In Bottrop, an der B 224, entsteht aktuell die wohl größte Anlage zur solarthermischen Trocknung von Klärschlämmen weltweit. Entsprechend herausfordernd ist während der Umsetzung aber auch in jeder Hinsicht das Engineering – durchaus und gewollt mit einer Feinplanung der Technischen Gebäudeausrüstung entlang des Baufortschritts.
Typisch dafür: die Anbindung der vielen Hundert Heizregister in den 32 Trocknungshallen. Sie müssen gleichermaßen gegen beträchtliche thermische und korrosive, aber auch mechanische Einflüsse langzeitbeständig sein, denn die Hallen stehen auf schwankendem Grund. Zum Einsatz kam deswegen, fast schon konventionell, dickwandiges Stahlrohr in den Dimensionen 1 ¼ bis 4 Zoll (DN 32 bis DN 100). Aber in Kombination mit Verbindern der Systeme „Megapress“ (3/8 bis 2 Zoll) und „Megapress S XL“ (2 1/2 bis 4 Zoll) von Viega, die nicht geschweißt, sondern Viega-typisch „kalt“ verpresst wurden.
Zielsetzung: Energieeinsparung
Die Kläranlage in Bottrop ist eine der größten in ganz Deutschland: Hier werden nicht nur die Abwässer von rund 5 Millionen Menschen aus dem gesamten Einzugsgebiet der Emscher, sondern auch zugelieferte Fremdschlämme gereinigt und aufbereitet beziehungsweise verbrannt. Ein aufwändiger und zugleich energieintensiver Prozess, denn um die 120.000 Tonnen Schlamm pro Jahr in den zwei Öfen des benachbarten Heizkraftwerks bei etwa 450 °C verbrennen zu können, muss der Schlamm einen definierten Trocknungsgrad haben.
60 bis 70 Prozent Trockensubstanzgehalt sind optimal. Bisher wurde der über den Zusatz von etwa 20.000 Tonnen Steinkohle während des Verbrennungsprozesses erreicht. Durch die solarthermische Trocknungsanlage (STT), als Teil des Gesamtpakets „Hybridkraftwerk Emscher“, soll diese Menge zukünftig weitestgehend reduziert werden – mit entsprechender Entlastung der Umwelt und Schonung der Ressourcen.
Um das zu erreichen, wird der Klärschlamm künftig in 32 Hallen vorgetrocknet. Die wie Gewächshäuser aufgebauten Hallen stehen dabei auf einer rund 61.000 Quadratmeter großen, stabilisierten Fläche, wo sich bislang ehemalige Klärschlammteiche befanden. Per Radlader werden die Schlämme künftig auf Basis einer umfassenden Stoffstromanalyse über einen zentralen Mittelgang in die Glashallen verteilt. Dort trocknen sie – regelmäßig automatisiert umgewälzt – etwa 10 bis 14 Tage ökologisch vorbildlich unter Sonneneinfluss. Sollte die solare Einstrahlung nicht ausreichen, wird über Heizregister unter der Hallendecke Wärme aus dem Heizkraftwerk selbst beziehungsweise einem vierzügig kaskadierend aufgebauten Block-Heizkraftwerk mit 10 Megawatt Heizleistung nachgeführt.
Über welche Dimensionen dabei gesprochen wird, macht eine Zahl besonders deutlich: Pro Jahr werden aus dem Klärschlamm bei Vollbetrieb der Trocknungsanlage rund 100.000 Kubikmeter Wasser verdunsten. Also rein rechnerisch in etwa so viel wie der tägliche Trinkwasserverbrauch in der Metropole Frankfurt am Main.
Leichtbauhallen mit „Bewegungsdrang“
„In dieser Größenordnung ist die Klärschlammtrocknung deswegen auch im Vergleich zu allen bisherigen Anwendungen ein gewaltiger Quantensprung, denn da wurden maximal zehn Prozent der hier notwendigen Leistung erzielt“, so der Projektleiter des Generalplaners Norbert Schepers von der Emscher Wassertechnik GmbH.
Mit den daraus resultierenden Detailfragen an das Engineering, wie beispielsweise die beträchtlichen thermischen Ausdehnungen der in Leichtbauweise errichteten Gebäude und damit natürlich auch die der Rohrleitungen bei Hallendimensionen von mehr als 160, im Mittelgang sogar mehr als 200 Meter Länge abgefangen werden können. Vor allem, wenn diese Ausdehnungen aufgrund der Witterungseinflüsse im Mikroklima vielleicht sogar „gegenläufig“ oder zumindest stark differierend sind.
Mittlerweile konnten dafür aber mehr als 12 Kilometer Stahlrohrleitung mit dem Viega-System „Megapress“ erfolgreich installiert werden. Auf den langen Geraden natürlich mit entsprechenden Kompensatoren oder bemerkenswert weiten Dehnungsbögen – an jedem Abgang der Hauptverteilleitung in die einzelnen Hallen und am Anschluss der Heizregister aber mit einer Besonderheit: flexible „Schlauchanschlüsse“.
