Karl Marx Statue

Kühnerts Vorbild? Karl Marx. - (Bild: Pixabay)

Als Popstar oder Heilsbringer der SPD wurde Kevin Kühnert bejubelt, als möglicher Nachfolger von Parteichefin Andrea Nahles wird er bisweilen gehandelt. Kühnert ist in seinen eineinhalb Jahren als Juso-Chef zum Hoffnungsträger geworden, für die SPD, aber auch für manche, die einen klaren Politikstil jenseits der Mühsal der großen Koalition herbeisehnen. Nun, gut drei Wochen vor der von den Sozialdemokraten als "Schicksalswahl" deklarierten Europawahl, ruft Kühnert mit Wunschvorstellungen über den Sozialismus einen Aufschrei der Empörung hervor.

Es sind wuchtige Sätze des 29-Jährigen wie diese, die heftige Reaktionen hervorrufen: BMW könne zum staatlichen oder genossenschaftlichen Automobilbetrieb werden - oder das "Kollektiv" entscheide, "dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht". Sozialismus bedeute im "Optimalfall" auch, dass es keine privaten Wohnungsvermietungen mehr gebe.

Zurück zur DDR?

In dem "Zeit"-Interview folgen diese provokativen Äußerungen auf viele allgemeinere Ausführungen. "Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch von ihr bestimmt werden." Angesichts etwa des Volksbegehrens zur Enteignung großer Wohnungskonzerne in Berlin erscheint das zunächst direkt an aktuelle Debatten anzuknüpfen.

Im Grunde gehört es für einen Juso-Vorsitzenden auch zur Jobbeschreibung, Sozialismus zu definieren. Schließlich steht in der Selbstbeschreibung der Jungsozialisten ganz vorn: "Wir wollen den Kapitalismus überwinden und treten für eine andere Gesellschaftsordnung, den Sozialismus, ein." Und auch die SPD bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm zum "demokratischen Sozialismus".

Doch je konkreter Kühnert wird, desto weiter bewegt er sich vom Mainstream weg. So sind die empörten Reaktionen in Wahlkampfzeiten kein Wunder. "Kevin Kühnert hat den Boden des Grundgesetzes verlassen", sagt etwa CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak der "Rheinischen Post". Andere werfen Kühnert vor, zur DDR zurückzuwollen.

SPD-Mandatsträger sind genervt

Die SPD will sich von Kühnerts Äußerungen sichtlich nicht treiben lassen. SPD-Mandatsträger zeigen sich genervt. Partei- und Fraktionschefin Nahles äußert sich am Rande eines Treffens von SPD-Fraktionsvorsitzenden in Leipzig dazu lieber gar nicht öffentlich. Generalsekretär Lars Klingbeil ruft zu Gelassenheit auf.

Abgesprochen mit der SPD-Führung sei der Vorstoß nicht, konkrete Forderungen habe Kühnert aber immerhin auch nicht aufgestellt, heißt es. Vizekanzler Olaf Scholz wird bei einer Veranstaltung in Berlin nach Kühnert gefragt. "Gott sei Dank", so Scholz, "liegt meine Juso-Zeit schon über 30 Jahre zurück, da war er noch gar nicht geboren. Ich könnte ihnen deshalb eine längere Liste von Vorschlägen machen, die sich auch nicht als sinnvoll erwiesen haben."

Allerdings dürfte Kapitalismuskritik gemessen an Umfragen bei manchen durchaus gar nicht so schlecht ankommen. Dass die Reichen im Kapitalismus reicher, die Armen ärmer werden, glauben laut einer Umfrage fast zwei von drei Bundesbürgern. "Viele junge Menschen sind überzeugt, dass der Kapitalismus, den wir heute erleben, längst an seine Grenzen gestoßen ist", sagte SPD-Vize Ralf Stegner. "Kühnert mobilisiert diese Menschen." Aber zu welchem Preis?

Zur aktuellen Doppelstrategie der SPD passen Kühnerts sozialistische Gedankenspiele nur bedingt: Sozialdemokratische Projekte wie die Grundrente will die SPD in der Koalition durchsetzen - und sich zugleich einen Vorrat an neuen programmatischen Versprechen für den nächsten Bundestagswahlkampf zulegen. In den vergangenen Monaten hat Kühnert dabei viel Parteidisziplin bewiesen. An einem neuen Sozialstaatskurs wirkte er etwa maßgeblich mit - doch die dabei geforderte Teilabkehr von Hartz IV hat wenig mit Sozialismus zu tun.

Kühnerts Erfolgsrezept: Dagegensein

Kühnerts aktuelle Thesen dürften jedoch nicht einfach ein Ausrutscher gewesen sein. Für der eloquenten Kopf der #NoGroko-Kampage von Anfang 2018 ist es eine politische Grunderfahrung, dass Dagegensein ein Erfolgsrezept sein kann.

Dieser Tage wirkt der gebürtige West-Berliner gehetzt, aber aufgeräumt. Im Wahlkampf ist er präsent - und zugleich weiß er, dass sich die Augen auch auf ihn richten, falls die Europa- und Bremenwahl im Mai und die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst schlecht ausgehen für die SPD.

Wird sich Kühnert erneut zum obersten Rufer für etwas grundlegend anderes in der SPD aufschwingen? Erwartet wird, dass die SPD auf einem Parteitag im Dezember nicht nur über ihre Spitze, sondern auch über die Koalition entscheidet. Es kann aber auch alles schneller gehen. Viele in der SPD träumen von einer rot-rot-grünen Zukunft.

Für den nächsten Wahlkampf muss aus Kühnerts Sicht gelten: "Es muss dann endlich eine Machtperspektive geben, die ohne Beteiligung von CDU und CSU auskommt, damit unsere guten Ideen nicht in Aktenschränken verstauben."

Im Rahmen des Möglichen als kleiner Koalitionspartner habe die SPD in den vergangenen Monaten zwar nahezu das Beste herausgeholt, hat er vor wenigen Tagen der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Kühnert betonte dabei auch: "Die Erwartung an eine sozialdemokratische Partei ist aber, dass es Fortschritt gibt und dass wir Geschichte vorantreiben." In welche Richtung ist offensichtlich hochumstritten.

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