Festo Bionic Workplace

Am Bionic Workplace von Festo arbeitet der Mensch mit einem Roboterarm sowie zahlreichen Assistenzsystemen zusammen, die miteinander vernetzt sind. - (Bild: Festo)

"Made in Germany kann für vernetzte und intelligente Produktion stehen", sagt Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). In Personalunion ist er Geschäftsführer der beiden Fachverbände Antriebstechnik (211 Mitgliedsunternehmen, 18 Milliarden Euro Umsatz) und Fluidtechnik (214 Mitgliedsunternehmen, Hydraulik 5,4 Milliarden Euro, Pneumatik 2,8 Milliarden Euro Umsatz). Beide Branchen stehen vor einem Umbruch. Galten bisher Kraft und Drehmoment als die wesentlichen Faktoren, kommt jetzt ein dritter hinzu: die künstliche Intelligenz.

Den Schulterschluss vollzogen die beiden Fachverbände nicht nur virtuell im Digitalen, sondern real auf der Hannover Messe 2019. Dort traten sie erstmals unter dem Dach 'Industrial Automation Motion & Drives' (IAMD) gemeinsam auf. Rauen: "In dem Maße, wie die Intelligenz in die Komponente wandert, haben die Hersteller eine herausragende Chance, zahlreiche digitale Dienstleistungen aufbauen zu können." Das schütze sie auch vor den Digitalisierungs-Größen Google, Amazon und Co.

Einen Weg dorthin ebnen soll die vom VDMA propagierte offene Vernetzung nach OPC UA-Standards (Open Platform Communications Unified Architecture). "Wir wollen als Erste mit unseren Technologienetzwerken und -clustern das Versprechen geben, dass wir von 'Plug and Pray' zu 'Plug and Play' kommen", so Rauen.

Welche neuen Geschäftsmodelle die Antriebstechnik entwickelt

"Die deutsche Antriebstechnik hat in der Technologie- und Fertigungskompetenz eine hervorragende Startposition, muss sich aber noch stärker den Chancen durch Industrie 4.0 eröffnen mit neuen Geschäftsmodellen, vor allem im Bereich der Services", fordert Rauen. Durchaus selbstkritisch gibt sich Wilhelm Rehm, Vorsitzender des Fachverbands Antriebstechnik und Vorstandsmitglied eines der weltweit größten Automobilzulieferers, ZF Friedrichshafen: "Die größte Herausforderung in unserem Bereich ist die Integration der Digitalisierung und Vernetzung in unsere Unternehmen der Antriebstechnik." Die Zukunft sei geprägt durch Vernetzung im Sinne der Industrie 4.0, Konnektivität der Sys­teme, intelligente Mechanik, aber auch die zunehmende Elektrifizierung der Antriebstechnik.

ZF nutzt Digitalisierung und Vernetzung beispielsweise für die vorausschauende Instandhaltung – und damit für neue Geschäftsmodelle. Rehm: "Wir können mittlerweile mit unserer ZF-Cloud Systeme abbilden, auswerten und analysieren." Konkrete Fortschritte bringt das beispielsweise in der Windkraft, wo man in Zusammenarbeit mit Komponentenhersteller Schaeffler die Kunden bei der möglichst effektiven Wartung ihrer Anlagen unterstützt.

Oberster deutscher Fluidiker ist Verbandspräses Christian Kienzle, im Hauptberuf CEO von Argo-Hytos, einem Hersteller hydraulischer Systemtechnik. Er nennt ein Beispiel aus dem eigenen Unternehmen: Itell, ein smarter Filter. Der Name sei wörtlich zu nehmen: "Unsere Filter wollen etwas erzählen."

Sie filtern nicht nur, sondern überwachen das Hydrauliksystem und -medium. Die Sensorik im Filter liefert Informationen über Filterzustandsgrößen wie Verschmutzungsgrad, Druck und Temperatur. Damit lasse sich die Effizienz des Maschinen- oder Flottenmanagements steigern. "Durch frühzeitige Warnmeldungen können die Wartungsplanung optimiert sowie Ausfallzeiten reduziert und Ressourcen eingespart werden."

Wie digitale Technologie die Hydraulik verbessert

Selbstkritisch gibt sich Mark Krieg, Vice President Engineering beim Hydraulikspezialisten Bosch Rexroth: "Im Prinzip sehen die Hydraulikaggregate immer noch aus wie in den siebziger Jahren." Sie gelten als robust, aber nicht gerade innovativ, erfordern viele Fachkräfte, sind geräuschintensiv und immer auch ein bisschen schmutzig. Hydraulik sei allerdings heute und in Zukunft unverzichtbar.

Krieg: "Wenn es um Kräfte oberhalb 500 Kilonewton geht, gibt es keine Alternative." Seit einigen Jahren gehe die Hydraulik jedoch mit elektronischen Lösungen eine Verbindung zur Elektrohydraulik ein. "Die Hydraulik ist der Muskel, die Elektronik und die Elektrotechnik bilden das Gehirn." Das bestätigt eine von Bosch Rexroth in Auftrag gegebene Studie: Danach werde es für die Elektrohydraulik ein starkes, überproportionales Wachstum geben.

