Landwirte haben ganz unterschiedliche Traktor-Anforderungen.

Landwirte haben ganz unterschiedliche Traktor-Anforderungen. (Symbolbild) (Bild: AGCO)

Die Marke Fendt produziert innerhalb des US-amerikanischen AGCO Konzerns Traktoren ausschließlich im Allgäu, in Marktoberdorf. Das Produktspektrum erstreckt sich vom kleinen Weinbergschlepper der Serie 200 V Vario bis hin zum großen Fendt 1000 Vario mit 519 PS. Wer den fährt, kann sogar auf Lkws herabblicken.

Die Produktvarianz von Fendt beschränkt sich nicht nur auf die verschiedenen Baureihen. Auch innerhalb der jeweiligen Traktorenserien selbst sind die unterschiedlichsten Ausstattungsvarianten möglich. Eigentlich keine Besonderheit, wenn man an die Automobilproduktion denkt. Doch im Gegensatz zu Pkw-Herstellern, die in der Vergangenheit für jedes Modell eine separate Linie hatten, wollte man bei Fendt schon immer alle Varianten auf einer einzigen Montagelinie fertigen.

Aus dieser Notwendigkeit heraus wurde dort ein Montagekonzept entwickelt, in das sich nun auch der neue Elektroschlepper integrieren lässt.

Drei Trends erfordern die Beherrschung von Varianz

„Kunden und damit auch der Vertrieb wollen immer möglichst viel Varianz, die Produktion hingegen eher Standardprodukte, weil sie auf einer Linie relativ gut zu bauen waren“, sagt Dr. Peter Bebersdorf. Mittlerweile wisse man aber, dass Landwirte ganz unterschiedliche Traktor-Anforderungen haben und man durch vielfältige Ausstattungsvarianten auch Kaufentscheidungen fördert. „Deshalb wollen wir Varianz in der Produktion nicht reduzieren, sondern wir müssen sie beherrschen“, so der Werkleiter des Fendt Traktorenwerkes.

Eine Herausforderung, die nicht nur Fendt zu meistern hat, denn Bebersdorf sieht aktuell drei große Trends, die dazu führen werden, dass Montagen in Zukunft immer noch mehr Varianz beherrschen müssen, als es heute schon der Fall ist.

Darum ist eine eigene Montagelinie nicht mehr möglich

Getrieben von der Kundenzentriertheit, werde der Wunsch nach einer immer noch individuelleren Produktion weiter zunehmen – nicht nur bei Automobilen, sondern auch bei Consumer-Produkten. Individualisierung lässt sich jedoch nicht dadurch realisieren, indem man für jedes Produkt eine eigene Linie errichtet.

Ein weiter Trend verbirgt sich hinter der Zunahme disruptiver technologischer Innovationen wie zum Beispiel dem Elektroantrieb. „Einen batterie-elektrischen Antrieb neben einem Verbrennerantrieb in die Montage zu integrieren ist deshalb eine enorme Herausforderung, weil es nicht nur ein anderer Motor ist, sondern ein völlig anderes Antriebskonzept“, erklärt Bebersdorf.

Früher hätte man hierfür eine eigene Montagelinie gebaut. Wegen der Kundenindividualität und der immer geringeren Stückzahlen pro Variante ist dies heute nicht mehr möglich. „Und so“, weiß Bebersdorf, „sind mittlerweile alle Automobilisten zur Integration gezwungen.“

Der dritte Trend, der eine Beherrschung der Varianz erfordert, liegt in der Risikovermeidung, da die Unvorhersehbarkeit immer größer wird. Beispielsweise ein Tanker vor dem Suezkanal, der die ganze Welt blockiert, Kriege, Währungsrisiken, oder Zölle/Strafzölle – all dies wird immer unkalkulierbarer. Um Risiken zu vermeiden, können gerade die Endmontagen über die Welt verteilt werden. Sie werden dadurch zwar kleiner, müssen allerdings in der Lage sein, mehr unterschiedliche Produkte herstellen.

Produktiv trotz viel Varianz: So klappt es

Der Model-Mix-Montage steht immer die Produktivität gegenüber, die mit zunehmender Varianz sinkt. Wie schafft man es, produktiv zu sein und trotzdem möglichst viel Varianz abzubilden? Die Fließmontage nach dem Maximaltakt auszurichten, also dem Produkt mit dem größten Montageaufwand, macht heute niemand mehr, da der Zeitverlust durch weniger montageintensive Produkte einfach zu groß ist. Automobil-Hersteller setzen auf die so genannte Durchschnittsvertaktung. „Dabei wird in der Linie mal viel, mal weniger Aufwand hintereinander gebracht, immer in der Hoffnung, dass das Mittel schon stimmen wird“, erklärt Bebersdorf den Stückzahl-orientierten Ansatz.

