Constantin May

Unser Kolumnist Professor Constantin May ist Buchautor, Verleger des Deutschen Management Verlags sowie gefragter Experte im In- und Ausland. Er hat sich den Erhalt der industriellen Wertschöpfung im deutschsprachigen Raum zur Lebensaufgabe gemacht. Seine aktuelle Kolumne lesen Sie hier bei PRODUKTION. - (Bild: CETPM)

Das EU-Parlament verabschiedete kürzlich ein neues Klimagesetz, welches das derzeitige Emissionsreduktionsziel für 2030 von 40 Prozent auf 55 Prozent erhöht und das Ziel der Klimaneutralität für 2050 rechtsverbindlich macht. Nun liegt mit „Fit for 55“ seit wenigen Tagen ein Maßnahmenpaket vor, das den angedachten Weg zum Ziel beschreibt. Europas Klimaschutz-Kommissar Frans Timmermans spricht in diesem Zusammenhang von der nächsten industriellen Revolution. Die Frage ist nur, ob mit diesem Paket nicht die De-Industrialisierung gefördert wird, was insbesondere Deutschland hart treffen würde.

Wenn „Fit for 55“ so wie derzeit geplant umgesetzt wird, werden die kommenden Jahre bis 2030 tatsächlich revolutionäre Veränderungen mit sich bringen. Allerdings nicht durch technische Innovationen, wie bei den bisherigen industriellen Revolutionen, sondern durch die bürokratischen Steuerungsbemühungen der EU. Diese verspricht sich ein völlig neues Wirtschaftsmodell sowie eine grundlegende Neuausrichtung unserer Wirtschaft und Gesellschaft für eine grüne Zukunft.

Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gefährdet

Vielen Betroffenen ist das nun bewusst geworden: Ob Stahl, Zement, Chemie oder Auto - wer dieser Tage in Industriebetriebe hineinhört, spürt enorme Bedenken. Durch die hohen Kosten, die mit der Elektrifizierung der Wirtschaft und dem Weg zur Klimaneutralität verbunden sind, wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie massiv gefährdet.

Deutschland hat durch das EEG schon die weltweit höchsten Energiepreise und schaltet bis spätestens Ende 2022 mit den Atomkraftwerken eine kostengünstige und CO2-arme Energiequelle ab. Qualifizierte, gut bezahlte Arbeitsplätze in unbekanntem Ausmaß werden durch „Fit for 55“ verloren gehen. Durch die angestrebte Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden und den Ausbau der Ladeinfrastruktur wird zwar eine Vielzahl an Arbeitsplätzen im Baugewerbe entstehen. Aber wer in letzter Zeit mal einen Handwerker benötigt hat, der weiß, dass bereits jetzt in dieser Branche ein eklatanter Personalmangel herrscht. Die Explosion der Preise am Bau wird vermutlich kein schnelles Ende finden.

E-Mobilität ist nicht emissionsfrei

Die Diskussion um Klimaneutralität geht mit vielen Kuriositäten einher.

Stichwort Ökostrom: Der Strom, der aus der Steckdose kommt, entspricht immer noch dem gängigen Strommix (aktuell 42,5 Prozent erneuerbare Energien). Der Kunde verändert durch seine Tarifwahl lediglich den Geldfluss, i.d.R. ohne den Ausstoß von CO2 zu senken. Es handelt sich nur um eine bilanzielle Verschiebung für das gute Gewissen, d.h. der regenerative Strom des Ökostromkunden reduziert den regenerativen Anteil des „Normal“-Stroms.

Stichwort: Elektromobilität: Die EU geht davon aus, dass Elektromobilität emissionsfrei ist. Das ist sie jedoch keinesfalls und schon gar nicht beim derzeitigen deutschen Strommix. Den schweren CO2-Rucksack von E-Autos durch deren Batterien will ich hier gar nicht thematisieren. Diese falsche Annahme der EU benachteiligt Verbrenner und macht diese zu einem Auslaufmodel.

