Es gibt noch weitere Gründe, das Supply Chain Management jetzt auf neue Füße zu stellen; zum Beispiel Nachhaltigkeit. Oder das kommende Lieferkettengesetz. Und nicht zuletzt die Effizienz. Denn auch die neuen Lieferketten müssen sich unter dem Strich auszahlen.
Die aktuellen Lieferengpässe kosten die deutsche Industrie Milliarden. Und es zeigt sich, dass – einmal aus dem Takt geraten – komplexe weltweite Supply Chains viele Monate benötigen, um sich wieder einzuschwingen. Bis dahin können die vollen Auftragsbücher nur langsam abgearbeitet werden, und die betroffenen Unternehmen können den Aufschwung nach der Corona-Krise nicht in vollem Umfang nutzen. Es ist klar, dass es für die Zukunft Handlungsbedarf gibt. Aber welchen?
Wer genauer auf die Gründe für die derzeitige Knappheit an Schiffsraum, Containern, Rohstoffen und Vorprodukten schaut, der sieht nicht nur eine Ursache. Pandemiebedingte Hafen- und Standortschließungen, Entlade-Engpässe und schlechter Container-Rückfluss, Brände und Unfälle, Stürme und Überschwemmungen, aber auch Nachfrageschwankungen und das schnelle Wiederhochfahren von Produktionsstandorten – sie alle haben zum derzeitigen Lieferdilemma beigetragen, das wohl erst im Laufe des Jahres 2022 vollständig überwunden sein wird.
Konzentration und Informationsrückstand im Tier 3
Zu den aktuellen Problemen kommt auch ein Lieferketten-Phänomen, das eigentlich schon länger bekannt war: Traditionelle Order-Prozesse kommen in der zweiten und dritten Lieferanten-Ebene nur verzögert an. Sieht etwa ein Autohersteller Marktwachstum, so plant er höhere Produktionszahlen. Dies bricht er herunter auf seinen Lieferbedarf, den er nun seinen Tier-1-Zulieferern mitteilt. Hier beginnt jetzt derselbe Planungszyklus von neuem. Bis die Information auf der dritten Ebene der Vorlieferanten angekommen ist, können Wochen vergehen. Sie haben also nur sehr wenig Zeit, um auf Veränderungen der Nachfrage zu reagieren – das ist der berüchtigte „Bullwhip Effekt“.
Verschärft wird dieser Effekt nicht selten durch eine hohe Konzentration auf der dritten Lieferantenebene – ganze Branchen sind auf eine Handvoll an Vorlieferanten angewiesen. Auch wenn die Nachfrage in der Branche nur moderat steigt, kann sie sich so im Tier 3 zu enormen Bedarfssteigerungen multiplizieren. Das ist das Phänomen, das dem derzeitigen Chipmangel zugrunde liegt. Erstaunlich ist, dass gerade der Erfinder des Just-in-Time – Toyota – am besten durch die Lieferengpässe gekommen ist.
Bei Toyota verfügte man im Februar 2021 nach eigenen Angaben noch über einen Vier-Monats-Vorrat an Chips. Er half dem Unternehmen, im ersten Halbjahr einen Rekordgewinn einzufahren. In diesem Zusammenhang verlautbarte Toyota, man habe insbesondere aus Fukushima gelernt und das Lieferkettenmanagement verbessert – so zum Beispiel werde von einigen Lieferanten erwartet, Bauteile für bis zu sechs Monate zu bevorraten.
Aufgaben der nächsten Jahre
Wer jetzt über ein Aufrüsten seines Supply Chain Managements nachdenkt – und das tun derzeit die meisten deutschen Fertigungsunternehmen – sollte außerdem über die Anforderungen der Zukunft nachdenken. Wenn es einen USP der deutschen und europäischen Industrie gibt, dann den der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit zählt wie die Digitalisierung zu den großen Zukunftsaufgaben der Unternehmen. Hier spielt die Lieferkette naturgemäß eine große Rolle – es geht um die Kenntnis und Steuerung der CO2-Bilanz, der Energieeffizienz, der Umweltfreundlichkeit, des Rohstoffverbrauchs, der Schadstoffarmut der eingekauften Vorprodukte. Und mit dem ab 2023 kommenden Liefergesetz müssen außerdem Informationen über Arbeitsbedingungen und Einhaltung der Menschenrechte mit in das Supply Chain Management einfließen.
