Christian Piechnick und Martin Wanitschke sowie Ronnie Vuine mischen die Industrie auf: Lange vor Corona gegründet, gingen ihre Startups während der Pandemie an den Markt. Doch die Gründer sind nicht alleine.
Knapp vier Millionen Deutsche planen in der Krise ein Unternehmen zu gründen, 324.800 haben schon gegründet. Eine Studie der MBH Corporation belegt, dass sechs Prozent der Deutschen in der Coronakrise bereits ein Unternehmen gegründet haben oder dies beabsichtigen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Ein Viertel aller Gründer gaben an, wegen einer Gehaltskürzung am Arbeitsplatz ein Startup aufbauen zu wollen. 22 Prozent sind der Meinung, dass die Krise ihre Lebenseinstellung verändert hat, wohingegen 21 Prozent eine Marktlücke für ihr Unternehmen in der Krise erkannt haben. Ein Fünftel gründeten ihr Startup aus der Not heraus, da sie entlassen wurden und keine andere Arbeit fanden. Zwölf Prozent wollen ein Startup aufbauen, da sie immer wieder beurlaubt wurden.
PRODUKTION hat mit Martin Wanitschke von Wandelbots und Ronnie Vuine von Micropsi Industries über ihre Herausforderungen in der Coronakrise gesprochen.
Gründer präsentieren SmartJacket Angela Merkel
Martin Wanitschke ist seit einem Jahr Chief Of Staff bei Wandelbots - einem Startup aus Dresden. Sieben Pioniere gründeten das Startup im Dezember 2017. Ihre Vision: Robotik für jedermann zugänglich machen.
Die Gründung geht auf eine wissenschaftliche Arbeit der Technischen Universität in Dresden zurück. Im Rahmen der Arbeit forschten die Gründer an einer SmartJacket mit der sie Industrie-Roboter steuern können. Wearable Computing nennt sich diese Technologie. Erstes Erfolgserlebnis: Auf der Hannover Messe 2017 bewegten die Gründer mit ihrer SmartJacket einen Kuka Roboter-Arm. Das Schauspiel zog die Messebesucher an den Stand. Sogar Angela Merkel habe die neue Erfindung fasziniert begutachtet, erzählt Wanitschke. Als die Gründer am Abend mit einem Stapel an Visitenkarten in der Tasche nach Hause fuhren, dämmerte ihnen das Potenzial hinter ihrem Produkt.
Windows für die Robotik
Ein Verkaufsschlager wurde die Jacke allerdings nicht. "Die Jacke wurde schnell in den Schrank gehangen, da sie zu viele ungeklärte Fragen mit sich brachte: Ist die Jacke Wasserdicht? Wie wird sie gewaschen? In welchen Größen wird es sie geben?", so Wanitschke. Stattdessen entwickelte das Startup den TracePen. Durch die Bewegung des Tracepen, könne einem Roboter eine Bewegung antrainiert werden. Wanitschke verbildlicht das System mit einem Vergleich: "Unsere Software ist quasi das Windows für die Robotik und der TracePen ist die Maus."
Seit Oktober 2020 ist der Stift auf dem Markt. Mitten in der Corona-Zeit, im Sommer 2020, erhalten die Gründer die Series B Finanzierung (Wachstumskapital). "Viele Investoren sind unsicher geworden", vergleicht Wanitschke die Situation mit der Zeit vor der Krise. Weiter führt er aus: "Während Corona wird an Ausgaben für Innovationen gespart. Klar, Unternehmen müssen jegliche Ausgaben planen und investieren zuerst in das, was notwendig ist - so wie Personal und Produktion."
Krise weckt Aufmerksamkeit für Automatisierung
Auch wenn sich die Finanzierung während Corona schwieriger gestaltet, bringt die Krise doch etwas Positives für das Startup. Wanitschke traut sich kaum, den positiven Impact hervorzuheben: "Ich weiß, dass es so viele Menschen gibt, die in der Krise sehr zu kämpfen haben und jegliche Existenzen verlieren. Vor diesem Schicksal und dem Kampfgeist dieser Menschen habe ich tiefsten Respekt. Ich habe große Ehrfurcht vor jedem, der in Corona-Zeiten diese und andere Hürden bezwingen muss."
Wenn er in der Pandemiezeit dennoch etwas Positives hervorheben müsse, dann dass die Krise die Aufmerksamkeit für die Automatisierung der Industrie wecke. "Wenn in Pandemiezeiten die Produktion stillsteht, was macht man dann? Wenn das Werk in Asien schließt, dann stoppt auch die Produktion in Deutschland, weil die entsprechenden Teile fehlen. Nun kann man sich natürlich fragen, warum Unternehmen überhaupt im Ausland produzieren. Natürlich sind das zum einen Kostengründe, zum anderen fehlt aber auch einfach Personal, das bereit dazu ist, acht Stunden am Tag dieselbe Tätigkeit auszuführen", so Wanitschke.
