Die Zeiten im Werkzeugmaschinenbau ändern sich: Bis vor einigen Jahren gab es Fortschritte in Form von zusätzlichen Achsen, höheren Bearbeitungsgeschwindigkeiten und immer höheren Genauigkeiten. Gestandene Ingenieure mit eher konservativen Ansichten über die Fortschritte im Werkzeugmaschinenbau bestimmten das Entwicklungstempo.
Jetzt muss die Zunft dieser Ingenieure umdenken: Schrittmacher der Zukunft sind eher ‚softe‘ Themen. Da ist die Rede von Industrie 4.0, der Cloud und ‚smarten‘ Maschinen. Rein aus Sicht der Maschinenkonstrukteure werden die Fortschritte in Zukunft eher klein sein, da man allmählich an die Grenzen der Physik kommt.
Einen Weg in die Zukunft dieser neuen smarten Maschinen weist das Produktionstechnische Zentrum Hannover (PZH) der Universität Hannover: Wissenschaftler rund um Dr.-Ing. Marc-Andre Dittrich haben eine ‚fühlende‘ Werkzeugmaschine entwickelt. „Wir haben uns den Mensch und seine Arbeitsweise zum Vorbild genommen. Wenn wir eine Handbohrmaschine führen, haben wir sehr starke sensorische Mittel, um beispielsweise den Druck auf das Bauteil zu fühlen und entsprechend anzupassen“, so Dittrich.
Dieses Grundprinzip wurde auf eine Fräsmaschine des Herstellers DMG Mori übertragen, indem Dehnungsmesstreifen in den Spindelschlitten und in das Spannsystem eingebaut wurden.
Auf Grundlage der gemessenen Kräfte kann die Abdrängung des Fräsers berechnet und entsprechend korrigiert werden. „Dahinter steckt ein im Prinzip einfaches Biegebalkenmodell. Es ist auf der Maschinensteuerung hinterlegt und berechnet vollautomatisch die Korrekturen in Echtzeit. Den Genauigkeitsgewinn gibt Dittrich mit derzeit rund 80 % an. Effektiv sei das Verfahren besonders bei der Schruppbearbeitung mit lang auskragenden Werkzeugen, bei deren Einsatz die Abdrängung besonders groß ist.
„Wir haben viele unterschiedliche Informationen über die Werkzeuge im Werkzeugdatenspeicher der Maschine. Beispielsweise wissen wir sehr genau, wo sich der Tool-Center-Point des Werkzeugs befindet. Weiter kennen wir Länge und Durchmesser des Werkzeugs. Das reicht aus, um unser Modell ausreichend mit Daten zu füttern“, erklärt Dittrich.
Ein Nachteil des Verfahrens sei die infolge der Vorschubreduzierung verlängerte Bearbeitungszeit. „Folgeprojekte zielen deshalb darauf ab, auch die Achsposition selbst anzugehen und den NC-Code dynamisch zu modifizieren“, erklärt Dittrich.
Im Gegensatz zur konventionellen Kraftmesstechnik haben die Dehnmessstreifen den Vorteil, dass sie die Steifigkeit und Stabilität der Maschine nicht beeinflussen. Damit bleiben sämtliche Maschineneigenschaften erhalten. Zudem seien die Kosten für die Ausrüstung der Maschine mit dem System niedrig: „Wir wollten eine günstige Automatisierungstechnologie realisieren. Deswegen haben wir auf aufwendige Kraftmesssensorik verzichtet, die in die Zehntausende geht. Wir benötigen nur einige Dünnschichtdehnmessstreifen“, so Dittrich.
Um die Umrüstkosten niedrig zu halten, haben die Forscher am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen auf einen Clou zurückgegriffen: „Wir haben kleine Kerben in die Spindelschlitten eingebracht und die Dehnmessstreifen in diesen Kerben platziert“, erklärt Dittrich. Es habe sich herausgestellt, dass diese Kerben die Integrität des Spindelschlittens nicht beeinflussen. Eine Nachrüstung sei daher ohne allzu großen Aufwand kostengünstig möglich.
Die Forschung zu diesem Projekt befindet sich laut Dittrich in der Endphase und wurde auf zwei Maschinen realisiert. Es gebe sowohl aufseiten der Industrie und auch der Maschinenhersteller lebhaftes Interesse an der Technik. Geplant seien jetzt Folgeprojekte, die auf die Industrialisierung der Technologie abzielen. Sein Fazit: „Die Vorteile unserer Technologie ergeben sich insbesondere bei Bauteilen in sehr kleiner Losgröße. Wir sind dabei in der Lage, auf Anhieb und ohne Nacharbeit Gutteile zu produzieren.“
Auch beim Spanntechnikhersteller Roemheld macht man sich Gedanken über eine Werkzeugmaschine mit ‚Gefühl‘: „Fühlende Spannsysteme könnten die auftretenden Kräfte messen. Die Informationen, ob ein Werkstück korrekt eingespannt ist und welche Kräfte auftreten, lassen sich für die Steuerung und Optimierung des Bearbeitungsprozesses nutzen“, so Entwicklungsleiter Dr.-Ing. Wolfgang Reuter.
Noch werde allerdings daran geforscht, mit welchen aus der Spanntechnik gewonnenen Parametern sich der Zerspanungsprozess verbessern lässt und welche Stellglieder dazu eingesetzt werden könnten.
Wichtige Rohdaten seitens der Maschine und des Spannsystems sind laut Andreas Lotz, Verkaufsleiter Werkstückspannsysteme, Druck, Temperatur und Bearbeitungskräfte. „Bisher wurde anhand der Spindeldaten immer nur das Werkzeug überwacht. Intelligente Werkstückspannsysteme ermöglichen künftig auch die Überwachung des Werkstücks“, so Lotz.
Auch das Unternehmen Schunk beschäftigt sich damit, seinen Greif- und Spanntechniklösungen Gefühl einzuhauchen: „Produktionssysteme von morgen werden erstklassig vernetzt sein und unter anderem auch mithilfe der Spannmittel und Greifsysteme permanent sowohl den eigenen Status als auch den ihrer Umwelt erfassen“, blickt Dr. Markus Klaiber, Technischer Geschäftsführer/CTO, nach vorn und macht deutlich, wo die größte Herausforderung des Maschinenbaus liegt: „Wir sind mit Industrie 4.0 einen großen Schritt weiter, sobald automatisierte und autonome Systeme Störungen selbst beheben können.“
Die Komponenten von Schunk sollen in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag leisten: „Mit intelligenten Greifern haben wir die Chance, direkt am Werkstück Fehler schnell wahrzunehmen und im Zusammenspiel mit der übergeordneten Leittechnik und intelligenten Spannmitteln den Fertigungsprozess live zu optimieren, auf einen Variantenarbeitsplan zu wechseln oder auf einer anderen Maschine weiter zu produzieren.“ Selbst kleinste Losgrößen sollen sich auf diese Weise künftig hocheffizient automatisiert fertigen lassen.
Die Intec als Mekka der spanenden Fertigung
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