„Der Maschinenbau ist zentraler Akteur des technologischen Wandels, wenn es um die Elektrifizierung des Antriebsstrangs in Fahrzeugen geht“, konstatiert Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA. Vom Fahrrad über das Containerschiff bis zum Luftfahrzeug und natürlich auch der Automotive Industrie, Rauen sieht seine Schäfchen als ‚Enabler‘ der Elektromobilität: „Es werden vor allem Maschinenbaulösungen sein, die die Batteriekosten reduzieren, Leichtbau ermöglichen oder die Produktionstechnologien für Leistungselektronik und Elektromotoren verbessern.“
Die Revolution werde kommen und sei auch nicht mehr aufzuhalten, bestätigt Günther Schuh, Professor an der RWTH Aachen University. Der Ingenieur bescheinigt dem Elektroauto vor allem eine Zukunft in der Stadt.
„Stickstoffbasierte Umweltgifte, die es häufig bereits in hoher Konzentration in Städten gibt, forcieren die Entwicklung hin zu elektrifizierter Mobilität“, so Schuh. Da spiele die Stromquelle zunächst einmal eine untergeordnete Rolle. Gefragt sein werden also in naher Zukunft kleine, kostengünstige E-Fahrzeuge für die Stadt. Mit kleiner Reichweite für kurze Strecken im urbanen Raum. Das würde für 20 bis 30 Prozent der Nutzer ausreichen, so Schuh, gleichzeitig Vorstandsvorsitzender der e.GO Mobile AG. „Was die Autobauer derzeit entwickeln, wird häufig am Bedarf vorbeigehen: Zu schwer, zu groß, zu teuer.“
Dass die Branche vor einem grundlegenden Wandel steht, sieht auch Michael Wittler. Der Manager bei FEV Consulting glaubt aber, dass es sich weniger um eine Revolution bei der Antriebstechnik als um eine schrittweise Veränderung hin zum elektrischen Antriebsstrang handelt.
2030 jedes 6. Neufahrzeug ein Stromer
„Der Verbrennungsmotor und Verbesserungen desselben werden auch langfristig noch gefragt sein, es kommen hybride Fahrzeuge dazu, die über beide Antriebsarten verfügen. Auch Elektrofahrzeuge werden derzeit in den Markt eingeführt und eine stark steigende Nachfrage erfahren. Im Jahr 2030 erwarten wir, dass global etwa jedes sechste Neufahrzeug ein Elektrofahrzeug ist“, erläutert der Berater mit Doktortitel im Ingenieurwesen. Eine große Herausforderung für Maschinenbau und andere Automotive-Zulieferer, die zunächst steigende Komplexität im Verbrennungsmotor zu befriedigen und gleichzeitig neue Produkte und deren Herstellung voranzutreiben.
Bei einem Elektrofahrzeug fehlen, wie in der Studie ‚Antrieb im Wandel‘ beschrieben, zwei Drittel der bisherigen Wertschöpfung rund um den Antrieb. „Der Elektromotor verfügt über weniger und weniger komplexe Bauteile“, erläutert Mit-Herausgeber der Studie, Michael Wittler, den Zusammenhang. Auch Ver-und Bearbeitungsschritte wie Zerspanen fallen dann in einigen Fällen sehr reduziert aus.
"Zahnräder fallen weg"
Am Getriebe lässt sich diese Vereinfachung gut veranschaulichen: Wo bisher bis zu neun Gänge bei Automatikfahrzeugen nötig waren, verfügen die E-Flitzer meist nur noch über eine Übersetzung. „Da fallen einige Zahnräder weg“, konstatiert er. Grundlegend neue Wertschöpfung wird nur im Bereich der Batteriezelle erbracht. Eine Fertigungskette, die die wegfallenden Anteile beim Verbrennungsmotor nur teilweise abfangen kann. „Hier wird weniger Wert geschaffen, als Rohstoff eingesetzt“, erläutert Wittler.
Hochschulprofessor Schuh sieht die Zukunft des Maschinenbaus positiv. Er glaubt, dass es zahlreiche Autozulieferer schaffen können, vorhandenes Know-how mit vergleichsweise geringem Aufwand auf die neuen Fahrgewohnheiten zu übertragen. Zumal der Entwickler eigener E-Fahrzeuge – je nach Anwendung – Fan von Plug-in-Hybriden ist. Auch hier werde es in den nächsten Jahren für Maschinenbauer noch einiges zu verdienen geben. „Wir müssen von der Hypothese Abstand nehmen, dass ein Elektrofahrzeug einen Verbrenner in jeder Hinsicht ersetzen muss“, so der Wissenschaftler. Gerade für lange Strecken seien Pkws mit zwei Antrieben, ob parallel oder seriell, ideal.
Schuh geht von einer Diversifizierung der Mobilität aus, sowohl im Bereich des Individual- als auch des Massenverkehrs. Rauen sieht den Hybrid hierbei als wichtige Technologie während der Transformationsphase vom Verbrenner zum elektrifizierten Antriebsstrang. Die Hybridtechnologie wird je nach Markt und Anwendung vielfach auch als Lösung langfristig bestehen können. Die Möglichkeit, synthetische CO2-neutrale Kraftstoffe herzustellen, macht viele Zukunftsszenarien möglich.