Fehlende Mitarbeiter durch Roboter ersetzen
Mit Hilfe der Automatisierung könne das Problem des Personalmangels auf zwei Wegen gelöst werden: Zum einen könne es zukünftig anstelle von Produktionsmitarbeitern "Roboterexperten" geben, die dem Roboter die entsprechenden Produktionsschritte beibringen. Zum anderen ließe sich, mit einer vollkommenen Automatisierung, die fehlenden Mitarbeiter vollständig durch Roboter ersetzen. "Deutschland hat viele Digitalisierungsbereiche schon verpasst. Dieser Teil der Digitalisierung soll in Deutschland passieren. Die Deutsche Industrie bietet die beste Grundlage dafür.", erklärt der COS.
Für die nahe Zukunft möchte sich das Startup zunächst ausschließlich auf den TracePen fokussieren. "Die Nachfrage nach dem Pen ist aktuell so groß, dass momentan kein neues Produkt geplant ist. Aber der Schrank an Ideen ist voll", so Wanitschke. Auch die Internationalisierungspläne außerhalb Europas seien 2021 zunächst auf Eis gelegt. Der Fokus liege im Moment auf Deutschland und dem DACH-Markt, da die Nachfrage hier erst einmal bedient werden müsse.
Auch dieses Startup profitiert von der Krise
Ronnie Vuine, Geschäftsführer von Micropsi Industries, muss sein Startup ebenfalls durch die Coronakrise steuern. Sein Unternehmen wurde 2014 gegründet, mit dem Ziel, Produkte und Systeme im Bereich der KI zu erforschen. 2016 kam die Idee mit Hilfe von KI eine Software für die Industrie zu entwickeln, die "leer" zum Kunden kommt und beim Kunden lernt, was sie können soll. "Die Systeme lernen beim Kunden und vom Kunden", so der Geschäftsführer. Heute vertreibt das Unternehmen die Software Mirai, die KI-getriebene trainierbare Robotersteuerungen für die fertigende Industrie ermöglichen soll.
Bis 2019 nahmen sich die Gründer viel Zeit ihr Produkt zu entwickeln und starteten viele Pilotprojekte. "Mit Beginn der Coronakrise 2020 haben wir alle Register gezogen. Durch die Krise und die damit verbundenen Produktionseinbußen stieg das Interesse enorm an. Unternehmen denken eigentlich immer darüber nach, ihre Produktion effizienter zu gestalten und fanden in der Krise die Zeit zum Experimentieren. Zunächst holten sich die Unternehmen Informationen zu Mirai ein und liehen sich Systeme für eine konkrete Testphase aus. Jeder wollte erst einmal abwarten, was die Krise für finanzielle Hürden mit sich bringt. Ab dem vierten Quartal 2020 begannen dann viele zu kaufen", so der Gründer.
Coronakrise als Digitalisierungsbeschleuniger
Ronnie Vuine schaut auf eine spannende Zeit zurück: Vor ein paar Jahren noch seien er und sein Team auf vielen Messen und Events unterwegs gewesen, um die Software bekannt zu machen. Damit haben sie viele Menschen erreicht, die sich für neue Technologien der KI interessieren aber wenige, die bereit waren, das Produkt tatsächlich zu kaufen. Heute sprechen sie konkret Fertigungsleiter und andere Personen in der Produktion an, die auf der Suche nach effektiven Lösungen für ihre Fertigung sind.
Auf die Frage, was er aus der Krise gelernt hat, holt Vuine weit aus: "Die Krise ist ein absoluter Digitalisierungsbeschleuniger. Wir lernen Dinge, von denen wir nicht gedacht hätten, dass sie funktionieren – bestes Beispiel Homeoffice. Wir sind relativ früh ins Homeoffice umgezogen und da wir ein Softwareunternehmen sind, konnten wir problemlos von zuhause arbeiten. Anfangs stand ich dem Homeoffice sehr skeptisch gegenüber. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das ist, wenn die ganze zwischenmenschliche Kommunikation, die so nebenbei im Büro läuft, wegfällt. Aber ich musste feststellen: Von zuhause aus arbeiten geht super." Zudem stellte der Gründer fest: "Es herrschte eine unaufgeregte Solidarität als die Krise losging." Von Anfang an habe er seinem Team gut zugesprochen: "Unsere Hypothesen stimmen, wir sind finanziert – macht euch keine Sorgen, wir stehen das gemeinsam durch."
Besser essen durch Homeoffice
An seiner Unternehmenskultur habe sich durch die Krise nichts geändert: „Wir haben unsere Werte in der Pandemie eingehalten. Kulturell und wertemäßig waren wir gut vorbereitet. Das einzige, das sich vielleicht geändert hat ist, dass wir in den Zoommeetings besser aufeinander Acht geben müssen. Wir essen alle besser. Es gibt kein ‘hastiges, schnelles in ein Restaurant rennen und das Essen in sich reinstopfen‘ mehr.“
Für die Zukunft wünscht sich Ronnie Vuine, dass sein Produkt zur ersten Idee wird, zu der ein Ingenieur greift, wenn er ein Problem hat. Mirai solle das Produkt werden „das man nimmt ohne nachzudenken“, so der Geschäftsführer. Langfristig will Vuine weiter im Bereich der Steuerungstechnik forschen und weitere Anwendungsfälle identifizieren, die er mit der Technologie steuern kann.
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