Konkret bedeutet das: Einkauf und Logistik müssen künftig sehr viel mehr Informationen sammeln, bewerten und in der Praxis berücksichtigen. Je genauer und dichter die Datenpunkte, je differenzierter und raffinierter ihre Auswertung, desto qualifiziertere Entscheidungen können getroffen werden. Das geht natürlich nur mit Datenplattformen, die auf Dauer auch mit künstlicher Intelligenz aufgerüstet werden können.
Genauer, schneller, differenzierter
Für das Supply Chain Management der Zukunft gilt: Die weitere Digitalisierung ist ein Muss. Das ist keine ganz neue Erkenntnis - mehrere Berater und Software-Häuser bieten bereits umfassende, vernetzte Softwarelösungen an. Bei Deloitte ist dies die Connected Supply Chain-Lösung, die auf der ServiceNow-Plattform aufbaut. Entscheidend ist neben einer breit genug angelegten und vernetzten Software-Lösung immer auch die auf den individuellen Bedarf angepasste Implementierung – insbesondere die Einbindung in die gesamten Unternehmensprozesse. Eine integrierte Supply Chain-Plattformen kann eine ganze Reihe von Vorgängen verbessern:
- Verbesserung der Datenqualität und -quantität
- Transparenz über alle Anfragen, Bestellungen und Warenflüsse
- Optimieren des Zusammenspiels zwischen Lieferanten, Transporteuren und Produktion
- Optimale Ausnutzung von Transportkapazitäten
- Früherkennung von Liefer-Engpässen
- Einfacheres Management von unerwarteten Problemen
- Management der Partner durch Qualitätsgespräche und Performance Tracking
Bei der praktischen Anwendung solcher Supply Chain Management Plattformen zeigt sich, dass bei ihrer Nutzung sowohl Datenqualität als auch Lieferperformance deutlich ansteigen, während gleichzeitig die Durchlaufzeiten verkürzt und die Lager- und Logistikkosten erheblich gesenkt werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die bisher dominierenden Preis- und Qualitäts-Aspekte im Supply Chain Management zunehmend durch weitere Aspekte ergänzt werden: Logistik- und Lieferausfall-Risiken, Rohstoffverbrauch und CO2-Bilanz, -Risiken – eine Liste, die fast beliebig fortgesetzt werden kann. Damit so viele Faktoren zeitnah gesammelt, berücksichtigt und gesamtheitlich gemanagt werden können, ist eine vernetzte digitale Supply Chain Management Plattform Voraussetzung. Nur sie kann die nötige Transparenz und Übersicht bereitstellen, die entstehende Komplexität zu beherrschen und Nutzen daraus zu ziehen. Denn der alte Spruch der 1980er Jahre ist heute so aktuell wie je: Der Gewinn liegt im Einkauf.
Weitere aktuelle Inhalte zum Thema Supply Chain sowie unser Interview „Die Lieferketten der Zukunft“ mit Florian Ploner auf der Deloitte Webseite.
Über den Autor
Florian Ploner hat mehr als 18 Jahre Beratungserfahrung mit einem starken Fokus auf produzierende Industrie. Er hilft seinen Kunden in Europa, Amerika und Asien bei globalen Transformationsprogrammen, digitaler Transformation, neuen Businessmodellen und Business-Prozess-Optimierungen unter Berücksichtigung neuester Technologien. Florian Ploner ist Industrials Lead in Consulting und Partner in der Practice Technology Strategy & Transformation.