Weil man bei Fendt aber aufgrund der im Vergleich zur Automobilindustrie geringeren Stückzahlen – am Tag sind es über 110 Traktoren – schon immer dazu gezwungen war, alles auf einer Linie zu fertigen, musste man sich mit dem Thema Takt genauer beschäftigen. „Als wir 2012 den Transport der Traktoren auf FTF umgestellt hatten, ergab sich so ein neuer Freiheitsgrad. Der Trigger, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, war schließlich die Montage des Fendt 1000 Vario. Der aktuell größte Standardschlepper der Welt hat so viel Montageinhalt, dass er unsere Abtaktung komplett zerstört hätte.

Also mussten wir uns anders strukturieren“, beschreibt Bebersdorf die Entwicklung des Montagekonzepts, das vor allem durch den variablen Takt geprägt ist. Eine Erfindung, die in Marktoberdorf in Anlehnung an das dort produzierte Variogetriebe auch Vario-Takt genannt wird.

Varianz durch variable Takte und hybride Montagekonzepte.
„Wenn wir Varianz durch variable Takte und hybride Montagekonzepte beherrschen, schaffen wir es, die Produktion in Deutschland wettbewerbsfähig zu halten", sagt Dr. Peter Bebersdorf. (Bild: AGCO)

Fendt: Diese Arbeiten werden ausgelagert

Das Montagekonzept, mit dem Fendt sowohl alle derzeitigen als auch künftige Varianten beherrschen kann, ist eine Kombination aus Matrix, Durchschnittsvertaktung und Vario-Takt. Den Grund dafür erklärt Bebersdorf so: „Den 200er Schlepper können sie komplett unter der Motorhaube vom 1000er verstecken. Die Herausforderung in der Montage für uns ist aber nicht groß und klein, sondern der unterschiedliche Arbeitsinhalt bei der Fließmontage. Die Montagelastunterschiede ergeben sich sowohl aus den einzelnen Typen als auch aus den einzelnen Ausstattungen innerhalb eines Typs. Für uns ist es wichtig, dass wir Varianz in Typ und Ausstattung unterscheiden, denn für ihre Beherrschung nutzen wir unterschiedliche Konzepte.“

Rund ein Drittel der gesamten Arbeitslast liegt in den Vormontagen, die restliche verteilt sich über die Linie, der aktuell ein 7,15-Minuten-Takt zu Grunde liegt. Gängige Varianz in den Ausstattungen, wie zum Beispiel Radio oder kein Radio, wird mittels Durchschnittsvertaktung beherrscht, während für seltene Ausstattungen Sondermonteure zum Einsatz kommen, die der klassischen Linie folgen.

Arbeiten jedoch, die den Takt der Linie völlig aus dem Rhythmus bringen würden, werden am Ende der Linie in einer Art Matrix ausgelagert. In so genannten Ausstattungsboxen stehen die Schlepperzwischen 20 Minuten und zwei Stunden, um an ihnen zum Beispiel Frontlader oder Schaufeln zu montieren oder Radgewichte sowie länderspezifische Anbauten anzubringen.

Die Herausforderung in der Montage liegt nicht in der Größe der Traktoren.
Die Herausforderung in der Montage liegt nicht in der Größe der Traktoren, sondern im unterschiedlichen Arbeitsinhalt bei der Fließmontage. (Bild: AGCO)

So funktioniert der variable Takt

Für den Auslastungsunterschied zwischen den Typen nutzt Fendt den variablen Takt. Der Clou am Vario-Takt: Am Ende des Tages ist nicht die produzierte Stückzahl konstant, sondern die Arbeitslast pro Zeiteinheit.

Und so funktioniert der variable Takt: Ausgehend von der durchschnittlichen Montagelast des 700 Vario, beträgt die Länge einer Station 7,5 Meter. Ebenso der Abstand zum nächsten Schlepper, womit er auch genau nach einem Takt fertig ist. In diesem Fall sind es 7,15 Minuten. Kommt nun ein kleineres Modell wie der Fendt 200 V Vario auf das Band, wird der Abstand dahinter verkleinert, sodass die virtuelle Station des 200 Vario effektiv nur noch 6,75 Meter lang ist.