Stichwort CO2-Grenzausgleich: Dieser soll dafür sorgen, dass bestimmte Produkte, die außerhalb der EU mit niedrigeren Klimavorgaben hergestellt werden, beim Import in die EU mit Emissions-Zöllen belegt werden. Das hilft natürlich, wenn überhaupt, nur beim Handel innerhalb der EU. Im weltweiten Wettbewerb wird unsere Industrie dann aber einen sehr schweren Stand haben.

Stichwort Kompensation: Einige Unternehmen preisen jetzt schon klimaneutrales Banking, den klimaneutralen Versand von Paketen oder gar komplett klimaneutrale Produkte an. Sofern der Kunde das honoriert, ist das sicherlich sinnvoll - aber wie geht das? Häufig spielt die sogenannte Kompensation dabei eine Rolle: CO2 wird nicht am Ort der Entstehung, sondern irgendwo anders in der Welt in gleicher Menge reduziert. Das Unternehmen zahlt also eine bestimmte Summe an eine Organisation, die damit zusätzliche Projekte zur CO2-Reduktion (z.B. eine Aufforstung) finanziert – meist in Entwicklungs- oder Schwellenländern. Man erkauft sich also quasi das Recht, CO2 zu emmitieren. Allerdings: Gemäß Pariser Klimaabkommen haben sich fast alle Staaten verpflichtet, ihre Emissionen zu reduzieren. Wenn jeder Staat also sein bestes gibt zur Emissionsreduktionen, kann es keine „zusätzlichen“ Emissionsreduktionsprojekte geben und es gäbe dementsprechend eigentlich keine Möglichkeit zur Kompensation.

Klima-Streber, aber industriell geschwächt

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Bemühungen die Nutzung fossiler Energieträger zu reduzieren und damit den CO2-Ausstoß zu senken sind zweifelsohne sinnvoll und notwendig. Wir sollten aber nicht vergessen, dass die europäische Industrie angesichts eines lediglich 8-prozentigen, stetig sinkenden Anteils an den globalen Emissionen, auf internationale Kompatibilität achten muss.

Es wäre weder den europäischen Bürgern, der europäischen Industrie noch dem Klima geholfen, wenn Europa zwar bester „Klima-Streber“, aber industriell geschwächt und nicht mehr wettbewerbsfähig wäre. Eine Rückbesinnung auf Erfindergeist und Unternehmertum in Verbindung mit der Schaffung technologieoffener Rahmenbedingungen für CO2-reduzierende Innovationen, ohne dazu ein europäisches Bürokratiemonster aufzubauen – das ist der Weg, den ich persönlich für vielversprechend halte.

Unser Kolumnist Prof. Dr. Constantin May hat sich den Erhalt industrieller Wertschöpfung im deutschsprachigen Raum zur Lebensaufgabe gemacht. Den Schlüssel dafür sieht er in der Qualifizierung und dem Kompetenzaufbau bei allen Menschen, die in der Industrie arbeiten und in der Umsetzung betrieblicher Verbesserungssysteme wie Operational Excellence und Lean Management. Dafür hat er im Jahr 2005 das CETPM gegründet, ein  Weiterbildungsinstitut an der Hochschule Ansbach.

Professor May studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Kaiserslautern und wurde im Anschluss Unternehmensberater bei der IDS Scheer AG. Nach der Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadt promovierte er über den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Produktionsbereich an der Technischen Universität Kaiserslautern.

Danach war Professor May in verschiedenen Führungspositionen im Automotive-Bereich tätig, dabei auch längere Zeit in China und Südkorea. Seit 1999 lehrt und forscht er im Bereich Produktionsmanagement und Logistik an der Hochschule Ansbach. Professor May ist vielfacher Buchautor, Verleger des Deutschen Management Verlags sowie gefragter Experte im In- und Ausland.

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