Markus Turber

Markus Turber ist Geschäftsführer der Intuity Media Lab GmbH. - (Bild: Intuity)

Herr Turber, Intuity Media Lab ist Entwicklungspartner in den Bereichen vernetztes Leben, Urbanität und Mobilität, Life Science, Industrie 4.0 und Energiezukunft. Welcher dieser Bereiche hat bisher den größten Schritt in der digitalen Transformation erreicht und in welchem steckt noch das größte Zukunftspotenzial?

Den größten Schritt hat ganz klar der Bereich vernetztes Leben gemacht. Dabei sind wunderbare Dinge passiert. Beispielsweise hat praktisch jeder Zugang zu Wissen, Bildung und Weiterbildung. Das gigantische Potenzial dahinter ist noch längst nicht ausgeschöpft, wobei die Entwicklungen dafür eher in den USA und in Asien stattfinden.

In Europa, und auch gerade bei uns hier im Stuttgarter Raum, interessieren uns Mobilität, Energie und Industrie 4.0 deutlich mehr, weil diese Themen das Kerngeschäft der Wirtschaft betreffen. Weil der Wunsch nach Mobilität ein Grundbedürfnis ist, steckt darin ebenfalls noch sehr großes Potenzial. Mobilität für eine Millionenstadt zu entwickeln ist ein riesiges Business, in dem durch Vernetzung und Sensorik viel passieren kann.

Auch der Stromsektor wird im Zusammenhang mit den Klimazielen sehr viel wichtiger werden. Persönlich sehe ich den Klimawandel als Bedrohung, aber für die Industrie ist er ein Geschenk. Die beschlossenen Klimaziele werden einer unserer größten Konjunkturtreiber sein. Der Stromsektor wird aufs engste mit Elektromobilität, aber auch zu Power2Heat, Power2Gas und Power2Chemicals verbunden sein. Unser Standort mit Maschinen- und Anlagenbau, sowie tausenden Ingenieuren ist hier gut aufgestellt.

"Die neuen Ideen sind eben nicht kompatibel mit den alten Prozessen und da knirscht es entsprechend." - Markus Turber, Geschäftsführer der Intuity Media Lab

Mit ihren Lösungen wollen Sie die Spannungsfelder aufbrechen, die sich aus tradiertem Nutzungsverhalten und den neuen Gewohnheiten durch die digitale Transformation ergeben. Wo und wie kommen sich die beiden in die Quere?

Spannungen entstehen vor allem dort, wo Unternehmen mit ihren digitalen Dienstleistungen Schnittstellen zum Kunden besetzen, wodurch andere Unternehmen ihr bisheriges Geschäftsmodell auf den Kopf stellen müssen. Die neuen Ideen sind eben nicht kompatibel mit den alten Prozessen und da knirscht es entsprechend. Gerade wenn die neuen Prozesse noch nicht etabliert sind, bedeutet es für die Unternehmen in der Umbauphase enormen Stress. An dieser Stelle helfen wir unseren Auftraggebern Vertrauen in die neuen Modelle zu entwickeln.

Für Sie geht der systemische Gedanke über die IT-Vernetzung hinaus. In welchen Systemen sollte man Ihrer Meinung nach denken?

Ich finde es einfacher, 30 Jahre in die Zukunft zu schauen als zu sagen, was in drei Jahren passieren wird. Wer hätte gewusst, dass das mit Bayer und Monsanto so passiert, wie es jetzt passiert ist. Das kann man im Prinzip nicht prognostizieren, aber die Tatsache, dass Nachhaltigkeit und Biodiversität immer wichtiger werden, schon.

Meistens ist es ein diffuses Gefühl, das man in der Bauchgegend entwickelt. Aber man kann aufgrund eines Bauchgefühls nicht die ganze Wirtschaft umkrempeln, sondern man muss versuchen zu analysieren, was gerade passiert und wie die Zusammenhänge sind – auf dieser Ebene muss man systemischer werden. Man muss das eigene Feld verlassen und Abstand entwickeln, um eine Übersicht zu bekommen. Man darf aber nicht so weit gehen, dass man irgendwann nur noch den Planeten sieht und das eigene Geschäft nicht mehr erkennen kann. Es braucht eben den richtigen Betrachtungsabstand.