Obwohl das Band weiterhin mit der Geschwindigkeit für den 7,15-Minuten-Takt die Station durchläuft, bekommt der Werker jedoch nur einen Arbeitsinhalt von 6,45 Minuten. Nach diesen 6,45 Minuten muss der Werker fertig sein, da zu diesem Zeitpunkt schon die nächste Einheit an die Station kommt – obwohl der 200 Vario diese noch nicht ganz verlassen hat.

Montageaufwand ist konstanter

Ist diese dann zum Beispiel ein Typ Fendt 1000 Vario, bekommt der Werker entsprechend mehr Arbeitsinhalt und der Abstand dahinter wird vergrößert. Mit einer Montagezeit von 8,2 Minuten fließt der Werker in den nächsten Takt und muss auf den ersten 2,3 Meter der Folgestation parallel mit seinem Kollegen arbeiten. Er triftet aber nicht ab, da die nächste Einheit noch nicht seinen Stationsstartpunkt erreicht hat. „Würde man von oben auf unser Montageband blicken, sehe es aufgrund der unterschiedlichen Abstände nach den Typen ungleichmäßig aus.

In Summe ist es aber deutlich ausbalancierter, weil eine kleine Einheit bei weniger Abstand auch weniger Arbeitsinhalt hat, eine große Einheit entsprechend mehr, bringt Bebersdorf den Vorteil des Vario-Takts auf den Punkt. Dadurch sind zwar die Einheiten pro Zeiteinheit, die bei Fendt vom Band kommen, unterschiedlich, dafür ist der Montageaufwand pro Stunde beziehungsweise Tag wesentlich konstanter als bei einer fixen Durchschnittsvertaktung. „Mit dem Vario-Takt haben wir einen großen Hebel geschaffen, um unterschiedliche Produkte mit unterschiedlichem Gesamtmontageinhalt am Band zu beherrschen. Allerdings brauchte es dafür ein FTF, weil es mit einem Ketten- oder Plattenband nicht funktioniert“, kommt Bebersdorf auf den Ursprung des Vario-Takts zurück.

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Das bringt eine Elektrifizierung in der Matrix

Dass sich nun auch die Montage des neuen Elektroschleppers zum Großteil recht einfach in die Linie integrieren lässt, liegt nicht nur am Vario-Takt allein.

Bebersdorf: „Wir übernehmen für unser Elektrofahrzeug vom Standard 200er-Schlepper so viel wie möglich und elektrifizieren den Antriebsstrang. So können wir ihn zum Großteil so bauen, als wäre es kein Hochvolt-Schlepper.“ Der Hochvoltanteil des Schleppers kann so als lokale Varianz dargestellt und in eine Matrix ausgelagert werden – ein hybrides Matrix-Linienkonzept entsteht. „Das bringt den Vorteil, dass wir auch die ganzen Sicherheitsthemen am Ende der Montage haben und nicht schon am Anfang“, sagt Bebersdorf. Vom Prinzip her wird also die aufwändige Hochvolt-Initialisierung in der Matrix so behandelt wie ein Frontgewicht in der Ausstattungsbox.

Für Fendt ist der Elektroschlepper definitiv ein Zukunftsthema: „Bis zu 25 Prozent unseres Montagevolumens könnten wir als Elektroschlepper bauen“, berichtet Bebersdorf. Um in Zukunft auch größere Varianten davon produzieren zu können, wird nicht nur die bestehende Linie modifiziert. Nach Fertigstellung eines Anbaus direkt neben der bestehenden Montagehalle, wird das Matrixelement der Elektroschlepper in den Neubau ausgelagert.

Den Transport der E-Schlepper übernehmen dann ebenfalls wieder Fahrerlose Transportsysteme der Hauptlinie. Produktiv betrachtet ist die Lücke im Band, die durch die Abzweigung in die Matrix entsteht, als Verlust anzusehen. Allerdings nur für drei Takte und nur so lange, bis ein fertiger Elektroschlepper beim Verlassen der Matrix diese wieder schließt. Der Vorteil der hybriden Montagestruktur, nämlich den Nutzungsbereich der Montagelinie zu vergrößern, überwiegt diesen Nachteil aber bei Weitem.

„Die ersten Prototypen des Elektroschleppers haben wir in einer extra Halle in Betrieb genommen. Ab 2024 wird dies in unserer neuen Hybriden-Montage geschehen“, sagt Bebersdorf. Der Serienanlauf des e100 V Vario ist für den kommenden Sommer geplant.

(Bearbeitet von Anja Ringel und Sabine Königl.)

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