Gut gerüstet für diese Zukunft sieht sich Bosch Rexroth mit der Cytrobox. Das Hydraulikaggregat hat nichts mehr mit den Klischees der Hydraulik gemein. Eine geräuschabsorbierende Polymerbetonplatte sorgt für Ruhe, sie biete mehr Flexibilität bei weniger Bauraum, mehr Leistung bei weniger Verschwendung und schließlich mehr Wirtschaftlichkeit durch eine höhere Verfügbarkeit. Und schick ist die Cytrobox auch noch, denn beim Kleid halfen die Designer aus der Bosch-Thermotechnik. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein stylischer Kühlschrank für die Loftwohnung.

Am anderen Ende der Kräfteskala bewegt sich das Unternehmen Harmonic Drive. Mit seinen sehr kompakten Antrieben profitiert es vor allem vom Boom der kleineren Roboter, die laut dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Ekrem Sirman zu 90 Prozent mit Antrieben aus Limburg an der Lahn ausgestattet seien. Dort arbeiten die Entwickler an einem 'Smart Actuator' mit integriertem Regler. Eine Sensorik liefert exakte Kenntnisse über Motor und Getriebe. Damit lässt sich die Steifigkeit des Antriebs gezielt verbessern.

Die Sensorik überwacht aber auch den Zustand und erkennt bevorstehende Schäden durch die Analyse von Schwingungen. Das Problem: "Es ist schwierig, mit Kunden über Maßnahmen bei Ausfällen zu sprechen, da sie die Erwartung haben, dass nichts ausfällt", weiß Sirman. Und noch weniger sind sie bereit, dafür zu bezahlen. Die Sensorik sei fertig, die Antriebe könnten damit ausgestattet werden.

Wie Künstliche Intelligenz Ausfälle verhindern kann

Ein Teilgebiet der Digitalisierung ist die Künstliche Intelligenz (KI). Die grundsätzlichen Methoden sind seit Jahrzehnten bekannt, aber erst jetzt ist die IT stark und preisgünstig genug, um KI gewinnbringend einzusetzen. Ein Beispiel hierfür beschreibt Ansgar Kriwet, Vorstandsmitglied beim Automatisierungsspezialisten Festo. Beim Nutzfahrzeughersteller Scania ist der Produktionsprozess im Karosseriebau hoch automatisiert, "der Mensch übernimmt nur noch Steuerung und Überwachungsaufgaben." Dank hoher Flexibilität sei dennoch Losgröße Eins kein Problem. Das erfordert hohe Investitionen, weshalb jeder Stillstand sofort viel Geld kostet.

"Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, dass es niemals zu einem Ausfall kommt", erklärt Kriwet anhand von Schweißzangen und -spannern. Dafür sei nicht einmal zusätzliche Sensorik nötig, die Informationen über die einzelnen Prozesse lägen heute in der SPS bereits vor. "Wenn man sie interpretiert, kann man daraus viel lernen, zum Beispiel aus der Dauer vom Signal 'Spanner – fahr zu' bis zum Signal 'Spanner geschlossen'." Oder aus dem Druckverlauf in der Schweißzange: Er gebe Aufschluss über Widerstand und Verschleiß in der Zange. "Mit diesen Informationen können wir bis zu zwei Wochen vorher erkennen, welcher Spanner wann ausfallen wird."

Warum Industrie 4.0 ganzheitlich umgesetzt werden muss

"Die neue Arbeitswelt 4.0 fordert wandlungsfähige, menschzentrierte Strukturen", ist Johann Soder, Geschäftsführer Technik des Antriebsspezialisten SEW-Eurodrive, überzeugt. In diesem Sinne möchte man moderne Fabriken ganzheitlich ausrüsten. Das geht weit über die klassische Antriebstechnik hinaus und erfordert digitale und intelligente Produkte. Soder sagt selbstbewusst: "Wir haben in den letzten zwei Jahren die Elektronik neu erfunden." Stichworte sind konsistente Datenhaltung, weltweite Standards und einheitliche Schnittstellen bei Hardware und Software: "Unsere Kunden sollen profitieren von der Durchgängigkeit des Industrie 4.0 Systems."

Entsprechend erweitert das Unternehmen kontinuierlich seine (digitale) Dienstleistungspalette. Ein Ziel ist es, den gesamten Wertschöpfungsprozess des Kunden digital abzubilden. Soder: "Wir setzen Augmented Reality ein, um Dinge für neue Fabriken vorab zu bewerten, und Virtual Reality sorgt durch Simulation von Fabriken vor der Realisierung für mehr Planungssicherheit."

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Überarbeitet von Julia Dusold am 02.12.2020

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