„Wir sollten aufhören, Autofahrer erziehen zu wollen“
Als Bereiter des elektrifizierten Antriebs betrachtet Schuh nicht nur den Maschinenbau, sondern vor allem den Nutzer. „Wir sollten aufhören, Autofahrer erziehen zu wollen“, sagt er. Stattdessen müssen alternative Lösungen her, die so bequem sind, dass Nutzer ihre Emissionsschleuder gerne und freiwillig außerhalb der Stadt stehen lassen oder ganz darauf verzichten. Erst wenn der Bedarf geschaffen ist, werden Maschinenbauer und andere fertigende Unternehmen im E-Sektor ein Auskommen haben.
Glaubt man der vom VDMA veröffentlichten Studie, sieht es auf dem Automotivemarkt in den nächsten Jahren gar nicht schlecht aus. Die Wertschöpfung von Pkw-Antrieben aller Typen wird zwischen 2016 und 2030 in China, Europa und USA zusammen jährlich um 1,7 % wachsen. Bis 2030 wird eine Steigerung in der Wertschöpfung für Produktionsprozesse im Bereich der Hybride und rein elektrischen Fahrzeuge gesehen. Die Batteriezellproduktion erschließt ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 11,1 Mrd Euro. Auch bei Nutzfahrzeugen bieten sich Chancen auf zusätzliche Wertschöpfung, wenn auch in kleinerem Ausmaß als im Pkw-Segment.
2024 werden Verbrenner und E-Autos gleich attraktiv
Um die Transformation der Mobilität zu messen, entwickelten die Autoren der Studie, den ‚Zero Emission Vehicle Index (ZEV)‘. Mehr als 40 Parameter fließen in den ZEV-Index ein: Regulierung, Technologieverfügbarkeit, Ladeinfrastrukturausbau, Verhalten der Industrie, wirtschaftliche Aspekte sowie Akzeptanz der Elektromobilität.
Für Europa sagt der Index bereits für das Jahr 2024 eine gleichwertige Attraktivität von Verbrennern und Elektrofahrzeugen voraus. Ausschlaggebend sind ein breites Modellangebot, praxistaugliche Reichweiten sowie der Ausbau der Ladeinfrastruktur. China erreicht dieses Niveau aufgrund strenger Umweltauflagen zwei bis drei Jahre früher als Europa. Für die USA wird die gleichwertige Attraktivität erst im Jahr 2028 erwartet.
„Um den Bedarf dann zu decken, müssen Maschinenbauer Produktionstechnologien entwickeln, um dann rasch umschalten zu können“, glaubt Rauen. Risiken dieses Wandels sieht er vor allem auf der einzelbetrieblichen Ebene. „Die bisherigen Märkte lösen sich langfristig auf, Unternehmen müssen hinreichend schnell neue, vor allem internationale Märkte erschließen können.“ Wachstumspotenziale erschließen, die sich nicht vor der Haustür befinden, wird in den nächsten Jahren gefragt sein.
Vertriebsstrukturen international aufbauen, internationale Lieferanten finden – Herausforderungen, die den Maschinenbau bald noch stärker betreffen als ohnehin schon. Berater Wittler sieht diese Entwicklungen positiv: „Viele Firmen stellen sich bereits heute entsprechend auf und werden den Wandel erfolgreich meistern. Gerade bei den größeren und breit aufgestellten Unternehmen mache ich mir keine Sorgen.“
Schwieriger werde es für kleinere und sehr spezialisierte Betriebe. Wer derzeit einige wenige, spezielle Maschinen für Teile im Verbrennungsmotor herstellt, ist von wenigen Geschäftsfeldern abhängig, muss jetzt möglichst rasch seine vorhandenen Kompetenzen erweitern. Ein Werkzeugmaschinenhersteller beispielsweise, der heute hauptsächlich die Getriebe-Fertigung beliefert, sollte nun seinen Kundenkreis so erweitern, dass er auch den E-Antrieb bedienen kann. Das ist nicht nur eine Sache der Entwickler. Das ist auch Vertriebsaufgabe.
Marktzugang nach China gefragt
Hier ist ein Zugang zu den internationalen Märkten, auch nach China, gefragt. „Ich sehe den Aufbruch bereits bei Maschinenbauern aller Bereiche, viele haben den Wandel erkannt und die Aufmerksamkeit steigt. Auch die Frage nach Unterstützung ist da“, beobachtet Wittler. Hilfe bekommen Firmen beispielsweise durch den VDMA sowie in Projekten mit FEV Consulting. Dies umfasst nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern es werden konkrete Handlungsfelder aufgedeckt und kann bis in die Umsetzungsphase hineinreichen. Den betroffenen Unternehmen bietet sich in den VDMA-E-Motive-Netzwerken zudem die Gelegenheit, an Forschungsprojekten zur Zukunft der Antriebstechnik mitzuwirken.