Der Hintergrund: Neben den erwähnten thermischen Einflüssen belasten baudynamische Bewegungen der Leichtbau-Konstruktionen die Installationen. Feste Rohrverbindungen würden also extremsten Belastungen ausgesetzt. Dank der flexiblen Anbindungen besteht jedoch eine konstruktive Entkopplung, die alle Scherbewegungen ausgleicht.
Pressen wirtschaftlicher als Schweißen
Die Rohrverbindungen der dickwandigen Stahlrohre „kalt“ zu verpressen statt konventionell zu schweißen, hatte aus Sicht des ausführenden Anlagenbauers IRB Industrie-Rohrbau GmbH aus Rödinghausen aber über die generellen Anforderungen an das Rohrleitungssystem hinaus noch einen entscheidenden weiteren Vorteil: Es war, gerade angesichts der hier anstehenden Mengengerüste, bei gleichzeitig höchster Belastbarkeit wesentlich wirtschaftlicher, so IRB-Bauleiter Michael Puckrandt: „Pro Verbindungsstelle sparen wir, im Vergleich zum Schweißen, je nach Nennweite bis zu 80 Prozent Zeit. Die Pressverbindungstechnik ist also trotz der höheren Materialkosten in der Vollkostenrechnung für uns als ausführendes Unternehmen durchaus interessant.“
Und wie reagiert der Kunde, gerade bei einem so ungewöhnlichen Projekt, bei dem man auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen kann? Heizungsbaumeister Puckrandt: „Jeder Kunde erwartet zunächst einmal ein auftragsgemäßes Arbeitsergebnis. Unabhängig davon, ob das durch Schweißen oder Pressen erreicht wird. Gerade hier haben wir aber in enger Abstimmung mit allen Beteiligten, also auch mit Viega als Hersteller, vorab geprüft, wie sich beispielsweise die Zink-Nickel- beschichteten Verbinder in diesem Installationsumfeld verhalten oder ob die Pressverbindung den teilweise enormen mechanischen Belastungen definitiv standhält.“
Das Ergebnis ist mehr als überzeugend, denn neben den robusten Materialeigenschaften sind die Verbinder selbst auf den nach AGI Q151-beschichteten Stahlrohren mit vergleichsweise geringen Vor- und Nacharbeiten zuverlässig dicht. „Und dies auch unter härteren Bedingungen“, wie Michael Puckrandt betont: „Denn an der Haupttrasse wirken auf eine Verbindung immer noch recht große Kräfte. Trotzdem hält das Megapress-System selbst hier und bei wechselnden äußeren Einflüssen allen Anforderungen soweit stand.“
Für den westfälischen Anlagenbauer ist die ebenso außergewöhnliche wie unter Betriebsbedingungen schwierige Installationsumgebung damit zugleich ein Referenzobjekt, um perspektivisch die handwerkliche Schweißerleistung mehr und mehr durch die wirtschaftliche, sichere Pressverbindungstechnik zu ergänzen, so Michael Puckrandt: „Für uns bedeutet das ein konkretes Stück Zukunftssicherheit. Denn im Rohrleitungsbau ist das Fachkräfteproblem schon heute drängend. Gute und erfahrene Schweißer sind immer schwieriger zu finden.“
Mehr Informationen unter:
www.irb-rohrbau.de
www.viega.de
Das Projekt „Hybridkraftwerk Emscher“
Die solarthermische Trocknungsanlage ist Bestandteil des „Hybridkraftwerks Emscher“, über das bei der Stromerzeugung durch die Zusammenführung von fünf erneuerbaren Energieträgern bis zu 70.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden sollen:
• eine Windenergieanlage mit 3,1 MW Leistung (im April 2016 eingeweiht);
• vier neue Blockheizkraftwerk-Module mit jeweils etwa 1,2 MW Leistung (im Februar 2017 in Betrieb genommen);
• eine Photovoltaikanlage mit ca. 500 m² Gesamtfläche (Februar 2017 in Betrieb genommen);
• eine Dampfturbine mit mindestens 4 MW Leistung (Dezember 2017), und eben die
• Solarthermische Klärschlammtrocknung.
Hinter dem Projekt steht die Emschergenossenschaft als ein öffentlich-rechtliches Wasserwirtschaftsunternehmen. Sie wurde 1899 als erste Organisation dieser Art in Deutschland gegründet und kümmert sich seitdem unter anderem um die Unterhaltung der Emscher, um die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie um den Hochwasserschutz.
Seit 1992 plant und setzt die Emschergenossenschaft in enger Abstimmung mit den Emscher-Kommunen das Generationenprojekt Emscher-Umbau um, in das über einen Zeitraum von rund 30 Jahren prognostizierte 5,38 Milliarden Euro investiert werden.