Der Fachkräftemangel schlägt auf die Wirtschaftsleistung der deutschen Industrie durch. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln, fehlen derzeit 440 000 qualifizierte Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Würden die Firmen diese Fachkräfte finden, könnte die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 30 Mrd Euro oder um 0,9 Prozent höher ausfallen, haben die Forscher errechnet. Dabei hat das Institut der deutschen Wirtschaft angenommen, dass die Unternehmen mit der Einstellung der neuen Mitarbeiter auch ihren Kapitalstock um 1 Prozent erhöhen würden.
Vor allem für KMU ist der Fachkräftemangel problematisch
Nach Beobachtungen von Michael Schanz vom VDE-Fachausschuss Studium, Beruf und Gesellschaft ist der Fachkräftemangel im produzierenden Gewerbe davon abhängig, wie bekannt die Marke und wie groß das Unternehmen ist: „Wenn es sich um einen Automobilhersteller handelt, dessen Fahrzeuge die Ingenieure auch selbst gerne fahren, dann haben diese derzeit kaum Probleme, gute Mitarbeiter zu finden.“
Problematisch werde der Fachkräftemangel für kleine und mittlere Unternehmen: vor allem bei den Herstellern, die ihre Produkte nur für andere Unternehmen herstellen, also Industriegüter. „Dort sieht es ganz übel aus“, sagte Schanz gegenüber ‚Produktion´. „Tendenz: schlimmer werdend.“
Nachhaltigkeit in der Personalpolitik
Wie können diese Mittelständler nun an gute Fachkräfte gelangen? Fortschrittliche Maschinenbauer punkten zum Beispiel mit einem interessanten Produkt, sie sind weltweit aktiv, übertragen viel Verantwortung an die Mitarbeiter und lassen ihre Teams eigenverantwortlich handeln. Sie stellen beispielsweise ihren Produktionsprozess von Einzelarbeitsplätzen auf Fließfertigung um und geben dabei den Fachkräften die Verantwortung für die Organisation des Arbeitsprozesses.
„Die Mitarbeiter wollen herausgefordert werden, ein hohes Maß an Eigenverantwortung haben, bestimmte Projekte zusammen mit Kollegen umsetzen und dafür Wertschätzung erfahren, indem sie den nächsten Schritt in ihrer beruflichen Entwicklung gehen“, sagte Lutz Rachner, Partner im Bereich Executive Search von Kienbaum, gegenüber ‚Produktion‘.
Dabei stehe das Monetäre nicht im Vordergrund: Es würden zwar Prämien gezahlt für erfolgreich abgeschlossene Projekte oder Verbesserungen, aber das Entscheidende sei, dass ein herausforderndes Umfeld mit viel Freiräumen geschaffen werde und dass die Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen.
Weltweit aktiv ist beispielsweise die Stego Elektrotechnik GmbH, die zwölf Auslandsniederlassungen hat. „Auch arbeiten wir mit sehr flachen Hierarchien“, erläuterte Martin Sitter, Prokurist der Firma für Thermal Management, gegenüber ‚Produktion‘. „Ein junger Kollege von mir war zum Beispiel schon in China und in anderen Ländern tätig.“
„Man muss sich anschauen, was die jungen Bewerber bei den Arbeitsbedingungen heute wollen“, ergänzte VDE-Fachmann Schanz: „ein wenig Flexibilität und die Möglichkeit, einen Tag von Zuhause aus zu arbeiten, muss drin sein.“ Das sollte sich dann herumsprechen, dass das Unternehmen ein attraktiver Arbeitgeber für junge Leute ist und dass man ihnen entgegenkommt. Sonst würden die jungen Absolventen zum Beispiel im Bereich Elektrotechnik und IT zu anderen Unternehmen gehen, denn sie könnten sich heute ihren Arbeitgeber aussuchen.
Ingenieure haben Juristen und Betriebswirte beim Gehalt überholt
Unternehmen müssen heute wesentlich höhere Löhne zahlen, wenn sie geeignete Ingenieure gewinnen wollen. „Seit vergangenem Jahr haben Ingenieure andere Berufsgruppen, die mit Jura und Betriebswirtschaft zu tun haben, beim mittleren Jahresgehalt überholt“, berichtete Schanz. Neu rekrutierte Fachkräfte würden teilweise so viel verdienen, dass sie eventuell mehr bekommen als altgediente Mitarbeiter.
Zudem spielen Sozialleistungen wie zum Beispiel ein Betriebskindergarten bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels eine immer wichtigere Rolle. Der Mittelständler Stego zahlt für seine Mitarbeiter zum Beispiel einen höheren Beitrag zur betrieblichen Altersvorsorge: 21 Prozent statt 15 Prozent.
Auch unterstützt er sie im Bereich Gesundheit: Wenn sich Mitarbeiter ein Fahrrad oder E-Bike kaufen will, muss er nur die Hälfte bezahlen, den Rest steuert die Firma über den Dienstleister Jobrad bei.
„Um die Fachkräfte von morgen zu erreichen, sollten Firmen eine mediale Präsenz auf den unterschiedlichsten Kanälen erzeugen“, ist sich Rachner sicher. Elementar sei eine aussagekräftige Homepage mit einer zeitgemäßen Unternehmensdarstellung, auf der man schnell zu professionell formulierten Stellenanzeigen gelange. Die Firmen müssen ein klares Profil kommunizieren und in den Stellenanzeigen aufzeigen, warum sich potenzielle Bewerber für ihr Unternehmen entscheiden sollten.
Derzeit ersetzen die Absolventen im Bereich Elekrotechnik gerade einmal die Ingenieure, die in Rente gehen. Pro Jahr schaffen die Unternehmen jedoch 10 000 neue Stellen in diesem Bereich: „Diese Fachkräfte kommen in Summe durch Zuwanderung aus Europa“, erklärte Schanz, „zum Beispiel aus Nachbarländern, aus Spanien oder aus dem Süden Europas. Es hat sich eine regelrechte spanische Community hierzulande gebildet.“
Jedes dritte Unternehmen stellt Fachkräfte aus dem Ausland ein, weil es hierzulande keine geeigneten Bewerber auf dem Arbeitsmarkt findet, ergab eine Studie des VDE. Rachner rät, dass sich Firmen bereits ausländischen Studenten gegenüber als atttraktive Arbeitgeber präsentieren sollten. „Die Qualifikation ist vorhanden, die sprachlichen Schwierigkeiten sind wegen des technischen Hintergrunds kein großes Hindernis“, meinte Rachner.
Die Frage sei jedoch, wie lange man diese Menschen im Unternehmen halten könne, man sollte durchschnittlich von einem Zeitraum von über zwei Jahren ausgehen.
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