Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht vom „Beginn einer Coronavirus-Epidemie“, immer mehr Staaten melden neue Fälle. Der neue Erreger hat inzwischen große Auswirkungen – auch auf deutsche und europäische Unternehmen, die einen Sitz in China haben. Die Auslandshandelskammer China (AHK Greater China) hat dazu knapp 600 Mitgliedsunternehmen befragt und die Ergebnisse bei einer Pressekonferenz am 27. Februar vorgestellt. Von den befragten Unternehmen seien zwei Drittel deutsche und der Rest aus Europa.
In der Umfrage haben fast 60 Prozent angegeben, dass der Virus einen großen Einfluss auf ihre Geschäfte hat. Für 30 Prozent hat er eine mittlere Auswirkung. Die Befragung zeigte auch, dass inzwischen jedes Unternehmen mit Sitz in China betroffen ist. Dr. Stephan Wöllenstein, Vorsitzender der deutschen Handelskammer in China, sagte, der Coronavirus sei nun nicht mehr nur eine medizinische Krise, sondern auch eine wirtschaftliche.
Welchen Einfluss der Coronavirus auf die Unternehmen hat
Die Auswirkungen auf die Firmen sind laut der Studie „umfassend und schwer“. Die größten Folgen sind dabei: sinkende Nachfrage an Produkten und Dienstleistungen (sagen 56 Prozent der Befragten) und Unternehmen können vertraglich vereinbarte Lieferfristen aufgrund von Unterbrechungen in der Logistikkette nicht einhalten (47 Prozent). Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, sagt in einer Pressemitteilung, dass die mehr als 5.000 deutschen Unternehmen in China derzeit in Beschaffung, Produktion und Absatz stark eingeschränkt seien.
Ein weiteres Problem ist AHK Greater China zufolge der Personalmangel, mit dem ebenfalls 47 Prozent der befragten Unternehmen kämpfen. Wöllenstein erklärte auf der Pressekonferenz, dass die Reisebeschränkungen innerhalb der Volksrepublik der Grund seien. So dürfen Mitarbeiter vielerorts nicht von der Provinz, in der sie wohnen, in die Provinz fahren, in der sie arbeiten. Zu dieser Maßnahme sagt Caroline Meinhardt, Expertin beim Mercator Institute for China Studies (MERICS) gegenüber PRODUKTION: „Ein Drittel von Chinas Wanderarbeitern wird voraussichtlich erst im Laufe des März an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.“
Diese Folgen hat der Erreger für die Automobilindustrie
Die Automobilindustrie kämpft ebenfalls mit sinkender Nachfrage ihrer Fahrzeuge in China. Das haben 64 Prozent der befragten Unternehmen der Autobranche angegeben. Als fast genauso große Auswirkung sehen die Vertreter aber auch die Herstellungsverzögerungen aufgrund von Lieferengpässen (60 Prozent) und die Nicht-Einhaltung von vereinbarten Lieferfristen (58 Prozent).
Mit dem letzten Punkt kämpfen auch 71 Prozent der Maschinenbauer, die einen Sitz in China haben. Für 72 Prozent ist außerdem der Personalmangel aufgrund des Erregers ein großes Problem. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) erklärt jedoch in einer Pressemittelung, dass der Coronavirus bisher noch nicht zu nennenswerten Lieferschwierigkeiten im Maschinenbau geführt habe. Es sei aber möglich, dass diese aufgrund der langen Durchlaufzeiten im Maschinenbau in den kommenden Wochen auftreten.
Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) äußert sich besorgt: Der Coronavirus wirke sich zunehmend international und spürbar auf Prozesse und Wertschöpfung in zahlreichen Betrieben entlang der Lieferkette aus, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller auf der Twitterseite des Verbandes.
Coronavirus: Die Krise wird sich langfristig auf die Chinageschäfte auswirken
Viele Unternehmen wünschen sich aufgrund der Auswirkungen Unterstützung von der chinesischen Regierung. Eine Mehrheit der Teilnehmer äußerte sich dazu in der Studie. Mehr als 130 wünschen sich dabei finanzielle Unterstützung von der Volksrepublik, um die Betriebskosten zu reduzieren. Knapp 100 fordern eine Senkung der Körperschaftsteuer. Weitere Wünsche sind ein Ende der Transport- und Pendelbeschränkungen (89), einheitliche Vorschriften, um die Geschäfte wieder zu starten (70), eine Provision für Gesundheitsvorsorge wie Gesichtsmasken (36) und eine transparente Kommunikation der Verantwortlichen (32).
Nach Einschätzung von Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China, wird die aktuelle Krise auch Auswirkungen auf die zukünftigen Geschäfte in China haben. Er erklärte auf der Pressekonferenz, dass viele Unternehmen ihre Single-Source-Konzepte überarbeiten werden. „Diversifikation wird ein Thema sein – innerhalb Chinas, aber auch innerhalb Asiens“, so Wuttke. Er betonte aber auch: China zu verlassen, sei für die Unternehmen keine Option. Denn: „Es gibt kein zweites China.“
Das sind die wirtschaftlichen Auswirkungen
Es zeigt sich schon jetzt, dass der Coronavirus Einfluss auf die Einnahmen im ersten Halbjahr 2020 haben wird. So schätzen 48 Prozent der befragten Unternehmen, dass ihre Einnahmen um 20 Prozent oder mehr sinken werden. Mit Blick auf das Jahr 2020 gehen 46 Prozent davon aus, dass sie ihr erwartetes Jahresziel nicht erreichen werden.
Auch für die chinesische Wirtschaft wird der Coronavirus zumindest kurzfristig gravierende Folgen haben, sagt MERICS-Expertin Meinhardt. Das habe inzwischen auch Präsident Xi Jinping zugegeben. Es werde erwartet, dass Chinas Wirtschaftswachstum im ersten Quartal deutlich fällt und womöglich auch im zweiten Quartal geschwächt bleibt, sagt Meinhardt.
Wann die Unternehmen in China wieder mit voller Leistung arbeiten können, ist momentan noch nicht absehbar, erklärt die MERICS-Expertin. So konnten Fabriken ihre Produktion in den vergangenen Wochen nur langsam wieder ankurbeln und haben momentan im Durchschnitt erst rund 60 Prozent ihrer Kapazität erreicht.
Volkswagen hat zum Beispiel Ende Februar die meisten seiner chinesischen Werke wieder in Betrieb genommen. Ursprünglich sollten einige Werke schon ab dem 17. Februar wieder in Betrieb gehen. Es gab jedoch aufgrund des Coronavirus unter anderem Probleme mit den Lieferketten, schreibt die Deutsche Presseagentur. „Wenn Reisebeschränkungen und Quarantänevorkehrungen weiter anhalten, werden Chinas Lieferketten und Konsumausgaben weiterhin beeinträchtigt bleiben“, schätzt Meinhardt die Lage ein.