Für die Maschinenbauindustrie bedeutet dies zum Beispiel, dass Elektroautos deutlich weniger Teile brauchen als Benziner und Diesel, und das wird sich natürlich an der Stelle auswirken. Aber: Das Elektroauto hört nicht bei der Tankstelle auf, wenn ich die ganze Wertschöpfungskette betrachte oder die Energie rückverfolge.

Auch dafür muss man die Infrastruktur entwickeln, wofür viel Automationstechnik erforderlich sein wird. Bevor das Devestment in den alten Technologien stattfindet, muss der Maschinenbau schauen, wo es neue Wachstumsfelder gibt.

"Wir müssen die Mobilität neu strukturieren bevor die großen Wetten im Finanzmarkt dies allein übernehmen." - Markus Turber, Geschäftsführer Intuity Media Lab 

In Ihrem Vortrag auf dem EMAG Technologieforum (siehe Infokasten) werden Sie über die digitale Transformation der Automobilindustrie sprechen. Ist sie Vorreiter oder stecken in ihr einfach die meisten Möglichkeiten?

In meinem Verständnis ist sie kein Vorreiter, gleichzeitig stecken in ihr viele Potenziale. Das soll nicht heißen, dass die Autoindustrie das verschlafen hat, sondern sämtliche Prozesse, von der Entwicklung über die Produktion, die Logistikketten, Vertrieb und Wartung, sind extrem komplex. Und Prozesse, die extrem komplex sind, sind auch extrem schwierig digital abzubilden. Die digitalen Konkurrenten wie Lyft und Uber machen so gesehen nichts Komplexes.

Will man Dinge zu 100 Prozent digital abbilden, dann müssen diese heute immer noch sehr einfach sein. Und wenn man sich den Standort Deutschland ansieht – das gilt nicht nur für die Autobauer sondern auch für die Medizintechniker oder für Firmen aus der Chemiebranche – liegen hier überall sehr komplexe Prozesse vor. Deshalb wundert es mich nicht, dass diese nicht die digitalen Vorreiter sind. Im Mobilitätsmarkt steckt viel Geld.

Wir müssen die Mobilität neu strukturieren bevor die großen Wetten im Finanzmarkt dies allein übernehmen. Wir müssen uns jetzt trauen das große Ganze mit zu gestalten. Wir geben in Deutschland für Mobilität ungefähr genau so viel aus wie für Essen. Und das zeigt, wie attraktiv es ist, sich in diese Wertschöpfungsströme einzuklinken. Auch wenn die Pflänzchen noch klein sind, so haben Konzerne, wie aktuell Daimler und BMW mit dem Zusammenschluss von Moovel und DriveNow, schon vor Jahren erkannt, dass man Allianzen bilden muss, um mit den Digitalen wettbewerbsfähig zu sein.

Stichwort interdisziplinärer Ansatz: welche Branchen können am meisten voneinander profitieren?

Egal ob Verkehr, Gebäude, Energie oder Infrastruktur. Im Zusammenhang mit den Klimazielen benötigen Städte ein Update, um attraktiv zu bleiben. Jede Stadt ist einzigartig aufgrund der Topografie, des Klimas, der Substanz, der Soziologie, der Wirtschaft. Es ist komplex die kollektiven Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren.

Design Science Research oder Behavioural Design, das in Singapur bei der Entwicklung der Stadtmobilität angewandt wurde, helfen die Anforderungen zu definieren. Erfüllen können derlei exklusive Wünsche sicher nur Konsortien aus Infrastrukturanbietern, Mobilitätsanbietern, Anlagenbauern und regionaler Energiewirtschaft und Bauwirtschaft. Der Bedarf ist riesig – es gibt 470 Millionenstädte weltweit.

Markus Turber auf dem EMAG Technologieforum

Wie können sich produzierende Unternehmen auf den rasanten digitalen und elektrischen Wandel im Automobilbau vorbereiten? Und welche Produktionslösungen weisen in die Zukunft?

Antworten auf diese Fragen geben neben Markus Turber weitere renommierte Experten wie Prof. Michael F. Zäh sowie Prof. Matthias Klingner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme, oder Prof. Stefan Bratzel, Direktor des Centers of Automotive Management, auf dem Technologieforum 2019 von EMAG am 15. und 16. Mai in Salach.

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