tech-Regulierung. Frankreichs geplante Digitalsteuer für Online-Riesen wie die Google-Mutter Alphabet oder Facebook ist dabei ebenso ein Stein des Anstoßes wie die Absicht der EU-Kommission, die Tech-Giganten mit umfassenden neuen Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen in die Schranken zu weisen. Den US-Konzernen könnte dadurch schlimmstenfalls sogar eine Zerschlagung drohen.
Kehrtwende in Umwelt- und Klimapolitik
Zu den Bereichen, bei denen unter Biden die raschesten Kehrtwenden vollzogen werden dürften, zählen Experten die Umwelt- und Klimapolitik. Auch hier wären die Auswirkungen auf Wirtschaft und Unternehmen groß. Eine der ersten Maßnahmen, die unter Biden ergriffen werden könnte, ist zum Beispiel die Rücknahme einer von Trumps Regierung beschlossenen Lockerung von Abgasvorschriften. Das würde etwa deutsche Autobauer wie Volkswagen, Daimler oder BMW stark betreffen. Auch Umweltverschmutzung durch Öl- und Gasförderer will Biden aggressiv entgegenwirken - profitieren würden alternative Energien, wovon sich etwa Siemens gute Geschäfte verspricht.
Auch die Aussicht auf ein großes Infrastruktur-Investitionsprogramm unter Biden sorgte beim scheidenden Siemens-Chef Joe Kaeser bereits für gute Stimmung. "Das bietet große Gelegenheiten für uns in den Vereinigten Staaten", sagte er im November im Interview mit dem Finanzsender Bloomberg TV. Im kommenden Monat will Biden seine konkreten Pläne dafür vorstellen. Es gehe darum, "mutig" und "klug" zu investieren, mahnt der Demokrat. Davon hänge ab, ob Amerika wieder eine Führungsrolle übernehme oder von anderen überholt werde.
Konjunkturpaket zur Bewältigung der Coronakrise
In einem ersten Schritt will Biden nach seinem Amtsantritt aber zunächst ein neues 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket zur Bewältigung der Coronakrise auf den Weg bringen. Die Pläne dafür stellte er am Donnerstagabend (Ortszeit) in Wilmington vor. Teil des Pakets sind 1400-Dollar-Schecks für viele Bürger, eine Ausweitung von Arbeitslosenhilfen und große Summen für Impfungen und Corona-Tests. "Die Gesundheit unserer Nation steht auf dem Spiel", sagte Biden. "Wir können uns nicht leisten, nichts zu tun." Um seine Pläne durchzusetzen, ist er auf den Kongress angewiesen. Seine Demokraten kontrollieren künftig beide Parlamentskammern - Biden dürfte es also leicht haben. Die Spitzen der Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat haben bereits ihre Unterstützung für das Hilfspaket zugesagt.